Female Leadership Suite

„Seit feste Ziele gesetzt wurden, werden sie auch erfüllt.“ – Eva Voss im Interview

Vielfalt ist in vielerlei Hinsicht ein Erfolgsfaktor, den Unternehmen nicht nur auf dem Papier, sondern auch in Strategie und People-Agenda berücksichtigen. Wir beobachten bei Kienbaum, dass die Nachfrage nach Führungskräften in Bezug auf Diversity und ESG steigt – zu Recht. Diversity ist nicht nur in Bezug auf Gender, sondern in mehreren Dimensionen ein gewinnbringender Faktor. Wir möchten mehr Einblicke in die Arbeit von Führungskräften aus diesem Bereich liefern und sprechen dazu mit einer erfahrenen Managerin: Dr. Eva Voss ist Head of Diversity, Inclusion and People Care Germany & Austria bei der Großbank BNP Paribas. Im Interview spricht sie über die mehrdimensionale Betrachtung von Diversity, warum das Setzen von konkreten Zielen nötig ist und warum das Potenzial älterer Mitarbeitenden oft unterschätzt wird.

Anna-Maria Karl: Frau Voß, Sie verantworten den Bereich Diversity, Inclusion and People Care. Wie war ihr bisheriger Weg in diese Rolle?

Meinen Einstieg habe ich vor über 16 Jahren als Leiterin einer Stabsstelle zu Gender und Diversity im öffentlichen Dienst gehabt. Anschließend bin ich in die Wirtschaft gewechselt, wo ich in unterschiedlichen Branchen Vielfaltsthemen vorangetrieben habe. Seit nunmehr bald vier Jahren bin ich bei BNP Paribas, wo ich das Thema Diversity, Inclusion und People Care von Grund auf aufgebaut habe. Was mich unabhängig von der Branche seit Anbeginn motiviert, ist tradierte Strukturen aufzubrechen und die Arbeitswelt für alle jedes Mal ein Stückchen besser zu machen. Unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen stammen aus den 50er Jahren, als Männer beruflich erfolgreich waren, weil Frauen zu Hause den Care-Bereich übernommen haben. Diese historischen Strukturen beeinflussen auch heute noch die Karrierechancen von Frauen und anderen unterrepräsentierten Gruppen.

Anna-Maria Karl: Lassen Sie uns zum Einstieg einen Blick auf Diversity bei BNP Paribas werfen. An welchen Themen arbeiten Sie?

Eva Voß: Bei BNP Paribas haben wir uns intensiv mit den verschiedenen Dimensionen von Diversity beschäftigt, einschließlich Geschlecht, Alter, Behinderung, soziale Herkunft und LGBTQ+. Jede Dimension erfordert spezifische Maßnahmen und Zielvorgaben.

In Bezug auf das Geschlecht haben wir uns der Initiative #JamaisSansElles angeschlossen, die drei Ziele verfolgt: Bis 2025 wollen wir 40% des Senior Managements und 30% der Mitglieder in den obersten Entscheidungsgremien mit Frauen besetzen. Zweitens, keine „Manels“ mehr – also Panels bei Veranstaltungen, auf denen nur Männer sitzen. Drittens, wir haben unsere Kommunikation inklusiver gestaltet, da Sprache und Bilder das Bewusstsein prägen.

In Sachen Behinderung haben wir uns zum Ziel gesetzt, den Anteil von Mitarbeitenden mit Behinderung auf 3% bis 2025 erhöhen. Aktuell stehen wir bereits bei 2,7%, gestartet sind wir vor zwei Jahren mit 2,1%  –  man sieht also Verbesserungen: Weiterkommen wollen wir durch externe Rekrutierung und die Ermutigung zur Offenlegung bestehender Behinderungen. Bei der LGBTQ+ Thematik setzen wir auf qualitative Maßnahmen wie die Ernennung von Sponsoren aus dem Management, Teilnahme an Veranstaltungen und Anti-Diskriminierungsarbeit.

Barbara Thiell: Wenn die Maßnahmen einmal gesetzt sind, kommt die nächste Hürde, all das in die Organisation zu tragen. Das alles ist auch eine Frage der Haltung im Unternehmen. Wie handhaben Sie das?

Eva Voß: Ich bin kein Fan von flächendeckenden Schulungen, da deren Effekt minimal und kurzlebig ist. Organisationen werden durch Entscheidungsträger:innen verändert. Diese Personen müssen verstehen, dass sie das Privileg haben, Karrieren und Leben zu beeinflussen. Deshalb integrieren wir das Thema Diversity in Führungstrainings, sowohl für neue als auch erfahrene Führungskräfte, und entwickeln gerade spezielle Trainings für Hiring Manager. Wir setzen also sehr konkret bei Personalentscheidungen im (Führungs-)alltag an.

