Interview mit Alexandra Mies, Deutsche Telekom AG

Interview mit Alexandra Mies, Deutsche Telekom AG

Während sich viele Länder außerhalb Europas mit einem weiteren Anstieg der COVID-19-Erkrankungen konfrontiert sehen, stellt sich für Unternehmen in Deutschland bereits zunehmend die Frage nach Strategien für die Zeit nach der Pandemie. Dies gilt in besonderem Maße auch für die Personalauswahl. Sind virtuelle Verfahren im „Status Now“ der neue Standard?

Welche neuen und innovativen Ansätze treiben Unternehmen darüber hinaus gegenwärtig in der Eignungsdiagnostik? Im vierten und abschließenden Teil der Interviewreihe von Kienbaum Assessment Services sprechen wir mit Alexandra Mies von der Deutschen Telekom über ihren konsequenten Ansatz zur Virtualisierung und ihre Vision für die weitere Digitalisierung der Eignungsdiagnostik, auch für die Zeit nach der Pandemie.

Zur Person:

Alexandra Mies, Head of HR Diagnostics (Deutsche Telekom AG)

Alexandra Mies ist Head of HR Diagnostics bei der Deutschen Telekom. In dieser Funktion leitet sie ein internationales Team von Eignungsdiagnostikern und verantwortet die Entwicklung und Durchführung von Assessment und Development Centern sowie digitalen Assessment Formaten. Die studierte Psychologin ist seit nunmehr neun Jahren bei der DTAG beschäftigt. Zuvor war sie mehr als zehn Jahre lang im Consulting tätig.

Zum Unternehmen:

Die Deutsche Telekom ist der führende europäische Telekommunikations-Anbieter und gehört mit rund 184 Millionen Mobilfunk- und 27,5 Millionen Festnetz-Kunden zu den führenden integrierten Telekommunikations-Unternehmen weltweit. Die Deutsche Telekom ist in mehr als 50 Ländern vertreten und bietet Lösungen der Informations- und Kommunikationstechnik sowohl für Privat- als auch für Groß- und Geschäftskunden an. Neben dem Kerngeschäft engagiert sich das Unternehmen schon heute in Geschäftsfeldern, die neue Wachstumsmöglichkeiten eröffnen und seine Entwicklung  von der klassischen Telefongesellschaft hin zu einer ganz neuen Art von Servicegesellschaft fördern.

 

Inwiefern führen Sie in Zeiten von Corona weiterhin eignungsdiagnostische Verfahren durch?

Auch in Zeiten von Corona führen wir eignungsdiagnostische Verfahren durch. Ich bin mit meinem Team nicht nur für die Assessment Center, sondern auch für die Development Center im Konzern verantwortlich. Im Zuge von Corona haben wir all unsere bestehenden Tools virtualisiert. Das heißt, wir haben unser Portfolio, das wir vorher größtenteils face-to-face angeboten haben, vollständig virtualisiert.

Welche Entwicklungen haben Sie bis zu Corona im Rahmen von Assessments vorangetrieben? Gab es Innovationen oder technische Veränderungen?

Wir haben auch schon vor Corona einige Innovationen und Digitalisierungen vorgenommen und werden das auch nach Corona weiterhin tun. Wir haben uns sehr stark mit dem Thema Organisation von Assessment und Development Centern beschäftigt, weil da bei uns viel Ressource reingeflossen ist. So haben wir ein neues Tool entwickelt und global ausgerollt. Es hilft uns, Kundenwünsche schnell umzusetzen: Das heißt, Kunden, die sehr zeitnah ein Assessment Center benötigen, können dieses mit wenigen Klicks buchen und schon wird alles organisiert. Wir setzen außerdem ein game-based Assessment ein, vor allem für unsere Graduates. Das ist ein schönes Tool, um Studienabsolventen die Möglichkeit zu geben, mit einem Spiel ihre Kompetenzen zu testen und zu messen. Wir setzen auch einen Online Business Case für unsere angehenden Executives ein. Wir nutzen also in Abhängigkeit von der Zielgruppe entweder Online-Tests, game-based Assessments oder digitale Business Cases.

