„Definiere dich in deiner Rolle, nicht als Frau”

„Definiere dich in deiner Rolle, nicht als Frau”

Nicht immer fällt es Frauen leicht, in männerdominierten Zirkeln der Führungsebenen die Position zu bekommen, die sie vielleicht verdienen. Xenia Barth, CEO der Merz Consumer Care GmbH, empfiehlt ihren Mitstreiterinnen daher, sich ein neues Selbstverständnis zuzulegen.

Bei Merz Consumer Care GmbH ist die Quote von Frauen in Führungspositionen sehr hoch. Wie ist Ihnen das gelungen und welche Herausforderungen gab es auf dem Weg?

Stimmt, wir haben 42 Prozent Frauenquote im Führungsteam der LifeCare und 68 Prozent Frauen in generellen Führungspositionen. Der Anteil von Frauen im Unternehmen in Deutschland ist leicht über 74 Prozent. Das ist enorm. Auf der einen Seite ist das der Branche geschuldet. Auch wenn wir zur Merz Group gehören, verstehen wir uns nicht als Pharmaunternehmen, sondern definieren uns eher als FMCG-Unternehmen.

Unter der Unternehmensmarke Merz Lifecare sind wir hier mit den sehr bekannten Consumer Marken tetesept, Merz Spezial sowie Brooklyn Soap aktiv und bieten ein breites Portfolio an Gesundheits-, Wohlfühl- und Kosmetikprodukten. Dadurch sind wir vor allem sehr attraktiv für Marketeers sowie für R&D Entwicklungsleute, die in diese Branche wollen. Und das sind oft Frauen, schon von den untersten Ebenen an. Das heißt, ein bisschen prädestiniert ist die Branche dafür schon. Andererseits haben wir immer schon ein großes Angebot an Unterstützungsstrukturen gehabt von dem auch die weiblichen Führungskräfte sehr profitieren.

Welche sind das genau?

Xenia Barth Nathalie Rilling Interview

Xenia Barth (links) und Nathalie Rilling im Interview

Zum Beispiel die Möglichkeit der Teilzeit-Arbeit, Ferienbetreuung von Kindern, Unterstützung bei Pflege von Familienmitgliedern. Wir haben Kooperationen mit zwei Kitas. Wir setzen auf Vertrauensarbeitszeit und bieten mobiles Arbeiten und die Möglichkeit der Workation an. Das zentrale Element hierbei ist jedoch die gelebte Unternehmenskultur. Insbesondere die Vertrauensarbeitszeit wird von uns äußerst flexibel gehandhabt. Auch im Führungsteam gibt es viele Mitarbeitende, die kleine Kinder haben. In Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen höre ich oft Sätze wie: “Mein Kind wird jetzt eingeschult und wir müssen uns noch einpendeln. Ich werde die nächsten zwei Wochen früher gehen, um es vom Hort abzuholen, da wir noch keine langfristige Betreuungsmöglichkeit haben.” Ich schätze diese Offenheit und kann nur zustimmen: “Natürlich, kein Problem, machen wir so.”

Als Befürworterin einer ausgewogenen Work-Life-Balance nutze ich die zur Verfügung stehenden Flexibilitätsmöglichkeiten auch für meine eigenen Bedürfnisse. Beruflich bin ich in Frankfurt tätig, während ich meinen Wohnsitz in der Nähe von Heidelberg habe. Um meine familiären Verpflichtungen zu erfüllen, ist es mir zum Beispiel wichtig, dass das monatliche Führungsteam-Meeting pünktlich um 17 Uhr endet, wenn ich mein Kind abholen muss. Diese Regelung halte ich konsequent ein.

Des Weiteren haben wir beschlossen, keine Meetings mehr freitags nachmittags anzusetzen, um allen Mitarbeitenden unabhängig von ihren individuellen privaten Umständen mehr Flexibilität zu ermöglichen. Zusätzlich haben wir das mobile Arbeiten weiter ausgebaut, um den Bedürfnissen unserer Mitarbeiter gerecht zu werden. So kann pro Monat bis zu 70 Prozent der Arbeitszeit mobil erfolgen. Die Art und Weise, wie diese eingeteilt wird, liegt dabei im eigenen Ermessen.