Es ist wichtig, dass diese Themen organisch eingebettet werden. Zudem müssen klare Konsequenzen gezogen werden, wenn Werte nicht gelebt werden. Ein Beispiel aus meiner ersten Arbeitswoche: Das Fehlverhalten einer Top-Führungskraft wurde konsequent geahndet, und es wurde klar kommuniziert, dass solche Verhaltensweisen bei uns keinen Platz haben. Diese Null-Toleranz-Haltung ist entscheidend, um nachhaltige Veränderungen zu erreichen.

Barbara Thiell: Haben Sie konkrete Zahlen in Ihren Zielvorgaben auf Team-Ebene?

Eva Voß: Wir haben Ziele für die gesamte Organisation und die haben wir auf das Recruiting und die Nachfolgeplanung heruntergebrochen. Bei Teams mit wenig Fluktuation leisten die Teammitglieder dennoch einen Beitrag, indem sie zum Beispiel Pro-Bono-Arbeit für eine der Diversitätsdimensionen leisten. Ein Beispiel ist das Tandemprogramm für soziale Herkunft. Das ermöglicht einen Perspektivwechsel.

„Seit feste Ziele gesetzt wurden, werden sie auch erfüllt.“

Andere Teams haben spezifische Ziele im Recruiting, etwa im Investmentbanking, wo Frauen unterrepräsentiert sind. Hier lautet die Devise: „Sucht besser.” Und siehe da: Seit feste Ziele gesetzt wurden, werden sie auch erfüllt. Die Sorge, dass dann nur noch unqualifizierte Personen eingestellt werden, ist völlig unbegründet. Oft sind die Bewerbungen von Frauen nur anders formuliert oder zurückhaltender, und durch gezielteres Suchen finden wir hervorragende Kandidatinnen. Dies führt automatisch zu einer stärkeren weiblichen Präsenz im Unternehmen.

Anna-Maria Karl: Ein weiterer Aspekt von Diversity neben Gender ist das Alter. Also Age-Diversity. Wie machen Sie das mit altersgemischten Teams?

Eva Voß: Ein Fokusthema bei uns ist die Karriere 2.0., also ältere Mitarbeitende, die sich innerhalb der Bank weiterentwickeln und interne Mobilitätsangebote nutzen. Gerade bei den über 55-Jährigen, die top erfahren sind, bei denen meist die Kinder aus dem Haus sind, geht noch so viel. Dabei beziehen wir alle HR-Bereiche mit ein: Employer Branding, Recruiting, Learning and Development, Gesundheitsmanagement und Benefits. Die Maßnahmen reichen dann von internen Mobilitätsangeboten, über die Unterstützung für die Pflege von Angehörigen oder flexible Karrieremodelle.

Langfristig arbeiten wir daran, innovative Lösungen wie Wechsel- oder Tandemmodelle zu etablieren, statt nur klassische Altersteilzeit anzubieten.

Barbara Thiell: Verschiedene Generationen haben unterschiedliche Ansprüche. Ist das ein Thema bei Ihnen?

Eva Voß: Auf jeden Fall. Es ist wichtig zu verstehen, dass langfristige Karrieregestaltung grundsätzlich nur mit einem ausgewogenen Ressourceneinsatz funktioniert und nicht alles in den ersten Jahren der Karriere verbraucht werden kann. Da hat die junge Generation durch den Fachkräftemangel zum Glück viel bessere Hebel, dies einzufordern als das Vorangegangene jemals konnten, muss man sagen. Am Ende sind die Bedürfnisse, was etwa Flexibilität betrifft, gar nicht so unterschiedlich, sie hängen nur tendenziell mit der jeweiligen Lebensphase zusammen:

Ältere Mitarbeitende benötigen Flexibilität eher für Pflege, ein Ehrenamt oder einfach, weil sie nach vielen Arbeitsjahren andere Prioritäten setzen. Auch die Jüngeren wollen nicht unbedingt eine traditionelle Karriereleiter erklimmen, sondern legen Wert auf Erfahrungen und zeitliche Freiheitsgrade. Führungskräfte müssen lernen, dass Mitarbeitende Arbeit durchaus unterschiedlich für sich definieren und vielleicht nicht langfristig bei einer Firma bleiben wollen.

Wir fördern interne Mobilität und bieten Möglichkeiten, verschiedene Stellen und Geschäftsbereiche auszuprobieren. Außerdem haben wir Zeitflexkonten eingeführt, die es Mitarbeitenden erlauben, nach intensiven Arbeitsphasen eine Auszeit zu nehmen. Wir denken also bei allen Altersklassen eher in Mosaikkarrieren anstatt in traditionellen Lebensläufen, was unserer modernen Arbeitswelt besser entspricht.

Anna-Maria Karl: Ich glaube, eine besondere Gefahr für Diversität sind homogene Gruppen in Unternehmen, die einen darin hindern, andere Sichtweisen anzunehmen. Sehen Sie das auch so?