Welche eignungsdiagnostischen Methoden und Übungen setzen Sie in virtuellen Verfahren ein?

Wir setzen Übungen ein, die denen der vorherigen Face-to-face-Verfahren sehr ähnlich sind. Auch dabei gibt es wieder einen Teil, bei dem man sich anschaut, wie die Kandidatin oder der Kandidat mit komplexen Fragestellungen umgeht. Dann gibt es entweder einen digitalen Business Case oder aber wir nutzen andere Materialien, die sehr komplex sind und für die den Kandidaten wenig Zeit zur Verfügung steht. Außerdem setzen wir Rollenspiele ein, auch das ist möglich. Wir haben uns während der Corona-Zeit sehr viel damit beschäftigt, wie man ein Rollenspiel so durchführen kann, dass sich der Kandidat bestmöglich in das Setting hineinbegeben kann. Wir führen natürlich auch weiterhin Interviews im Rahmen der Assessment Center durch, aber auch außerhalb davon. Im Grunde gibt es kein Modul, welches wir rausstreichen mussten – wir haben eigentlich für jedes eine virtuelle Variante gefunden. Wir setzen zum Beispiel ein Tool ein, mit dem man sich in verschiedenen Räumen mit dem Kandidaten und den Beobachtern beraten und austauschen kann, was sehr gut funktioniert und mit dem wir sehr zufrieden sind.

Inwiefern haben Sie Anpassungen bei den Auswahl- und Bewertungsprozessen vorgenommen?

Was die Kriterien und die Matrix angeht haben wir keine Anpassungen vornehmen müssen, weil wir festgestellt haben, dass sich so gut wie jedes Modul, das wir vorher schon im Einsatz hatten, auch hier einsetzen lässt. Was wir aber tun, ist, darauf zu achten, dass Mimik und Gestik im Rahmen eines virtuellen Verfahrens nicht überbewertet werden. Dafür sensibilisieren wir unsere Beobachter. Im Hinblick auf Kompetenzen und Kriterien gab es aber keine Veränderungen.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen bei virtuellen Verfahren?

Die größte Herausforderung war es, damit anzufangen und auch selbst zu schauen: „Wie begeistert sind wir davon?“. Für uns gilt nach wie vor, dass wir keine virtuellen Verfahren anbieten würden, wenn wir nicht überzeugt wären, dass die Qualität genauso hoch ist wie in den Face-to-face-Verfahren. Dahingehend haben wir viel ausprobiert und getestet; wir haben vor allem viel mit der Technik gerungen, bis wir letztendlich die gefunden haben, die uns geholfen hat, das alles wirklich gut umzusetzen. Was mich in dem Zusammenhang überrascht hat, war die Erkenntnis, dass virtuelle Verfahren vielleicht nicht ganz so stark in Richtung Bauchgefühl gehen – was ja sowieso nichts in Verfahren zu suchen hat. Trotzdem achten viele Menschen auf die Chemie und ich finde es wunderbar, dass viele unbewusste Biases, die man sonst vielleicht hat, durch virtuelle Verfahren weiter reduziert werden, weil man denjenigen eben nicht persönlich, sondern via Kamera sieht. Mich hat auch überrascht, dass das ganze Verfahren sehr schnell sehr positiv aufgenommen wurde. Am Anfang waren einige Beteiligte vielleicht etwas unsicher, später aber, nachdem sie selbst ein- oder zweimal an Verfahren teilgenommen hatten, haben sie dann festgestellt, dass diese so eigentlich ganz wunderbar funktionieren.

Wie bewerten Sie diese Durchführung im Vergleich zu klassischen Präsenzverfahren?

