Agilität in neuen Dimensionen

Agilität in neuen Dimensionen

In der Interviewserie „Leadership im StatusNow – Neue Herausforderungen für Unternehmen“ spricht Dr. Anna-Maria Karl mit CHROs, GründerInnen & Persönlichkeiten aus verschiedenen Branchen, Bereichen und Unternehmen darüber, wie sie die Herausforderungen der aktuellen Situation bewältigen. Viktor Schoner, Intendant der Staatsoper Stuttgart, hat sie gefragt, welche Fähigkeiten und Kompetenzen es braucht, um in unsicheren Zeiten einen Kulturbetrieb zu steuern.

Viktor Schoner, Intendant der Staatsoper Stuttgart (Foto: Matthias Baus)

Viktor Schoner ist seit der Saison 2018/2019 Intendant der Staatsoper Stuttgart. Sein Thema ist die Zukunftsfähigkeit der Oper. Die über 400 Jahre alte Kunstform vermochte es stets, gesellschaftliche und technische Entwicklungen aufzugreifen und in ihre Darstellungsmöglichkeiten zu integrieren.

Seit Beginn der Pandemie im März dieses Jahres musste er den Spielplan der Oper mehrfach kurzfristig umplanen und in Hochgeschwindigkeit neue, zum Teil rein virtuelle Formate entwickeln. In unserem Interview sprechen wir darüber, welche Leadership Skills es braucht, um diese Herausforderungen bewältigen zu können und was die Wirtschaft vom Kulturbetrieb lernen kann.

 

 

 

 

Lieber Viktor, Dich „kurz“ vorzustellen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Kannst Du Deinen Werdegang „in a nutshell“ für uns zusammenfassen?

Es gibt im Grunde eine sehr klare Linie, die zu diesem Engagement in Stuttgart als Intendant der Staatsoper führt – ohne dass ich es konkret darauf angelegt hätte: Nach einem Musikstudium in Berlin war ich für 2 Jahre Fellow an der New York University für Musikwissenschaft und Cultural Management. Eine sehr prägende Zeit zwischen 1999 und 2001. Denn in diesem „Exil“ wurde mir klar, dass die europäische Kunstgeschichte ist, die im 20. Jahrhundert zu solch außerordentlichen künstlerischen Phänomenen wie Anselm Kiefer oder Gerhard Richter führte, die in den 1990ern die Stars im MOMA waren. Und gleichzeitig stellte sich die Frage, wie wir mit diesem Kulturschatz im 21.Jahrhundert umgehen werden, wie wir ihn unseren Kindern und Kindeskindern vermitteln, wie wir Neues schaffen, ohne Altes zu verleugnen. Vor diesem Hintergrund gründete ich mit der Deutschen Bank einen Think Tank für die Oper (Akademie Musiktheater Heute), wurde persönlicher Referent von Gerard Mortier, den ich bei seinen Positionen als Intendant der Salzburger Festspiele, der RuhrTriennale und der Pariser Oper begleitete, um dann von 2008 bis 2017 als Künstlerischer Betriebsdirektor an der Bayerischen Staatsoper in München zu arbeiten. Oper als Bindeglied von Musik, Text und Szene, Oper als Treffpunkt verschiedenster Künste und Künstler, Oper als Institution und Gebäude für alle citoyens einer modernen Stadtgesellschaft zu verstehen, ist seither mein Credo. Nirgendwo besser könnte man das besser realisieren als an der wunderbaren Staatsoper Stuttgart in dieser wunderbar komplexen, stets neugierigen großen Kleinstadt.

 

Die Stuttgarter Zeitung hat Dich und Deine Kollegen kürzlich als „Weltmeister im Umplanen“ bezeichnet. Wie geht es Euch dabei?

Wo soll ich mit der Antwort beginnen? Seit Beginn der Pandemie ist der Spielplan kein „Plan“ mehr. Vielfach haben wir alles auf den Kopf gestellt und immer wieder alles von vorne begonnen: Von der Vollbremsung über den Neustart in den Notlauf und wieder zum Stillstand. Seit November finden ja keine Veranstaltungen im Opernhaus mehr statt. Dennoch laufen die Arbeiten hinter den Türen des Opernhauses weiter, da die Planungen für die zweite Hälfte der Saison und auch für die nächsten Jahre weitergehen müssen. Das ist eine echte „Durststrecke“, die wir in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten durchstehen.

 

Viele Unternehmen erleben einen ähnlichen Spagat: Einerseits erfordert die aktuelle Lage eine schnelle Anpassung an die Gegebenheiten, andererseits muss der laufende Betrieb fortgeführt werden. Worauf kommt es bei dieser Herausforderung am meisten an?

Es geht darum, zwischen den Extremen eine gute Balance zu finden. Die Corona-Pandemie hat neue Themen zutage gefördert und alte Strukturen aufgebrochen. Gleichzeitig waren viele kreative Ideen schon vorhanden und haben uns dabei geholfen, schnell auf die Situation zu reagieren und das Pendel zwischen Bewährtem und Neuem ausgewogen hin und her schwingen zu lassen. Leadership hat etwas mit Beschleunigung und Verlangsamung zugleich zu tun. Konkret heißt das, dass wir sehr viel experimentiert haben, indem wir klassische Inhalte anders und situationskonform präsentiert haben, wie zum Beispiel bei den 1:1-Konzerten oder unserem „Parcours“, mit dem wir es bis in die NY Times geschafft haben. Das hat uns zwar Kraft gekostet und zu Entscheidungen mit unbekanntem Ausgang gezwungen, die Bereitschaft, offen für Neues zu sein und bewusste Risiken einzugehen, war aber schlussendlich sehr erfolgreich.