Zudem zählen Dienstreisen bei uns zur Arbeitszeit im Büro. Diese Maßnahmen werden nicht nur von unseren Mitarbeitenden äußerst positiv aufgenommen, sondern erweisen sich auch für das Führungsteam als äußerst vorteilhaft.

Die Führungskräfte leben die Kultur selbst. Ist das der Hebel, damit solche Dinge funktionieren?

Ich bin davon überzeugt, dass dies zutrifft. Auch wenn viel im Intranet kommuniziert werden kann, zögern die Mitarbeitende oft zurück und befürchten, dass die Inanspruchnahme solcher Angebote zu negativen Reaktionen führen oder sich später nachteilig auswirken könnte. Personen mit umfangreicher Berufserfahrung und einem gewissen Selbstbewusstsein neigen eher dazu, solche Möglichkeiten zu nutzen. Jedoch ist es wichtig, sich in die Lage von Mitarbeitenden zu versetzen, die gerade erst ins Berufsleben gestartet sind. Sie fühlen sich oft unsicher und nehmen solche Angebote erst ernsthaft wahr, wenn sie von den höheren Ebenen tatsächlich vorgelebt werden.

Warum ist Ihrer Meinung nach in Deutschland die Besetzung oberer Führungspositionen mit Frauen weiterhin schwierig?

Ich glaube, das liegt u.a. auch an der verbreiteten Teilzeitkultur. Sie ist eine Option, die wir unseren Mitarbeitenden bieten und die auch häufig wahrgenommen wird. Gleichzeitig habe ich persönlich – nicht als Geschäftsführerin, aber als Mensch – ein ambivalentes Verhältnis zur Teilzeit. Weil ich mir oft denke, dass man sich indirekt dadurch Chancen verbaut oder die Karriere ein bisschen schwieriger gestaltet. Je höher ich aufsteige, desto größer werden per Definition die Aufgabengebiete und der Verantwortungsbereich.

Vielen Unternehmen fällt es schwer, auf diesen hohen Ebenen die großen Verantwortungsbereiche dann wieder in kleinere Happen zu zerlegen. Und da würde ich mich einschließen. Zwar gibt es auch in meinem Führungsteam eine wichtige Besetzung in Teilzeit, aber auch ich müsste grübeln, wie etwas umzustrukturieren sei, wenn morgen Bereichsleitende, die aktuell bei 100 Prozent sind, nur noch 70 Prozent arbeiten möchten. Ich glaube, dass das vielen Unternehmen zu viel ist und dadurch auch ein paar Frauen durchs Raster fallen. Der Teilzeitgedanke ist in der deutschen Kultur stark verankert. Ob wegen Vorurteilen nach dem Motto, Frauen können nicht Vollzeit arbeiten, ohne eine Rabenmutter zu sein, oder aufgrund der Tatsache, dass viele Kitas um 14 oder 15 Uhr schließen.

Ein weiterer Aspekt ist, dass Männer Frauen in Bezug auf Risikobereitschaft und Selbstvertrauen oft ein wenig voraus sind. Sie übernehmen schneller Verantwortung, auch wenn sie möglicherweise noch nicht ganz über die erforderliche Kompetenz verfügen. Frauen hingegen tendieren dazu, ihr eigenes Potenzial zu unterschätzen und hinterfragen sich selbst mehrfach, bevor sie sich für eine Position bewerben. Ich bin der Meinung, dass wir als Führungskräfte aktiver sein müssen. Wir sollten nicht darauf warten, dass Mitarbeitende ihre Hand heben, sondern aktiv diejenigen ermutigen, die Leistung erbringen und über Kompetenz verfügen, den nächsten Schritt zu machen.

