„Im Change suchen Menschen nach jemandem, der vorne mit der Laterne den Weg weist“

„Im Change suchen Menschen nach jemandem, der vorne mit der Laterne den Weg weist“

Wenn der Wind der Veränderung durchs Unternehmen weht, braucht es jene Führungskräfte, die mit Elan vorangehen und andere dazu ermutigen, ihnen zu folgen. Das hat die leidenschaftliche Organisationsentwicklerin Julia Küting selbst oft genug erlebt. Im Interview spricht sie über die Herausforderung, sich selbst zu verändern, um wirksamer führen zu können, und erklärt, warum HR im Change Management ein wahrer Aktivposten geworden ist.

Julia, konkret auf den Punkt gebracht: Wie lautet Dein Führungsverständnis?

Mein Verständnis von Führung lässt sich mit zwei Metaphern beschreiben. Zunächst sehe ich mich als Trainerin am Spielfeldrand. Ich bin dafür verantwortlich, die richtigen Spieler im Team zu haben, ebenso dafür, dass die Strukturen klar sind, damit darin effektiv und effizient gearbeitet werden kann sowie dafür, dass Informationen über das Spiel und den Gegner vorliegen. Diese Ansicht beruht auf dem Prinzip, dass selbstorganisierte Teams Verantwortung übernehmen und in vielen Bereichen eigenständig handeln sollten.

Das zweite Bild ist die Außenministerin. Ich repräsentiere die Funktion HR sowie das, was wir machen nach außen, und versuche das innerhalb des Unternehmens und darüber hinaus publik zu machen und so unsere Position zu stärken oder ein Buy-in für das zu erhalten, was wir vorhaben. Auch wieder mit der Absicht, dass wir die nötige Unterstützung erhalten, damit das Team wirksam sein kann.

Wie wurdest Du Führungskraft und wer hat Dich auf dem Weg dorthin geprägt?

Ich hatte viel Glück, da ich in den unterschiedlichen Phasen meiner Karriereentwicklung eigentlich fast immer eine dazu passende Führungskraft hatte. Beispielsweise habe ich am Anfang einige Jahre für eine sehr stark fördernde Führungskraft arbeiten dürfen, die mein Potenzial erkannt und die für mich die richtige Balance zwischen Ermutigung, Befähigung und Herausforderung gefunden hat. Später in meiner Karriere hatte ich wiederum eine Führungskraft, die mich besonders gefordert hat, was mich fachlich und persönlich noch einmal unheimlich hat reifen lassen.

Der Prozess, eine Führungskraft zu werden, ist in meinen Augen ein fortlaufender, nie abgeschlossener Weg. Aktuell erlebe ich bei Wilo eine völlig neue Dynamik. Die Gesamtverantwortung für die People Funktion ohne eine darüberliegende Konzernstruktur wie in der Vergangenheit, bietet mir die Möglichkeit, mit dem Team und unseren internen Kunden eine eigene Richtung zu definieren und auch meine persönliche Fachperspektive mehr einzubringen. Es ist eine spannende Reise, die mich dazu anregt, meine eigenen fachlichen Prioritäten zu reflektieren und der HR-Organisation eine klare Identität zu verleihen.

Gab es Schlüsselmomente, die deine Art der Führung geformt haben?

Ein wichtiger Teil dieses Weges war die Erkenntnis, dass Führung nicht einfach die gleiche Tätigkeit auf einer höheren Ebene ist. Führung erfordert, sich von bestimmten inhaltlichen Aspekten zu verabschieden und eine neue Identität in der Führungsrolle zu finden. Die Schlüsselfrage dabei war, wie ich in dieser Rolle auftreten und wahrgenommen werden möchte und was nun meine Prioritäten sind – nämlich die Entwicklung von Strukturen, Teams und Einzelpersonen.

Ich selbst stand nach etwa anderthalb Jahren in der ersten Führungsverantwortung vor der Herausforderung, dass ich keine richtige Balance zwischen Fach- und Führungsaufgaben fand. Dies führte zu Überlastung und Lähmung im Team. Zu diesem Zeitpunkt zweifelte ich daran, ob die Führungsrolle wirklich zu mir passt. Ich musste zwischen Rückkehr in eine fachliche Rolle oder Weitermachen mit angepasster Herangehensweise wählen. Wenn ich an meine Führungskräfte-Vorbilder zurückdenke, dann hat bei ihnen die stark ausgeprägte fachliche Arbeit zu einem hohen Maß an Überarbeitung geführt. Das wollte ich weder für mich, noch für meine Organisation so haben. Deshalb entschied ich mich für den Fokus auf die Führungsaufgaben, die wirklich nur ich übernehmen kann und fing an, fachliche Themen und Entscheidungen mehr ans Team zu geben. Ich bin der Überzeugung, dass diese Vorgehensweise in einer zunehmend komplexeren Welt erfolgsversprechender ist. Denn es ist heute – und in Zukunft noch weniger – möglich, das für gute Entscheidungen erforderliche Wissen in einer Person zu bündeln.

