Vom Business Partner zum Business Leader

Vom Business Partner zum Business Leader

Frauke von Polier ist eine Grenzgängerin. Als ehemalige Chief People Officer von Zalando und COO People bei SAP zählt sie zu den heute mehr denn je gefragten HR-Profilen, die Personal-, Geschäfts- und Technologiekompetenz in sich vereinen.

Mit ihrem jüngsten Mandat als Beirätin bei HeyJobs erweitert sie ihren Radius auf das beratende Organ im Führungsgremium. Im Gespräch mit Kienbaum fordert sie einen Wandel in der Besetzung von Kontrollgremien, welche die strategischen Herausforderungen von Unternehmen nicht allein mit Finanzexpertise und operativer Erfahrung lösen können. Den Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit sieht sie in der Integration von People-Treibern der Unternehmensentwicklung.

 

Frauke, du blickst auf eine Vielfalt beruflicher Stationen zurück. Welches Leitmotiv zieht sich durch deinen Werdegang?

 

Mich treibt eine Leidenschaft, mit People-Themen Herausforderungen im Business anzugehen. Nach meinem Studium bin ich zunächst in die Online-Welt abgetaucht und habe Business Development unter anderem für Bertelsmann und die Otto Group gemacht. Dabei hat mich die Frage beschäftigt, wie ein Kundenproblem durch Technologie gelöst und daraus ein Geschäft gebaut werden kann. Als ich später ins Recruiting von Otto gewechselt bin, habe ich IT-Talente rekrutiert und diese Lösungsmotivation auf das People Management übertragen. So habe ich das erste Mal mein heutiges Leitmotiv in Aktion gesehen.

 

Mir scheint, diese dezidiert unternehmerische Position ist einerseits plausibel, andererseits exotisch in der deutschen HR Community.

 

Frauke von Polier

Frauke von Polier, ehemalige Chief People Officer von Zalando und COO People bei SAP mit uns im Videocall

Ich denke, dass es eine neue Generation von Personalern, Gründern und Unternehmern gibt, die genau so denken. Trotzdem wird der Geschäftsanteil der Personalarbeit vielerorts unterschätzt. Nicht zuletzt aufgrund meiner Start-up-Erfahrungen bin ich seit langem durch die Denke des Silicon Valleys und Menschen wie Laszlo Bock beeinflusst. Laszlo hat früh davon gesprochen, einen Profilmix aus Personal-, Geschäfts- und Technologiehintergrund anzustreben. Ich halte ein tiefes Technologieverständnis für wichtig, um die System- und Dateninfrastruktur so aufzubauen, dass sie den Kundenbedürfnissen gerecht wird. – Und um personalstrategische Entscheidungen, die für das operative Geschäft wichtig sind, datenbasiert zu treffen. Wie können wir eine Konversation über Talente, Teams und Leadership führen, wenn die Daten dazu nicht verfügbar sind?

Bei SAP hast du drei Schlüsselfaktoren – People-Strategie, Analytics und Technologie – zuletzt in einer Rolle vereint. Wo liegt der Wertbeitrag dieser Kombination?

 

Strategie, Analytics und Technologie sind die Treiber der digitalen Transformation. In meiner Rolle als COO People durfte ich die neue Business-Strategie von SAP entscheidend mitgestalten und die personalstrategischen Aspekte verweben. Ich verstehe mich explizit nicht als klassische HR-Expertin in solchen Prozessen, sondern im erweiterten Sinne als Verantwortliche für People- und Organisationstreiber der Unternehmensentwicklung. Die Kundenfreundlichkeit der internen Kunden spielt dabei eine genauso so große Rolle wie die Zufriedenheit der anderen Stakeholder Aufsichtsrat, Aktionäre oder Kunden.

Prof. Dr. Walter Jochmann

Prof. Dr. Walter Jochmann im Videocall

 

SAP hat im Zuge der Qualtrics-Akquisition den Begriff des „Human Experience Managements“ geprägt. Du selbst hast dieses Konzept als Treiber eines radikalen Wandels im People Management bezeichnet – inwiefern?

