Wie Kontrolle beim Arbeiten auf Distanz einzuordnen ist

Wie Kontrolle beim Arbeiten auf Distanz einzuordnen ist

In Organisationen bleibt in Bezug auf mobiles Arbeiten aktuell die „Agilisierung“ – die Einführung agiler Rollen, Methoden, Denk- und Arbeitsweisen – im Fokus. Stimmen sind und bleiben laut, dass auch in „Nach-Lockdown-Zeiten“ viele Menschen nicht auf Arbeiten auf Distanz verzichten wollen. Das wirft Detailfragen auf - Teil 2 unserer Reihe zu „Agil und Recht“ beschäftigt sich mit dem Thema Kontrolle.

„Kontrolle“: Der eine denkt dabei an „Grenzbeamten und Schlagbäume“, der andere fragt sich, wo ihm der Begriff in seiner alltäglichen Arbeit in einer agilen Arbeitswelt überhaupt (noch) begegnet.

„Kontrolle“ ist laut Duden die „Überwachung oder Überprüfung eines Sachverhaltes oder einer Person und ist somit ein Mittel zur Herrschaft oder Gewalt über jemanden oder etwas.“

Entsprechend negativ ist der Begriff im Deutschen konnotiert, was sich laut unserem Kollegen Lars Thiele, der als Führungskräftecoach und -trainer tagtäglich diese Thematik bearbeitet, auch in seinen Trainings zu „Remote Leadership“ zeigt: „Die Funktion von Kontrolle ist es, zu loben, wenn Ziele erreicht werden, und zu unterstützen, wenn Ziele noch nicht erreicht sind. Wie will ich Menschen loben, wenn ich deren positive Zielerreichung nicht kontrolliere? Dennoch ist das Wort Kontrolle für die meisten Menschen ein Amygdala-Impuls, der bekanntlich flight-, fight– und freeze-Impulse auslöst. Hier gilt es, einiges zu tun.“

Der österreichische Wirtschaftswissenschaftler Fredmund Malik führt in seinem Standardwerk zur zeitgemäßen und wirksamen Führung „Führen Leisten Leben“ aus, dass Kontrollieren eine der Aufgaben wirksamer Führung ist: „Ob man kontrollieren soll oder nicht, darf nicht zur Diskussion gestellt werden, Wie man am besten kontrolliert, das ist selbstverständlich die Frage“ (F.Malik, Führen Leisten Leben).

Rechtlicher Kontrollauftrag versus Kontrolle als „Anrecht der MitarbeiterInnen auf Rückmeldung zu ihrer Wirksamkeit“ – Was ist aus in der Führung auf Distanz sinnvoll, was rechtlich geboten?       

Kontrolle ist unserer Meinung nach nach wie vor als unverzichtbarer Bestandteil von Führung zu sehen – im agilen Kontext in Form der Selbst-Kontrolle.

Im eigenen Führungsalltag erleben wir mit jungen KollegInnen, dass Kontrolle gar nicht mehr als „Herrschaftsanspruch“ (siehe Duden) erkannt wird: Viele kommen gar nicht erst auf die Idee, dass die Führungskraft Macht ausüben möchte und sprechen sie ihr infolgedessen auch nicht zu.

Die Frage ist also, wie die Aufgaben von wirksamer (Selbst-)Führung und hier insbesondere Selbst-Kontrolle auf agile Rollen und/oder Prozesse und Strukturen aufzuteilen sind, dass dann auch Entscheidungen gefällt werden: „Kontrolle muss also sein. Am besten wäre es wahrscheinlich, wenn sie in Form der Selbstkontrolle ausgeübt würde“ (Malik, ebenda).

Was also ehemals (sehr vereinfacht gesagt) von einem Teamlead übernommen wurde, verteilt sich nun beim agilen Arbeiten.

Allerdings: All das geht nicht ohne Vertrauen.

Führung in der agilen Zusammenarbeit wird als Selbst-Führung und somit auch (Selbst-) Kontrolle von den Rollen Product-Owner, Scrum-Master, (Scrum-)Team und „klassische“ Führungskraft/Manager übernommen (siehe dazu André Häusling: Agile Organisationen, S.100 ff.).

Als Überblick nochmals F. Malik: Für Ziele sorgen, organisieren, entscheiden, kontrollieren/messen/beurteilen und Menschen fördern sind diese Aufgaben (siehe sein „Führungsrad“), die genauso in der agilen Welt übernommen werden, nur verteilt auf verschiedene Personen. Soweit zu Personen und Rollen.

Beim Arbeiten auf Distanz muss es stark um Selbst-Kontrolle und Selbst-Führung gehen – immer in den Zusammenhang der übergreifenden Durchsprachen eingebettet, sodass „clan control“ möglich wird

(Selbst-)Kontrolle wird aber auch von Prozessen übernommen: Ein Kanban-Board, auf dem die Aufgaben der Teammitglieder sichtbar in „Vorrat- in Arbeit- erledigt“ eingeordnet werden, ist nichts anderes als Selbst-Kontrolle, das dazugehörige Daily, in dem das Team darüber spricht und Aufgabenständen nachgeht, ist (gegenseitige) Fremdkontrolle (clan control).

Bei der Einführung von agilen Rollen und Arbeitsweisen schauen wir uns das genau an: Wer oder was übernimmt auf welche Weise die (z.B. im Führungsrad) gezeigten Aufgaben? Tiefergelegt werden diese Ausarbeitungen dann ähnlich einer RASIC-Matrix.

Gleichzeitig führt die Aufteilung nicht dazu, dass Kontrolle als Teil eines Führungsanspruchs per se aufgegeben wird oder rechtliche Anforderungen entfallen.