Was glaubst Du, wie viel fachliches Know-how braucht eine Führungskraft heutzutage?

Die Frage nach dem benötigten fachlichen Wissen einer Führungskraft ist keineswegs pauschal zu beantworten. Ich glaube, das hängt stark von der Ebene ab, auf der du als Führungskraft agierst. Als Teamleiterin ist der fachliche Anteil zum Beispiel noch relativ hoch, da du deinem Team durch Enablement und Coaching vieles mit auf den Weg geben musst. Je höher du aber in der Führungshierarchie kommst, desto geringer wird der fachliche Anteil, wohingegen dein Hebel auf die Organisation umso größer wird. Themen wie Organisationsentwicklung, Change, Transformation und das Schaffen von Strukturen werden immer größer und reduzieren die Menge an fachlicher Arbeit.

Wie hast Du in den letzten Krisen die Rolle und die Wahrnehmung von HR bzw. die Veränderung dieser wahrgenommen?

Ich glaube, für die HR-Funktion war die Entwicklung der letzten Jahre  ein Segen, da viele erkannt haben, dass es sich um eine essenzielle Funktion handelt. Leider erst durch solche negativen Entwicklungen, da diese viele People- oder interne Kommunikationsthemen mit sich gebracht haben. Das resultiert jetzt auch in der Erkenntnis, dass das Thema Fachkräftemangel wirklich existiert und voll durschlägt. Unternehmensentscheider:innen bekommen dies nun verstärkt mit, was den Stellenwert von HR, der durch die letzten Krisen bereits gefestigt wurde, nochmal deutlich anhebt.

Außerdem gibt es kaum ein Unternehmen, das sich nicht in einer Transformation befindet, sei es durch Umdenken des Produktportfolios, Digitalisierung oder eine erforderliche Kulturveränderung. Dadurch hat HR einen anderen Stellenwert bekommen. Wir haben in den letzten Jahren gezeigt, dass wir Change-Prozesse hervorragend begleiten und bewältigen können, weswegen wir inzwischen mehr bei breiteren Transformationsprozessen mitdenken und unterstützen. Alles in allem, eine große Aufwertung für HR, und ich bin optimistisch, dass das so bleibt.

Was macht Dich zu einer positiven Change-Makerin bzw. wie gestaltest Du Veränderungsprozesse?

Change-Makerin ist ein sehr großes Wort. Ich glaube, dass ich einige Veränderungsprozesse ganz gut hinbekommen habe. Wenn ich retrospektiv darauf blicke, war der größte Erfolgsfaktor oder die wertvollste Erkenntnis dabei, dass große Veränderungsprozesse immer wirksame Personen brauchen, die für diese Veränderungsprozesse stehen. Menschen suchen im Kontext solcher Prozesse immer nach einem Anker – oder nach jemanden, der vorne mit der Laterne den Weg weist. Eine persönliche Ausstrahlung und Überzeugung, die Menschen inspiriert und mitzieht, ist hierbei von entscheidender Bedeutung. Ich habe gelernt, dass die Rolle als Wegweiser:in in Veränderungsprozessen eine gewisse charismatische Ausstrahlung erfordert, um andere zu ermutigen, sich in den Wandel einzubringen und ihm zu vertrauen.

Zudem habe ich erkannt, dass es in Veränderungsprozessen wichtig ist, nicht alles Bestehende radikal zu verwerfen. Oft ist eine ausgewogene Balance zwischen dem, was beibehalten werden sollte und dem, was verändert werden muss, erfolgskritisch. Eine effektive Kommunikation dieses Gleichgewichts ist essenziell, um Vertrauen zu schaffen. In der Praxis bedeutet dies, sowohl das Neue zu betonen, als auch die Stärken und bewährten Elemente der bisherigen Strukturen zu würdigen. Ein effektiver Change-Maker erkennt und schätzt die bestehenden Potenziale und stärkt gleichzeitig die Bereitschaft für Veränderung.

Was würdest Du als Deine persönlichen USPs in Sachen Führung sehen? Was machst Du anders als andere?

Meine Herangehensweise an Führung zeichnet sich möglicherweise durch einige charakteristische Punkte aus. Wenn ich mein Team fragen würde, würden sie sagen, dass der Grundsatz “tough on the issue but soft on the person” gut zu mir passt. Ich habe ein aufrichtiges Interesse an den Menschen, mit denen ich arbeite, und bemühe mich, sie als Individuen mit all ihren Facetten zu sehen und anzunehmen. Meine Erwartungen an inhaltliche Ergebnisse sind jedoch hoch, und ich bringe mich gerne in Dialog und Diskussion ein.

