In Zeiten der Pandemie ist Kontrolle eine Illusion

In Zeiten der Pandemie ist Kontrolle eine Illusion

Es sind Zitate wie in Stein gemeißelt: „Wo ich hinkomme, brennt es“ oder: „Wenn die Aufgabe einfach gewesen wäre, hätten sie keine Frau geholt.“ Solcherlei wird Sigrid Nikutta in den Mund gelegt, unter anderem zum Amtsantritt im Vorstand der Deutschen Bahn. Nach zehn Jahren als Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe übernahm die Managerin Anfang 2020 die Güterverkehrssparte. Und damit auch den Vorstandsvorsitz bei der DB Cargo, wo sie bereits 14 Jahre lang tätig war. Unter anderem als Produktionsvorstand in Polen.

Sigrid NikuttaFrau Nikutta, Ihr Werdegang liest sich divers: Studium und Promotion in Psychologie; Stationen im Personal- und Produktionsressort der Deutschen Bahn; dann Vorstandsvorsitzende der Berliner Verkehrsbetriebe; jetzt wiederum bei der Deutschen Bahn als Mitglied des Konzernvorstands und Vorstandvorsitzende der DB Cargo. Wie hat sich Ihr persönlicher Führungsansatz über Ihre Laufbahn geschärft?

 

Ich habe über meine verschiedenen Stationen hinweg ein immer tieferes Verständnis von Führung entwickelt. Im Wesentlichen geht es bei Führung darum, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Teams zu Höchstleistungen zu bringen, also wirklich das Bestmögliche zur Entfaltung zu bringen. Dabei sind zwei Einflussfaktoren entscheidend: Zum einen muss immer das Umfeld berücksichtigt werden; zum anderen sollten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärkenorientiert entwickelt werden. Gute Führung setzt also jeden einzelnen Mitarbeiter und jede einzelne Mitarbeiterin so ein, dass er beziehungsweise sie in seinem/ihrem Umfeld das Bestmögliche aus sich hervorbringen kann. So erzielt ein Gesamtteam Spitzenleistungen und zahlt auf den unternehmerischen Erfolg als maximal erreichbares Ziel ein.

 

Was sind die spezifischen Führungsanforderungen an einen Vorstand der Deutschen Bahn, genauer der DB Cargo?

 

Hinsichtlich Führung ist die Bahn eine besondere Herausforderung, weil es sich schlichtweg um ein immens großes Unternehmen mit mehr als 330.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern handelt, in dem viele Unternehmensteile zusammenarbeiten. Das macht Führung anspruchsvoll. Der Konzernvorstand besteht aus sieben Mitgliedern, im Vorstand der DB Cargo sind wir zu sechst. Zum Vergleich: Bei der BVG waren wir im Vorstand zu dritt und hatten rund 15.000 Mitarbeiterinnen und     Mitarbeiter. Je größer eine Organisation ist, desto stärker muss ihre Vielfalt von der obersten Ebene reflektiert werden und desto stärker muss sich ein Vorstand darauf verlassen können, dass die oberen Führungskräfte das Geschäft steuern. Mit steigender Hierarchie wird Führung zum People Business.

 

Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, dass Führung zum People Business wird?

 

Man muss sich von dem Gedanken lösen, dass eine Führungskraft automatisch die beste Fachkraft ist. Bei zunehmender Komplexität kommt es darauf an, Führungskräfte zu finden, die ihre Fachbereiche steuern können, und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen, die ihre Jobrollen ausfüllen können.

 

Auch wenn diese Unterscheidung akademisch klingen mag: Ihr Führungsverständnis scheint mehr „Leadership“ als „Management“ zu sein.

 

Ich bin eine Anhängerin systemischer Führung. Ich bin überzeugt, dass eine Organisation die besten Wege und Lösungen für ihre Herausforderungen und Probleme kennt. Aufgabe der Führungskräfte ist es, die Organisation zu befähigen, diese Wege zu finden und Lösungen zu entwickeln. In der Konsequenz muss Führung basisorientiert sein, das heißt, Führungskräfte müssen den Kontakt zur Basis halten, um zu verstehen, was ihre Organisation an Empowerment bedarf.

 

Ihr Verständnis, dass eine Führungskraft selbst nicht der beste Problemlöser sein muss,  bedeutet für die Bahn sicher einen Paradigmenwechsel.

 

Die Bahn ist ein durch und durch technisches Unternehmen. Aber in Zeiten der Pandemie ist Kontrolle eine Illusion. Wir können nicht in jedem Rangierbahnhof, in jeder Lok die Einhaltung der Hygienemaßnahmen prüfen. Die Verantwortung muss also auf die Ebene der Teams delegiert werden. Für gewöhnlich galt in der Vergangenheit – übrigens in der gesamten Wirtschaft: je kritischer die Situation, desto militärischer die Führungsstruktur. Und sicher bedeutet auch in Zukunft gute Führung – gerade in Zeiten massivster Unsicherheit –, Orientierung zu bieten und klare Entscheidungen zu treffen. Aber innerhalb eines gewissen Rahmens müssen sich Teams selbst organisieren und eigenverantwortlich handeln können, um ihre Ziele zu erreichen.