Für mich ist diese Art der Durchführung eine sehr solide, sofern die Technik stabil ist. Da haben wir, wie schon gesagt, viel ausprobiert und umgesetzt. Es gilt immer das Credo: „Niemand soll aufgrund der Technik ein negatives Ergebnis bekommen“. Gibt es Probleme, starten wir das Ganze noch einmal an einem neuen Tag und in einem neuen Setting – unter technischen Fehlern soll niemand leiden. Ich sehe aber, dass sich eigentlich alles sehr gut in virtueller Form abbilden lässt und bekomme auch von Kandidaten das Feedback, dass sie sich in dieser Atmosphäre sehr wohl gefühlt haben. Ich sehe aber auch, dass die Moderatoren deutlich mehr Dinge gleichzeitig tun müssen. Sie müssen nicht nur sicherstellen, dass der Kandidat die richtigen Übungen hat und dass die Beobachter auf die richtigen Kriterien achten, sondern müssen auch relativ viel Technik bedienen. Das war am Anfang schwierig, aber auch daran gewöhnt man sich und je stabiler die Technik läuft und je mehr Erfahrung man damit sammelt, desto besser funktioniert das alles dann auch. Resümierend würde ich sagen: Ich sehe da keinen Unterschied zu Präsenzverfahren. Ich habe auch Gruppenübungen gesehen; auch die sind möglich, auch die kann man virtuell abbilden.

Gibt es eine kuriose Situation oder Überraschung, von der Sie gehört haben oder die Sie selbst erlebt haben?

Ja, es gibt eine, die ich sehr positiv finde: Ich glaube, dass man durch die digitalen Verfahren viel mehr über die Leute lernt; sowohl über die Teilnehmer eines Verfahrens als auch über die Moderatoren und die Beobachter. Im Businesskontext wird die Familie ja beispielsweise sehr stark ausgeblendet. Aber in Zeiten von Homeschooling kann es durchaus mal sein, dass da ein Kind am Schreibtisch steht und mit in die Kamera guckt. Das hat auch schon unglaublich viel Spannung rausgenommen. Da gab es beispielsweise folgende Situation: Eine meiner Moderatorinnen hat kleine Kinder und eines kam rein. Dann hat sie sich das Kind auf den Schoß gesetzt und im Grunde erstmal ganz normal weiter moderiert und die Übung an den Kandidaten ausgegeben. Das hat auf der Seite des Kandidaten wiederum unglaublich stark das Eis gebrochen, weil er sagte: „Ich habe auch Kinder, das verstehe ich alles“. Ich glaube, viele Dinge wären vor Corona schlechter möglich oder sogar undenkbar gewesen. Durch Corona kommen wir uns alle virtuell ein Stück näher.

Kommen wir zur letzten Frage: Inwiefern planen Sie auch nach Corona auf die Durchführung virtueller Verfahren zurückzugreifen?

Das ist eine gute Frage. Wir haben gesagt: „Back to normal“ bedeutet nicht „back to old normal“, sondern wir schauen uns jetzt ganz genau an, wo wir mit neuen Vorgehensweisen und neuen Modulen auch Effizienzen heben können. Und zwar nicht nur Effizienzen im Allgemeinen, sondern speziell für den Einzelnen. Gerade im internationalen Kontext ist es so, dass viele Beobachter und Moderatoren bisher weite Wege auf sich genommen haben, um an Verfahren teilzunehmen, und dann wieder zurückgereist sind. Das kostet Kraft und Zeit und deswegen schauen wir uns jetzt an, wo es sogar von Vorteil ist, Verfahren in der Form, in der wir sie jetzt haben, ressourcenschonender aufzusetzen und bei den Formaten zu bleiben statt zurückzugehen. Natürlich sind wir dazu mit all unseren Stakeholdern und Kunden ausführlich im Gespräch.

 

Das Interview führten Hans Ochmann und Dr. Dennis Kampschulte, Kienbaum Assessment Services.

Hans Ochmann | E-Mail: hans.ochmann@kienbaum.com | Tel.: +49 221 801 72-750
Dr. Dennis Kampschulte | E-Mail: dennis.kampschulte@kienbaum.com | Tel.: +49 211 96 59-383

Kienbaum Assessment Services unterstützt Unternehmen in der weltweiten Entwicklung, Implementierung und Durchführung von Assessment Lösungen; von Talent Development Programmen bis zur Besetzung von Vorstandsmandaten. Auch virtuell.

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