 

Aus Sicht der Unternehmen sind Future Skills wie zum Beispiel Adaptionsfähigkeit, Kreativität und Durchhaltevermögen, so wie Ihr es in den letzten Monaten gelebt habt, essenziell für die Zukunftsfähigkeit von Organisationen. Wie wichtig ist Mut in diesem Kontext?

 Mut ist in jeder Lage wichtig und steht Entscheidern gut zu Gesicht. Gleichzeitig darf man die Doppelbödigkeit von Mut nicht verkennen. Mut kann schnell in Hochmut oder Übermut umschlagen – so, wie man es in vielen Opernlibretti sieht…  Dabei läuft man Gefahr, Menschen zu verlieren, die mit der Situation nicht zurechtkommen und sich nach Sicherheit sehnen, die es im Moment nicht gibt.

 

Mit der „Sehnsucht nach Sicherheit“ setzt Ihr Euch an der Staatsoper künstlerisch laufend auseinander. Welche Rolle spielt Sicherheit in Deinem Führungsalltag?

Sicherheit ist ein wichtiges Konzept und ich versuche, meine Mitarbeiter*innen durch Kommunikation und Erläuterung der Maßnahmen abzuholen. Gerade in der Welt der Kunst, wo Opern- und Theaterhäuser doch „Safe Spaces“ des künstlerisch-inhaltlichen Diskurses sind, ist dies für alle Stakeholder wichtig. An der Staatsoper Stuttgart haben wir uns damit auch intensiv unter der Überschrift „Sind Sie sicher?“ beschäftigt und Mitarbeiter*innen der Staatsoper, Kooperationspartner*innen und auch das Publikum selbst zu Wort kommen lassen, um mit ihnen in den Dialog zu treten. Dabei sind wir folgenden Fragen nachgegangen: „Wie sicher können Orte sein?“, aber auch: „Wie sicher sind wir uns unserer selbst?“

Die Sehnsucht nach Sicherheit ist ja kein Phänomen unserer Zeit. Es hat die Menschen schon immer umgetrieben. Und das Streben nach der Beantwortung offener Fragen kann man wunderbar bei „Lohengrin“ im dritten Akt beobachten….

 

Wie kann die neue hybride und flexible Arbeitswelt längerfristig funktionieren, ohne zur individuellen Überforderung zu führen?

In einer so vielfältigen Organisation wie dem Staatstheater Stuttgart, dem größten Dreispartenhaus Europas, arbeiten unterschiedliche Berufsgruppen und Mindsets, langjährige und neue Mitarbeiter*innen aus verschiedenen Nationen zusammen. Darunter gibt es naturgemäß ebenso unterschiedliche Erwartungen wie Bedürfnisse nach Zusammenarbeit in traditionellen und neueren Arbeitsformen. Wichtig ist, sich immer wieder zu fragen: Auf welcher Basis machen wir das alles, was macht unseren „USP“ aus und wie kann man dabei die persönliche Nähe und Bindung pflegen und aufrechterhalten?

 

Welche Rolle spielen dabei Werte und Traditionen im Verhältnis zur Disruption des Bestehenden?

Wenn wir Opern spielen, wie zum Beispiel den schon erwähnten „Lohengrin“, geht es um historische Gesellschaftsformen und Bezüge. Da fragen wir uns oft nach der richtigen Balance zwischen Tradition und Moderne. Corona hat meines Erachtens deutlich gezeigt, dass Tradition Identität stiften kann, was dabei hilft, mit der Unsicherheit der Situation zurecht zu kommen. Gleichzeitig ist uns bewusst, dass wir konsequent neue Wege gehen müssen, wie etwa in der Nutzung von Social Media, um Kontakt mit unseren Zuschauern zu halten und natürlich auch, um neue Zielgruppen zu erreichen.

 

Sind dabei auch ganz neue, innovative Formate denkbar?

Sicher, wer weiß, vielleicht ist es bald en vogue, sich zu Opernabenden im privaten Bereich zu verabreden, diese im Livestream anzuschauen und sich anschließend darüber auszutauschen. Vielleicht schaffen wir es, durch die Notwendigkeit digitaler Formate neue Wege der Kommunikation von Hochkultur zu erschließen, die eine höhere Zahl von Followern generieren als man das bisher kannte.

 

Was ist Dein persönliches Credo in der Rückschau und im Ausblick auf das neue Jahr?

Neben all den Veränderungen, die uns auch weiterhin begleiten und nach vorne bringen werden, gibt es unveränderliche Konstanten, die wir erst heute in der Rückschau richtig zu schätzen gelernt haben und als Teil unserer Identität begreifen. Mehr denn je wird es in Zukunft darum gehen, Brücken zu bauen, um den Menschen, aber natürlich auch der Kunst gerecht zu werden.

 

Sie haben Fragen? Dann sprechen Sie uns gerne an:

Dr. Anna-Maria Karl | E-Mail: anna-maria.karl@kienbaum.de | Tel.: +49 711 72 72 17-57

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