 

 

Wie stark ist der Güterverkehr von der Corona-Pandemie getroffen worden?

 

Am Anfang war nicht absehbar, wie sich die Krise auf den Schienengüterverkehr auswirken würde. Daher galt die Regel: Wir fahren alles unter den jeweils gegebenen Umständen. Klar ist, wenn die Produktion stillsteht, rollen auch keine logistischen Prozesse. Insofern betrifft die Krise das Transportgeschäft indirekt, wenn auch sehr stark. Wir halten uns damit aber nicht auf, sondern legen unseren Fokus auf die Zeit jenseits der Pandemie. Der Güterverkehr wird daran gemessen, wie sich die Zahlen entwickeln, wenn die Krise überstanden ist. Diesen unternehmerischen Optimismus möchte ich gerade jetzt noch stärker ausbilden. Eine motivierende Unternehmensstrategie wird zu einem umso größeren Wert.

 

Die DB Cargo gilt als Sorgenkind des Konzerns. Die BVG haben Sie als Vorstandsvorsitzende erstmals in die schwarzen Zahlen geführt. Welche Erfahrungen bringen Sie aus dem Turnaround der regionalen Verkehrsbetriebe in die Transformation des globalen Schienengüterverkehrs ein?

 

In meiner Zeit bei der BVG habe ich gelernt, wie wichtig die Brand eines Unternehmens ist. Die BVG war vormalig der Prügelknabe Berlins – unpünktlich, dreckig, verlustig. Während meiner Zeit als Vorstandsvorsitzende haben wir das Unternehmen nicht nur wieder profitabel gemacht, sondern auch die Marke besser positionieren können. Auf die veränderte Wirkung unserer Marke folgten wiederum politische Unterstützung und finanzieller Erfolg. Denn jeder investiert lieber in eine Erfolgsgeschichte als in ein schwarzes Loch. Kinder sind mittlerweile stolz auf ihre Eltern, die für die BVG arbeiten. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfahren Zuspruch von den Fahrgästen. Diese Reaktionen zeigen, wie mächtig der Veränderungshebel der Brand ist.

 

Wie gelingt der Transfer von der BVG zur DB Cargo?

 

Die Unternehmen sind nur bedingt vergleichbar, der Schienengüterverkehr ist ein reines B2B-Geschäft. Richtig ist, dass das Branding immer zum Unternehmen passen muss. Sicher ist die Bahn eine andere Hausnummer. Und zwar nicht nur das Geschäftsmodell ist anders. Unsere Stakeholder sind neben Kunden auch politische Entscheider und Entscheiderinnen. Das Umfeld ist viel internationaler. Aber auch hinter B2B-Beziehungen stehen Menschen, die über eine Vielzahl von Kanälen, vor allem auch mittels sozialer Medien, erreicht werden können. Daher stellt sich auch für die DB Cargo die Frage: Wie wollen wir als Unternehmen wahrgenommen werden?

 

Und wie lautet Ihre Antwort?

 

Ich verweise dann immer auf das Pariser Klimaschutzabkommen – mit den CO2-Zielen für Deutschland. Diese schaffen wir, wenn wir den Modal-Split-Wert für Schienenverkehr von derzeit 18 auf zukünftig 25 Prozent erhöhen. Unser Unternehmen erfolgreich zu machen, bedeutet also, zum Klimaschutz beizutragen. Daher sage ich immer: Wenn du bei DB Cargo arbeitest, brauchst du keinen Purpose-Workshop.

 

 

Mit welchen Führungsinstrumenten gelingt die Übersetzung von Brand und Purpose ins operative Geschäft?

 

Zum einen im persönlichen und vertraulichen Gespräch, in Corona-Zeiten auch per Video. Zum anderen über Zielharmonisierung, also transparente und individuelle Erwartungshorizonte einerseits und global gestaltetes Performance Management andererseits, was meines Erachtens eine Ablösung der typischen, prozentual bezifferten Zielerreichungsgespräche bedeuten wird. Darüber hinaus ist Feedback das für mich wichtigste Führungsinstrument – verbunden mit dem Mut, sich positiv und negativ zu äußern, offen und ehrlich zu kommunizieren und als Führungskraft für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berechenbar zu sein.

 

Was ist für Sie die größte Herausforderung für Führungskräfte – in der Krise und danach?

 

Meine größte Herausforderung besteht darin, vor dem Hintergrund steigender Anforderungen Führungsarbeit so zu komprimieren, dass auch in kleinen Zeitfenstern Zusammenarbeit und eben auch gute Führung entstehen können.

 

Und wie konnten Sie diesem Anspruch bisher gerecht werden?

 

Ich habe unter anderem meine internationale Organisation davon überzeugen können, dass nicht   immer die CEO persönlich anwesend sein muss, um Entscheidungen herbeiführen zu können, dass wir als Vorstand ein Team sind und jedes Vorstandsmitglied gleichberechtigt ist. Das ist zeitlich effizient und gleichzeitig wirksam. Es bleibt dabei: Führung ist People Business ist Empowerment.

 

Frau Nikutta, vielen Dank für das Gespräch.

 

Dieses Interview ist Teil der Publikation „Lead“ – Das Kienbaum Leadership Magazin, das Sie hier anfordern können.

 

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