Was sind die Eigenschaften oder Fähigkeiten, die Frauen vielleicht eher mitbringen, um ein Management-Team zu bereichern?

Ich bin keine Freundin davon, den Kampf der Frauen, um die Führungsposition zu sehr zu übertreiben. Frauen per se sind nicht besser als Männer und bringen dem Unternehmen per se auch keinen Vorteil gegenüber den Männern. Ich möchte den Spieß, der jahrelang falsch in die eine Richtung getrieben worden ist, nicht umdrehen und genauso falsch in die andere Richtung treiben. Das ist mir sehr wichtig. Es geht mir tatsächlich um Ausgewogenheit. Ja, Frauen bringen andere Kompetenzen mit. Zum einen meistens deutlich mehr Listening Skills, also aktiv zuhören zu können und das Gesagte verarbeiten zu wollen. Zum anderen diesen balancierenden, diesen ausgleichenden Approach: Das Verständnis für den jeweiligen anderen und die Bereitschaft, Konsens suchen zu wollen. Moderne Führung ist deutlich teamorientierter und konsensgetriebener.

Führung aus der Mitte heraus ist wichtiger geworden als die Führung von oben. Und ich traue Frauen sehr stark zu, aus der Mitte heraus führen zu können. Das ist einfach eine tolle Ergänzung. Und wichtig ist natürlich auch diese Abstrahlwirkung als Role Model nach unten, um zu zeigen, dass man mit anderen Führungsstilen genauso gut eine Firma leiten kann, wie der männliche Vorgänger mit seinem Stil.

Welche Initiativen können den Unternehmen dabei helfen, das umzusetzen? Haben Sie selbst zum Beispiel an Mentorinnenprogrammen teilgenommen?

Wenn ich auf meine eigene berufliche Laufbahn zurückblicke, habe ich nichts spezifisch „Weibliches“ erlebt. Ich habe an denselben Programmen teilgenommen wie meine Kolleginnen und Kollegen. Ich habe sowohl gute als auch weniger gute Führungsseminare besucht und hatte zu einem Zeitpunkt auch einen Coach. Persönlich habe ich solche Programme nie vermisst. Es war für mich nie schwierig, als Frau in einem von Männern dominierten Umfeld zu agieren. Auch als Geschäftsführerin in Mexiko habe ich mich als Frau nicht in Frage gestellt. Ich sehe mich nicht als Frau in dieser Position, sondern einfach als die leitende Person im Unternehmen. Wenn mein Gegenüber mich als Frau wahrnehmen möchte, steht ihm das natürlich frei.

Braucht es solche Programme aus Ihrer Sicht dann überhaupt?

Das können gute Wege sein. Ob man das nun hochoffiziell Mentorinnenprogramm nennt oder als gelegentliche Coffee Chats aufzieht. Anekdotenhaftes Erzählen hilft, habe ich festgestellt. Ich spreche gerne mit Mitarbeitenden darüber, wie ich selbst schwierige Situationen empfunden und gemeistert habe, wo ich unsicher war. Aber ich meine, wir müssen auch nicht immer auf diese Unsicherheit pochen und sagen, um Gottes Willen, die armen Frauen, wir müssen sie sicherer und stärker machen. Je mehr ich einer Person sage, dass ich sie stärker machen will, desto mehr sage ich implizit, dass sie schwach ist. Viel stärker brennt mein Herz für das Thema Selbstverständnis.

Was meinen Sie mit Selbstverständnis konkret?

Ich meine damit, dass man sich die Frage stellen sollte, wer man eigentlich wirklich ist. Man sollte sich nicht über ein bestimmtes Geschlecht definieren und die ganze Zeit in solchen Kategorien denken. Das führt meines Erachtens nicht zur persönlichen Erfüllung. Ich persönlich betrachte mich als leidenschaftliche Skifahrerin, als Betriebswirtschaftlerin, als CEO oder als Hundefreundin. In meinem Leben gibt es viele Facetten, die bestimmen, wer ich bin, und mein Geschlecht steht dabei nicht im Fokus. Wenn ich mich beim Bergsteigen in ein Gespräch mit jemandem verwickle, dann tue ich das als leidenschaftliche Bergsteigerin. Mir fällt möglicherweise erst nach ein paar Stunden auf, dass ich als einzige Frau mit einer Gruppe von zehn Männern am Berg bin. Aber ich besteige den Berg als Bergsteigerin, nicht als Frau.

