Organisationale Netzwerkanalyse – Case Study

Organisationale Netzwerkanalyse – Case Study

Obwohl die Organisationale Netzwerkanalyse (ONA) als Trendbegriff im Themenfeld People Analytics immer öfter aufkommt, ist die Anzahl veröffentlichter Praxisbeispiele überraschend gering.

Richtig angewendet kann die ONA als wissenschaftlich fundierte Methode dienen, um organisationale KPIs zu messen und im Idealfall sogar eine gänzlich neue Perspektive in der Analyse von Organisationen eröffnen. Wir bei Kienbaum haben die ONA genutzt, um den Effekt unserer organisationalen Transformation zu verstehen und zu visualisieren. Wir wollen Einblicke in unsere Methodik, unseren Prozess und die Ergebnisse gewähren.

Was ist eine organisationale Netzwerkanalyse?

Organisationale Transformationen sind kompliziert in ihrer Planung und Durchführung, doch noch viel herausfordernder kann es sein, ihren Erfolg zu messen und zu operationalisieren. Durch technologische Fortschritte und Entwicklungen in den Bereichen Data Science und People Analytics sind wir heute in der Lage, ein Instrument weiterzuentwickeln und anzuwenden, dessen zugrundeliegende Theorie bereits seit den 50er-Jahren besteht: Die Organisationale (oder auch soziale) Netzwerkanalyse (ONA).

Organigramm Versus Organisaitonales Netzwerk

Abbildung 1: Organigramm versus Organisationales Netzwerk

Die ONA ist eine Analysemethode, die Organisationen als eine Gruppe von Individuen darstellt, die auf Basis ihrer alltäglichen Interaktionen und Beziehungen miteinander verbunden sind. Das daraus resultierende Netzwerk kann nach unterschiedlichen Charakteristika wie beispielsweise dem Grad der Vernetzung oder der Existenz isolierter Gruppen mathematisch analysiert werden. Anders als ein Organigramm visualisiert ein Netzwerk die Organisation basierend auf realem Verhalten. Eine ONA bietet demnach fernab von formalen Organigrammen eine Möglichkeit, um auf informeller Ebene Einblicke in Organisationen zu erhalten und sie als das zu betrachten, was sie im Kern sind: Ein Geflecht sozialer Beziehungen.

Datenerfassung

Organisationale Netzwerke basieren auf Interaktions-, Beziehungs- und Verhaltensdaten. Hierbei kann es sich um anonymisierte E-Mail-Korrespondenzen, gemeinsame Kalendereinträge oder auch Skype-Telefonate handeln. In unserer Analyse haben wir uns für eine weniger intrusive und die Privatsphäre schützende Datenquelle entschieden. Unsere tägliche Arbeit als Consultants in der Unternehmensberatung ist in Projekten organisiert, denen wir für eine bestimmte Zeit zugeordnet sind. Durch einen Auszug aus unserem CRM-System und ein wenig Datenverarbeitung konnten wir Informationen darüber gewinnen, welcher Berater in den vergangenen zwei Jahren mit welchen Kollegen gemeinsam an einem Projekt gearbeitet hat. Obwohl informelle Interaktionen auf diese Weise nicht erfasst werden, bieten Projektdaten einen guten Ansatz, um die Zusammenarbeit innerhalb einer Beratung zu operationalisieren.

Datenanalyse

Nach der Datenvorbereitung und der Anordnung in Knoten (Mitarbeiter) und Kanten (gemeinsame Projekte) kann die Topologie oder Struktur des entstehenden Netzwerkes analysiert werden. Wenig überraschend lässt sich in Abbildung 2 bereits erkennen, dass die Organisation aus zwei großen Sub-Netzwerken besteht, welche unsere beiden Kerngeschäfte darstellen: Management-Beratung und Leadership Advisory.

Die Farbgebung der Knoten im folgenden Bildausschnitt bezeichnet die unterschiedlichen Kompetenzzentren. Wir konnten eine starke Zusammenarbeit zwischen spezifischen Kompetenzzentren identifizieren, aber auch Potentiale für mehr Synergien zwischen den einzelnen Bereichen, welche gegenseitig von ihrer Expertise profitieren könnten. Neben kleinen Gruppen, die sehr stark auf ihre eigenen Projekte fokussiert sind, konnten wir des Weiteren so genannte Schlüsselpersonen oder Konnektoren identifizieren, welche unterschiedliche Bereiche miteinander verbinden. Generell sind diese Erkenntnisse nicht per se als positiv oder negativ zu bewerten. Zunächst einmal handelt es sich um eine rein deskriptive Beobachtung auf Basis der Daten, deren Interpretation stark von ihrem qualitativen Kontext abhängt.