 

In einer echten Digitalisierung rückt der Mensch in den Fokus – seien es die Partner, Kunden oder Mitarbeiter eines Unternehmens. Es geht darum, menschliche Bedürfnisse bestmöglich zu erfüllen. Die Lösungen für diese Bedürfnisse haben nicht nur eine technologische, sondern immer auch eine emotionale Dimension. An dieser Stelle kommen Gefühle, Erlebnisse, eben „Human Experiences“ ins Spiel. Damit stellt sich ein doppelter Paradigmenwechsel für das People Management ein: Zum einen fügen wir der Digitalisierung eine empathische, menschliche Dimension hinzu; zum anderen müssen die People Manager Treiber der Digitalisierung werden, um sicher zu stellen, dass es um Menschen und nicht Maschinen geht.

 

Wie gelingt das Management von Emotionen bei der Arbeit?

 

Zuerst müssen „Experiences“ messbar gemacht werden. Jeder Mitarbeiter hat spezifische Berührungspunkte mit dem Arbeitgeber, in denen Gefühle in eine positive oder negative Richtung ausgelöst werden und damit die Experience bestimmt wird. Bei SAP haben wir ein groß angelegtes Research-Projekt zu eben diesen Berührungspunkten durchgeführt. Das Ergebnis: Von 100 Berührungspunkten gibt es im Verhältnis nur einen Moment, der wirklich zählt. Für das People Management gilt es, eben diese Momente – diese „Moments that matter“ – positiv zu gestalten.

 

Welche Momente sind das genau – nicht die Stationen im klassischen Mitarbeiterlebenszyklus, vermutlich?

 

Richtig – das „Onboarding“ oder der „Recruiting-Prozess“ ist kein Moment in sich, sondern birgt viele Berührungspunkte. Ein solcher Moment wäre die Wartezeit nach einem Interview: Die 48 Stunden zwischen Interview-Termin und Feedback-Gespräch sind von einer besonders emotionalen Beanspruchung gekennzeichnet. Die Bewerberin oder der Bewerber hat sich exponiert in einem Gespräch und jemand anderes entscheidet über den nächsten Schritt; typischerweise wird hier ein Machtgefälle erlebt. In unserem Research-Projekt haben wir uns gefragt, wie dieser Moment gemanagt werden kann – egal, ob es eine Zu- oder Absage ist. Unser empathischer Ausdruck gehört also genauso in die Zusage, in die Absage, in den Rückruf, in das Feedback. Wir haben über unterschiedliche Formate und Zeitpunkte getestet, wie wir die Empathie in diesem Moment nach oben katapultieren und somit die Experience positiv erleben können. Typischerweise weiß die HR-Seite Formulare und Prozesse zu managen, unterstützt aber nicht unbedingt die Emotionen. Mit den Möglichkeiten der Digitalisierung kann das People Management Prozesse human-zentriert gestalten.

 

Neuerdings setzt du zusätzlich Impulse nicht nur in Exekutivfunktionen, sondern auch als Beirätin. Welche persönliche Motivation steht dahinter?

 

Ich bin überzeugt, dass eine ausgeprägte People-Kompetenz Organisationen nachhaltig und langfristig erfolgreicher macht und von daher müssen wir in Vorstands- und Aufsichtsratsgremien sitzen. Diese Überzeugung ist durch die Pandemie zusätzlich befördert worden: Die strukturelle Diskriminierung, unsere Klimakrise, die Volatilität der Demokratie, die neue Normalität unserer Arbeitswelt haben mich dazu bewegt, über meinen eigentlichen Job hinaus etwas von meinem Wissen und meinen Erfahrungen zurückzugeben. Da liegt es nahe, sich neben einer festen Führungsrolle auch in Kontrollgremien zu engagieren.

 

… und deshalb setzt du deine People-Kompetenz gezielt in Kontrollgremien ein.

 

Richtig, ich habe festgestellt, dass Personalkompetenz in Kontrollgremien unterrepräsentiert ist. Dort überwiegen finanzielle und operative Expertise, die zweifellos wichtig sind. Aber gerade die Krise führt uns derzeit vor Augen, wie wir mit People- und Leadership-Bausteinen Organisationen zukunftsfest gestalten können. Wie viele CHROs sitzen in DAX-Aufsichtsräten? Mir sind so gut wie keine bekannt.

 

Und wie gefragt erlebst du gerade diese, deine People-Kompetenz?