Was halten Sie von gesetzlichen Vorgaben wie dem BIPoC-Gesetz oder der Frauenquote in Vorständen großer Unternehmen?

CTA Executive Search Making The Difference Interview SerieIch stehe dem nicht kritisch gegenüber, weil ich glaube, dass all diese Dinge helfen, Bewusstsein zu schaffen. Manchmal braucht es ein Regelwerk von außen, das einen zwingt sich zu bewegen. Manche Themen sitzen tiefer und brauchen einen strukturellen Wandel. Ich bin keine Freundin davon, im Hauruck-Verfahren nicht qualifizierte Frauen in irgendwelche Positionen zu setzen, um Quoten zu erfüllen. Aber eine Vorgabe zu machen, damit die Unternehmen anfangen strategisch die Besetzungen der kommenden zehn Jahre zu planen, das finde ich sehr wichtig und richtig.

Unsere Abschlussfrage: Welche Female Leaders würden Sie mit auf eine einsame Insel nehmen, um nach Rückkehr eine noch bessere Führungskraft zu sein?

Es gibt eine direkte Vorgesetzte, die ich vor vielen Jahren hatte und die jetzt eine Freundin geworden ist. Sie ist ein Paradebeispiel für diese Art von Person. Sie hat mich früh in meinem Selbstverständnis gestärkt. Gleichzeitig war sie in ihrer exponierten Führungsposition offen genug, um ihre Verletzlichkeit zu zeigen und sich immer wieder aufzurappeln. Sie ist so klug, aber auch so menschlich mit all ihren Stärken und Schwächen. Nach jedem Gespräch mit ihr fühle ich mich positiv inspiriert.

Und dann ist da noch eine Kollegin aus dem Führungsteam eines ehemaligen Arbeitgebers. Ich hatte nie in ihrem Team gearbeitet, aber sie war für mich ein Ankerpunkt, besonders wenn ich vor diesem Führungsteam präsentieren musste, dass damals durchaus auch aus sehr schwierigen Leuten bestand. Ich habe nur zu dieser Frau geschaut, denn ihr Gesichtsausdruck und ihre nonverbale Kommunikation gaben mir so viel Selbstvertrauen, allein durch ein Lächeln oder ein Nicken. Das signalisierte: “Mach weiter, du bist auf dem richtigen Weg, bleib dran!” Das hat mich beeindruckt, und ich möchte genauso sein: Jemand, der selbstlos ermutigt und Wertschätzung zeigt. Solch eine Person auf eine Insel mitzunehmen, kann nur positiv sein.

 

Über die Gesprächspartnerin:

Xenia Barth (49) verantwortet seit 2022 als CEO und Geschäftsführerin die Merz Consumer Care GmbH, ein Unternehmen der Merz Group. Mit den Marken tetesept, Merz Spezial sowie Brooklyn Soap gehört die Merz Consumer Care zu den führenden Anbietern von Gesundheits-, Wohlfühl- und Beautyprodukten im deutschsprachigen Markt. Xenia Barth verfügt über mehr als 20 Jahre Berufserfahrung in der Konsumgüterindustrie im Bereich Beauty Care mit Schwerpunkt Marketing und Sales, sowohl im nationalen sowie internationalen Markt. Zuvor war Barth als Geschäftsführerin bei Reckitt Deutschland tätig. Davor war sie viele Jahre für Henkel in verschiedenen Positionen mit zunehmender Verantwortung tätig, u.a. als Marketing Director in Barcelona, als General Manager Beauty Care in Mexiko sowie als Vice President Beauty Care Marketing in den USA.