Das Ergebnis Der ONA Bei Kienbaum

Abbildung 2: Das Ergebnis der ONA bei Kienbaum

Unser ursprüngliches Ziel war eine Analyse unserer organisationalen Transformation. Das übergeordnete Ziel des Transformationsprozesses bei Kienbaum war es, Silos aufzubrechen, Zusammenarbeit zu fördern und den Austausch von Wissen zu erleichtern, um unsere Kunden noch zielgerichteter mit der umfassenden Expertise von Kienbaum unterstützen zu können. Eine der größten Herausforderungen in der Anwendung der ONA ist die Operationalisierung von organisationalen und geschäftsrelevanten Kennzahlen in Netzwerk-Metriken und deren kontextuelle Interpretation. An diesem Punkt hören die meisten Fallstudien über die Anwendung von People Analytics auf – wir möchten unseren Ansatz dagegen teilen:

Um die Veränderungen in der Organisation zu beurteilen, haben wir unseren Datensatz aufgeteilt und die Jahre 2017 und 2018 getrennt voneinander analysiert. Durch den Vergleich zweier Zustände eines identischen Netzwerkes werden Veränderungen sichtbar und Netzwerk-Metriken wie die Dichte der Anzahl unterschiedlicher Cluster können gegenübergestellt und interpretiert werden.

Gegenüberstellung Der Organisationalen Netzwerke Von Kienbaum In Den Jahren 2017 Und 2018

Abbildung 3: Gegenüberstellung der Organisationalen Netzwerke von Kienbaum in den Jahren 2017 und 2018.

Im Vergleich von 2017 und 2018 betrachteten wir die Geschäftsbereiche, die am stärksten von unserer Transformation betroffen waren – Competence Center in der Management-Beratung. Während das Netzwerk im Jahr 2017 in acht Cluster segregiert werden konnte, hat es sich im Jahr 2018 substanziell verdichtet, sodass sich der Abstand zwischen den einzelnen Clustern verringert hat und die Anzahl der Cluster auf fünf reduziert wurde.

Im nächsten Schritt lässt sich das quantitative Maß an Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Kompetenzzentren analysieren. Da es unserem aktuellen Wissensstand nach keine standardisierte Metrik in der Graphentheorie gibt, welche singulär und isoliert Zusammenarbeit in Abhängigkeit von Knotencharakteristika beschreiben könnte, haben wir die cross-funktionale Zusammenarbeit als das Verhältnis der Verbindungen zwischen Mitarbeitern verschiedener Geschäftsbereiche und der Gesamtanzahl aller Verbindungen operationalisiert. Auf diese Weise liefert der Collaboration Score einen Anhaltspunkt dafür, wie stark die Organisationsstruktur die Zusammenarbeit beeinflusst.

Collaboration Score

Der Wertebereich des Collaboration Scores reicht von 0 (nur Zusammenarbeit innerhalb der Geschäftsbereiche) bis 1 (ausschließliche Zusammenarbeit über Geschäftsbereiche hinweg). Zwischen 2017 und 2018 stieg die cross-funktionale Zusammenarbeit von .16 auf .23 an.

Vergleich Der Cross Funktionalen Zusammenarbeit Bei Kienbaum In Den Jahren 2017 Und 2018

Abbildung 4: Vergleich der cross-funktionalen Zusammenarbeit bei Kienbaum in den Jahren 2017 und 2018

So what?

Die ONA ist vielmehr eine deskriptive als eine vorhersagende oder präskriptive Methode im Rahmen von People Analytics und muss auch nicht mehr als das sein: Um ihren Hauptzweck – die Bereitstellung von Leistungskennzahlen für verschiedene Arten organisationaler Entwicklungsprojekte – zu erfüllen, können deskriptive Netzwerk-Metriken transformiert und standardisiert werden, wie anhand unseres Collaboration Scores demonstriert. In unserer Analyse haben wir den Erfolg unserer Organisationstransformation nachverfolgt und ungenutzte Synergien zwischen den Teams identifiziert. Zukünftig können wir uns auf die Förderung der Zusammenarbeit zwischen diesen spezifischen Geschäftsbereichen fokussieren. Vielmehr noch sind wir von nun an in der Lage, unsere Anstrengungen bei der Fortschreibung des Transformationsprozesses mit standardisierten Leistungskennzahlen zu evaluieren. Darüber hinaus konnten wir Wissensvermittler und Schlüsselpersonen identifizieren, die unterschiedliche Teile der Organisation für Beratungsprojekte zusammenbringen können.

Kienbaum investiert in die Wissenschaft der System-Simulation und baut derzeit ein People Analytics Team auf, um unsere Kunden zukünftig in Entscheidungsprozessen entlang der gesamten HR-Wertschöpfungskette unterstützen zu können. Wir glauben an die Kraft und Zukunft von „data-driven decison-making“ – insbesondere, wenn es um Personalentscheidungen geht.

Bei Fragen wenden Sie sich gerne an Yannik Leusch (+49 30 88 01 98-49), People Analytics Lead.

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