Eva Voß: Ja! Es geht immer um den Perspektivwechsel, der so immens wichtig ist. Es geht aber auch darum, zu schauen: Was verbindet uns eigentlich? Wir gucken oft eher darauf, was uns unterscheidet – was sicher auch wichtig ist, um Hürden zu erkennen. Aber zu erkennen, was uns zusammenhält und trägt, ist ebenso essenziell, um einfach Brücken zwischen den verschiedenen Gruppen zu bauen!

Barbara Thiell: Gehen ältere Führungskräfte in der Summe den Wandel positiv mit oder fällt es ihnen schwer, ihre lang einstudierten Verhaltensweisen abzulegen?

Eva Voß: Das lässt sich nicht pauschalisieren. Da gibt es ein breites Spektrum. Die Haltung unserer Organisation geht dahin, dass wir sagen „Wir als OneBank wollen mit euch allen an einem Strang ziehen und es gemeinsam schaffen.“ Und dafür bieten wir eben verschiedene Programme, die den Perspektivwechsel möglich machen. Ein Beispiel im Rahmen unseres 1 Million Hours 2 Help Projekts – also eine Million Stunden, in denen wir anderen helfen möchten – ist das Tandemprogramm mit Netzwerk Chancen. Hier sind erfahrene BNP Paribas Beschäftigte in Tandems mit sozialen Aufsteiger:innen, also jungen Menschen aus nichtakademischen oder finanzschwachen Herkunftsfamilien. Über ein Jahr lang begleiten sie diese Tandems und es ist ein Austausch, von dem beide Seite profitieren. Die älteren, erfahreren Kolleg:innen, die ihre Privilegien nutzen und andere Lebensrealitäten kennenlernen können. Die jüngeren sozialen Aufsteiger:innen, die Einblicke gewinnen und ihr Netzwerk aufbauen. Dieses Programm läuft im vierten Jahr und wenn ich nur diesen einen Ausschnitt nehme, kann ich eindeutig sagen, dass die älteren, erfahrenen Kolleg:innen den Wandel nicht nur positiv begleiten, sondern vorantreiben. Da ist einfach unglaublich viel Engagement, Unterstützung und der Wille zum gegenseitigen Lernen – es straft einfach alle Klischees Lügen, die es so rund um „die Älteren“ landläufig gibt.

„Diversity ist kein Hexenwerk“

Barbara Thiell: Es steht und fällt also alles mit der Führung?

Eva Voß: Ja, absolut. Man kann auch sagen, dass Diversity kein Hexenwerk ist. Solang Menschen in Führung sind, die auch Lust auf Menschen haben, ist schon sehr viel gewonnen. Fachexpert:innen sind super wichtig für Unternehmen. Aber bei der Besetzung von Führungspositionen muss sehr genau geschaut werden: Wen lässt man da eigentlich auf Menschen zu und wer sollte eher in der fachlichen Rolle bleiben?

Barbara Thiell: Schauen wir auf das Thema Präsenz und Home Office. Es kommt jetzt eine Generation in die Arbeitswelt, die es durch Corona gar nicht kennengelernt hat, Vollzeit im Büro zu arbeiten. Wie stehen Sie dazu?

Eva Voß: Ein wichtiger Punkt, den wir unbedingt verinnerlichen müssen, gerade bei der Besetzung. Viele junge Menschen sind nicht mehr bereit, für den Job in eine andere Stadt zu ziehen und ihr Privatleben aufzugeben. Aber auch Eltern, Menschen mit Pflegeverantwortung oder Beschäftigte mit einer Behinderung sind wesentlich flexibler, wenn der Arbeitsort nicht das physische Büro ist. Da beschneiden sich noch immer zu viele Unternehmen, wenn sie nur Beschäftigte einstellen, die in Präsenz arbeiten.

Anna-Maria Karl: Eine letzte Frage: Diversity ist, wie Sie richtigerweise sagen, eine Frage des Mindset und der Unternehmenskultur. Der Mutterkonzern von BNP Paribas ist Französisch. Erleben Sie kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich?

Eva Voß: Es gibt definitiv einen kulturellen Gap. In Frankreich ist es viel normaler, dass Frauen mit mehreren Kindern in Vollzeit arbeiten. Das liegt aber auch an anderen Strukturen. Wer also Frauen in Führung will, das wird an dem Punkt so sonnenklar, muss in die Infrastruktur für die bestmögliche Kinderbetreuung investieren. Da hilft auch nicht das dritte Mentoring-Programm! Wir brauchen mehr und bessere Infrastruktur.

Anna-Maria Karl: Liebe Frau Voß, vielen Dank für das Gespräch!


Zur Person: Dr. Eva Voß arbeitet seit vier Jahren als Head of Diversity, Inclusion and People Care Germany & Austria bei BNP Paribas. Ihre Karriere begann sie an der Universität Freiburg, gefolgt von weiteren Stationen in der Industrie. Vor ihrem Wechsel zu BNP Paribas war sie sieben Jahre für EY als Team Lead für New Ways of Working tätig. Sie ist Autorin des Fachbuches „Vielfalt im Employee Lifecycle. Diversity Management in HR-Prozessen.“