Soennecken Vorstandsvorsitzender

23. Oktober 2025

|

5 Minuten Lesezeit

Überzeugen statt anweisen – Dr. Benedikt Erdmann über Führung in Genossenschaften

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Andreas Venzke

Director

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Iris Tippkämper

Director, Partner

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Die Soennecken eG, eine traditionsreiche Genossenschaft mit Sitz in Overath, steht vor vielfältigen Herausforderungen: Digitalisierung, Fachkräftemangel, veränderte Kundenbedürfnisse und die Besonderheiten einer genossenschaftlichen Governance-Struktur. Vorstandsvorsitzender Dr. Benedikt Erdmann gibt im Interview Einblicke in den Wandel von Führung, Kultur und strategische Ausrichtung des Unternehmens.

 

Herr Dr. Erdmann, welche Kompetenzen brauchen Ihre Manager im Verbundsystem besonders?

Erdmann: Managerinnen und Manager müssen andere Menschen von ihren Strategien überzeugen können. Fachliche Kompetenz allein reicht nicht. Ein Verbundsystem ist mehr als andere Unternehmen ein soziales System. Das kann man nur bedingt über Hierarchie führen. Daran scheitern viele. Wir stellen Menschen aufgrund ihrer fachlichen sowie ihrer sozialen Kompetenz ein. Wenn eine der beiden Kompetenzen letztlich doch fehlt, gehen wir getrennte Wege.

Wie managt man ein solches soziales System?

Verbundsysteme führt man im Wesentlichen auf zwei Arten. Die eine kennen wir aus dem Franchise-Bereich: Dort führt man über Verträge. Zahlreiche Verbundsysteme haben solche Franchise-ähnlichen Strukturen übernommen, etwa Rewe, Edeka, Intersport oder Hagebau. Bei der zweiten Art gibt es lediglich Rahmenverträge oder Statuten, innerhalb derer die Unternehmerinnen und Unternehmer frei im Markt agieren. So halten wir das. Und wenn man Menschen nicht anweisen kann, dann muss man sie noch mehr als sonst überzeugen. Bei uns funktioniert das erstaunlich gut.

Welche Kompetenzen müssen Führungskräfte haben, die andere von ihren Einsichten und Strategien überzeugen können, ohne sie anweisen zu können?

Was auf jeden Fall nicht funktioniert, ist hierarchische Führung pur. Wenn Sie nur auf das Organigramm verweisen, um etwas durchzusetzen, haben Sie den Verbund schon verloren. Man muss entscheiden können, wann man Hierarchie einsetzt – denn ohne geht es auch bei uns nicht – und wann Überzeugung nötig ist. Einfühlungsvermögen, Verständnis für Interessen anderer, Kompromissbereitschaft und Gespür für Timing – darauf kommt es sehr oft an.

Wie gehen Sie als Vorstandsvorsitzender mit dieser Abwägung um?

Unsere Mitglieder erwarten, dass unser Handeln zu ihrem Vorteil ist. Es gibt aber Entscheidungen, die für die Genossenschaft selbst wichtig sind, von denen die Mitglieder nur sehr mittelbar oder nicht alle profitieren. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn wir in Geschäftsfelder expandieren, die manche Händler nicht aktiv nutzen. Ich gehe partizipativ vor. Bei Entscheidungen, die auch Risiken für Händler bergen, hole ich Argumente ein, diskutiere öffentlich und entscheide erst, wenn alle relevanten Gegenargumente geprüft sind. So lernen die Mitglieder, dass Entscheidungen sachlich und transparent getroffen werden. Das schafft Vertrauen. Erstens zeigt der Vorstand Führungs- und Entscheidungsstärke; zweitens werden die Interessen der Gesellschafter respektiert. Das ist kein basisdemokratischer Ansatz, sondern verantwortungsvolle Führung. So entstehen Respekt und Akzeptanz – auch für unbequeme Entscheidungen.

„Das ist kein basisdemokratischer Ansatz, sondern verantwortungsvolle Führung. So entstehen Respekt und Akzeptanz – auch für unbequeme Entscheidungen.“

Welches ist derzeit Ihre größte Herausforderung bei der Digitalisierung?