Wie siehst du das Thema “Frauen in Führungs-, speziell Vorstandspositionen” – Woran ist es in der Vergangenheit gescheitert und was ist die Strategie, um in der Zukunft Besserung zu schaffen?

CTA Executive Search Making The Difference Interview SerieEs nicht einfach damit getan, eine Frau irgendwo reinzusetzen, sondern auch das Vorstandsteam muss sich darauf einstellen, dass sich Dinge ändern werden. Es kommt eine neue Komponente ins Spiel, die bis dato nicht da war und die Dynamiken oder Entscheidungsprozesse vielleicht verändert – genau das, was man ja letztlich auch möchte. Das Verständnis davon, was es bedeutet, als gemischtgeschlechtliches Team zu agieren, wird oftmals nicht ausreichend hergestellt. Ebenso wie die Umgebung nicht ausreichend darauf vorbereitet wird. Es ist also Arbeit auf beiden Seiten erforderlich. Wenn diese auf einer Seite nicht ausreichend stattfindet, mag es dazu führen, dass manche Besetzung vielleicht scheitert.

Frauen sind meiner Wahrnehmung nach oftmals nicht mutig genug, den ganz großen Karriere-Schritt zu gehen und es gibt in vielen Unternehmen zu wenige Menschen, die sie darin bestärken. Deswegen finde ich das Thema Vorbilder enorm wichtig, damit man sagen kann: „Da gibt’s schon welche, die haben es geschafft und ich kann auch so mutig sein und diesen Schritt gehen“.

Am Ende des Tages gilt es auch anzuerkennen, dass die Talent-Pipeline an Frauen nicht sonderlich gut gefüllt ist.  Wenn man die Vorstandsebene betrachtet, passiert der Karriereweg, der mich dorthin führt, zwischen 30 und 40. Was gleichzeitig der Zeitraum ist, indem sich Frauen zwischen Kind und Karriere immer noch entscheiden müssen. Viele Frauen entscheiden sich an der Stelle für die Familie, was ich absolut nachvollziehen kann. Mir blutet dann dennoch immer das Herz, weil ich dieses riesige Potenzial sehe. Das ist aber ein gesellschaftliches und auch politisches Thema, was Unterstützungssysteme bei Kinderbetreuung angeht und ich denke, dass das in Deutschland auch dazu beiträgt, dass diese Pipeline nicht gut gefüllt ist.

Welche drei Personen würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen, um bei deiner Rückkehr eine noch bessere Führungskraft zu sein?

Ich würde meinen Mann mitnehmen, weil er aus meiner Sicht eine großartige Führungskraft ist und dabei völlig anders führt als ich. Da kann ich viel von seinen Ansätzen und Perspektiven lernen. Auf so einer einsamen Insel hätte man dann ja nochmal mehr Zeit, sich darüber auszutauschen und dazuzulernen (lacht).

Außerdem würde ich meine Mutter mitnehmen, da sie für mich ein unglaubliches Vorbild beim Thema Werte ist. Leben und Handeln nach den eigenen Werten, ist für mich ein wichtiges Thema für Führungskräfte. Auch gerade mit Blick auf die Zukunft, in der viele Entscheidungen nicht mehr schwarz-weiß sind, sondern anhand des eigenen Wertekompass getroffen werden müssen.

Als letztes würde ich jemanden mir bis dato unbekannten mitnehmen, den ich für das Thema Führung sehr bewundere. Und zwar Satya Nadella, den CEO von Microsoft, weil ich ihn wirklich sehr gerne kennenlernen würde und er auf der einsamen Insel genug Zeit hätte, sich mit mir auszutauschen, wenn er dort mit mir gefangen ist (lacht).

 

Über die Gesprächspartnerin:
Julia Küting leitet seit September 2020 als Senior Vice President die Funktion People & Culture des global agierenden Unternehmens Wilo SE. In dieser Aufgabe trägt sie die Verantwortung für das gesamte HR-Spektrum und arbeitet gemeinsam mit ihrem Team an ihrem Herzensthema: der Förderung einer nachhaltigen Kultur-, Leadership- und Organisationsentwicklung. Wilo ist mittlerweile in mehr als 60 Ländern tätig. Zusätzlich zu ihren Aufgaben ist sie seit Juli 2021 Mitglied des Beirats der HR Digitalisierungsberatung PENSHA.

 

Weitere Informationen zu unseren Leistungen und Ansprechpartner:innen: Unsere Expertise im Executive Search