Ehemals stark formelle Kontrolle durch Regeln, Prozeduren und Leistungsuntersuchungen wird nun zur informellen, aber nicht unbedingt damit weniger wirksamen informellen Kontrolle: Sie geschieht über vereinbarte Werte, Überzeugungen und Zielsetzungen im Team („clan control“ nach T.K. Das und B.Teng).

Daher erarbeitet in unseren Projekten jedes Team, dessen Arbeitsweisen agilisiert werden, zu Beginn eine Team-Charta und verpflichtet sich zu bestimmten agilen Werten.

Sonst kommt es zu Kuriositäten, wie wir sie bei einem deutschen Konzern im Bereich Maschinenbau, dort R&D erlebten: Das Team, das ich nach der Einführung von agilen Arbeitsweisen coachte, lud mich zu jeweils zwei Dailies (pro Tag) ein. Auf meine verdutzte Nachfrage stellte sich heraus, dass das erste Daily mit dem Teamleiter war und wie ein (allerdings folgenloser) Vorlage- und Freigabetermin ablief, das zweite – ohne den Teamleiter (von dem er auch nichts wissen durfte) war das eigentliche, agile Daily.

Was bleibt, bevor wir zu den rechtlichen Aspekten übergehen: Der Eindruck von Kontrollverlust auf Seiten der ehemals klassisch führenden Personen ist nachvollziehbar und wird ausgelöst durch verteilte Führung und Selbst-Führung und damit verteilte Kontrolle sowie Selbst-Kontrolle. Das zu akzeptieren ist Change auf ganz persönlicher Ebene, nämlich der der Haltungen und Werte.

Bei der Führung auf Distanz, die wir alle aktuell stark erleben und bei der wir nur noch am Bildschirm, oftmals ohne Kamera, mit den KollegInnen agieren fehlt eine qualitative Dimension bei Rückmeldungen, die im Alltag mit physischer Nähe leichter zu erhalten ist – zum Beispiel das Erspüren, ob jemand sich bei seiner Aussage, “er werde das termingerecht schaffen”, wirklich sicher ist – wie sind Stimme, Gesichtsausdruck, Blick?

Was wir im Führungskräfte-Coaching sehen: Ob die ehemalige Führungskraft, die damit Kompetenzen abgibt, damit einverstanden ist, hängt stark davon ab, welche (psychologischen) Motive ihr Arbeiten bestimmen.

Ich frage dann, warum jemand überhaupt Führungskraft geworden ist und bekomme bei mit agilen Rollen hadernden Führungskräften nicht selten die Antwort: „Damit ich unabhängig entscheiden kann.“ Die dahinter liegenden Motive Macht, Autonomie und Status als Treiber leiden bei einer Umstellung auf agile Zusammenarbeit.

Führungskräfte, deren Motive Neugier und Beziehungen sind, haben es hier leichter (interessant dazu: Svenja Hofert, Agiler führen)

Aber auch all das kann man gut eins zu eins  mit den Führungskräften besprechen.

Doch wie sehen rechtliche Aspekte beim agilen Arbeiten mit Blick auf Kontrolle aus? Unsere Kollegen von Luther und Partner zeigen den rechtlichen Hintergrund zu „Kontrolle“ auf

Unsere Partner der Rechtsanwaltskanzlei Luther, Paul Schreiner und Christian Kuss, mit denen wir auch Webinare zum Thema Agilisierung veranstalten, weisen immer wieder auf diese Aspekte hin, womit wir diesen Beitrag beenden und gutes Gelingen bei der Agilisierung wünschen: Die vertragliche Position des Mitarbeiters kann beinhalten, dass dieser andere Mitarbeiter führt. Hierauf hat der Mitarbeiter ein Recht, das nicht so einfach genommen werden kann.

Die Führung von Personal kann auch vergütungsrelevant sein, wenn die anzuwendende Vergütungsordnung, bspw. ein Tarifvertrag, das vorsieht. Änderungen der hierarchischen Stellung von Mitarbeitern müssen daher auch hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Vergütung überprüft werden.

Die Führungsverantwortung geht traditionell mit der Kontrollbefugnis/-verpflichtung der Führungskraft einher. Teilweise ist die Führungskraft auch gesetzlich verpflichtet, auf die Einhaltung bestimmter Vorschriften, wie etwa des Arbeitszeitgesetzes, zu achten.

In einer dezentralen und agilen Organisation kommen daher vielfach Themen im Zusammenhang mit technischen Kontrolleinrichtungen auf. Die Einführung und Nutzung solcher Systeme unterliegt einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates; hier ist auf eine ordnungsgemäße Beteiligung zu achten.

Gerade im Homeoffice besteht die Möglichkeit, Mitarbeiter mit Hilfe von Software zu überwachen. Aufgrund der hohen Eingriffsintensität solcher Maßnahmen gibt es häufig Konflikte mit dem geltenden Recht, insbesondere dem Datenschutzrecht.

 

Freuen Sie sich bereits jetzt auf Teil 3 unserer Reihe, in dem es um das Thema „Innovationssteigerung durch Agilisierung: Wem gehören die Ideen?“ beschäftigen wird.

Hier geht es zum vorherigen Teil: Wie agile Lösungen und Arbeiten auf Distanz Dringlichkeit erhalten haben

Sie haben Fragen? Sprechen Sie uns gerne an:

Inge Baurmann | E-Mail: inge.baurmann@kienbaum.de | Tel.: +49 174 332 72 82

René Wagener | E-Mail: rene.wagener@kienbaum.de | Tel.: +49 173 921 57 22

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