 

Ich will ehrlich sein: Ich habe in der Vergangenheit häufiger Anfragen zu Aufsichtsratsmandaten bekommen, da Frauen und meine Erfahrung bei Zalando eine gefragte Kombination sind. Obwohl ich einen MBA und Business-Hintergrund habe, bekomme ich zurückgemeldet, dass es mir an kommerzieller Erfahrung fehle. Das zeigt mir, dass die People-Kompetenz als solche nicht in demselben Kurs zu stehen scheint und „People first“ aktuell noch mehr Lippenbekenntnis als gelebte Praxis ist. Von daher habe ich entschieden, mit einem HR-Tech-Unternehmen zu starten. Im Beirat von HeyJobs habe ich die Gelegenheit, sowohl HR- als auch Geschäftskompetenz einzubringen. Schon nach kurzer Zeit habe ich von den Investoren und Gründern gelernt und konnte einiges zurückgeben.

 

Wie erklärst du dir die Kluft zwischen Theorie und Praxis beim Thema „People first“?

 

Eine Teilverantwortung für die mangelnde Akzeptanz von Personalkompetenz liegt sicherlich auch bei uns als Personalverantwortlichen selbst. Wollen wir den viel zitierten Platz am Tisch einnehmen, müssen wir die Breite des Geschäfts verstehen. Ich selbst habe mich nie als Business-Partnerin gesehen, die sich erhofft, einen Platz am Tisch zu bekommen – sondern als Business Leader, die Themen verantwortet. Ich bereite für diese Themen keine Entscheidungen vor, sondern treffe sie mit. Damit geht ein anderes Selbstverständnis einher, auch eine andere Verantwortung.

 

Welchen Mehrwert haben Gremium-Mitglieder mit Personalkompetenz für das Gesamtgremium?

 

Jedes Unternehmen steht vor der strategischen Herausforderung, neue Geschäftsbereiche aufzubauen. Es braucht neue Fähigkeiten und weiterentwickelte Kompetenzen, die den Geschäftsaufbau unterstützen. Zwar treffen viele Aufsichtsräte und Beiräte in ihren Führungsfunktionen regelmäßig Personalentscheidungen, aber oft implizit, das heißt ohne tiefergehende Expertise in Kompetenzanalyse und -entwicklung. Hier haben Personaler einen Vorsprung und können wichtige strategische Diskussion mit dem Vorstand führen. Darüber hinaus ist die Gestaltung und Besetzung von Schlüsselrollen integraler Bestandteil der Arbeit von Kontrollgremien; dabei können Personaler mit ihren Skills in Leadership-Entwicklung und Nachfolgeplanung ebenfalls einen wertvollen Beitrag stiften. Und schließlich braucht es eine differenzierte Betrachtung der Unternehmensstrategie durch die People-Brille. In Kontrollgremien wird die Strategie größtenteils unter Aspekten ihrer inneren Plausibilität und Finanzierbarkeit diskutiert. Die strategische Personal- und Organisationsentwicklung als Erfolgsfaktor der Strategieumsetzung kommt hier zu kurz. Personaler können mit ihrem Hintergrund die Strategie einer neuen Dimension der Machbarkeitsstudie unterziehen.

 

Klingt nach einem starken Plädoyer für mehr Personalkompetenz in Aufsichtsräten und Beiräten. 

 

Es braucht eine neue Generation, die dieses Mindset einbringt, denn nur so kann Veränderung stattfinden. In den letzten Jahren habe ich viel mit Boards gearbeitet und während mehr Digitalkompetenz und weibliche Perspektive Platz finden, so finden die personalstrategischen Fragen nur wenig Gehör. Deutschland wird sich als attraktiver Talentmarkt für digitale Talente einen Namen machen müssen: Der Bedarf an People-Kompetenz reißt damit nicht ab.

 

Danke für das offene Gespräch. Dürfen wir zum Abschluss auch noch erfahren, ob du wieder eine Exekutiv-Position annehmen wirst, oder eher den Weg der pluralen Karriere mit verschiedenen Mandaten gehen willst?

 

(Lacht.) Ein paar Tage noch Geduld, Anfang März erzähle ich mehr! So viel verrate ich: Es ist eine tolle Möglichkeit, meinem Leitmotiv zu folgen und dabei noch das Richtige für unsere Welt zu tun.

Vielen Dank für das Gespräch.  

 

Haben Sie Fragen? Sprechen Sie uns an!

Frank Stein | E-Mail: Frank.Stein@kienbaum.de | Tel.: +49 211 96 59-327

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