Soennecken Dr. Benedikt Erdmann 1Wir sind als Verbund Infrastrukturgeber für unsere Kunden und Mitglieder. Wir betreiben zentral die Logistik, die IT-Systeme und die Shopsysteme. Fast alle Händler arbeiten mit unseren IT-Lösungen. Das Problem: Jeder Händler hat besondere Anforderungen oder sucht Alleinstellungsmerkmale im Markt. Das führt oft zu absurden Vorstellungen, insbesondere bei Shopsystemen. In der Vergangenheit hatten wir Systeme mit so vielen Individualprogrammierungen, dass es niemand mehr überblickte. Wenn der zuständige IT-Mitarbeitende weg war, wusste niemand mehr, wofür bestimmte Funktionen überhaupt eingebaut wurden.

Man kennt es auch aus anderen Industrien: Es gibt „Know-how-Keeper“, die kaum ersetzbar sind, weil sie die Einzigen sind, die Individualprogrammierungen verstehen.

Ja, ich nenne das gerne „Kündigungsschutzprogrammierung“. Dem begegnet man nur, indem man konsequent auf Standardisierung setzt. Individualprogrammierungen sind möglich, aber nur, wenn sie die Releasefähigkeit des Gesamtsystems nicht gefährden. Diese ist für uns nicht verhandelbar. Individuelle Wünsche dürfen die Updatefähigkeit niemals gefährden.

Und welche Chancen der Digitalisierung sehen Sie für Soennecken?

Wir haben enormes Rationalisierungs- und Digitalisierungspotenzial. Viele Prozesse werden hochindividualisiert und manuell ausgeführt. Das kostet viel Geld. Es dauert ein wenig, bis dieser Wandel in einem Verbundsystem wie unserem umgesetzt ist. Digital lassen sich diese Prozesse effizienter gestalten – auch organisatorisch. Interessant ist, dass die Händler im Osten der Republik IT-affiner sind. Sie treiben die Digitalisierung stärker voran.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Ich kann nur vermuten: Die Vertriebsstruktur im Westen Deutschlands ist stark auf Außendienst und persönliche Betreuung ausgerichtet. In den östlichen Bundesländern haben wir wenig Ballungsräume. Dort funktioniert das nicht wegen der weiten Wege – dort läuft Vertrieb stärker digital.

In Genossenschaften hat der Aufsichtsrat oft zwei Hüte auf: Einerseits agiert er im Interesse des Verbundes, andererseits sind die Aufsichtsratsmitglieder auch meist Unternehmer mit Eigeninteresse. Wie bewerten Sie diese genossenschaftliche Spezialität unter Governance-Gesichtspunkten?

Potenzielle Konflikte entstehen bei Entscheidungen, die die Genossenschaft unter Risiko treffen muss, die aber nicht dem einzelnen Händler zugutekommen. Da ist die Versuchung groß, es sich leicht zu machen. Es kann auch handfeste Interessenkonflikte geben: Denken Sie zum Beispiel an Verhandlungen zu Einkaufspreisen.

Wie würden Sie die Governance-Struktur gestalten, um diese Konflikte zu vermeiden?

Es ist unabdingbar mit den Personen im Aufsichtsrat zeitig und offen über diese potenziellen Konflikte zu sprechen und Vereinbarungen zu treffen. Interessenkonflikte sind ja normal. Es kommt darauf an, wie man damit umgeht. Wichtig sind auch externe Aufsichtsräte, die nicht aus dem Verbundsystem kommen. Das weitet den Blick, und Aufsichtsräte außerhalb des Systems sind enorm hilfreich gegen Betriebsblindheit.

Das erfordert einen Vorstand, der auch mal Gegenwind aushalten kann…

Genau. Die Stellung des Vorstands in einer Genossenschaft ist auch recht stark. Er ist außerhalb der nach Satzung und Gesetz zustimmungspflichtigen Geschäfte weitgehend unabhängig und muss diese Unabhängigkeit konsequent vertreten. Nehmen wir als Beispiel die Frage, vor der Soennecken in der Vergangenheit stand: Hat die Genossenschaft das Recht auf Eigengeschäfte wie ein „normales“ Unternehmen oder ist sie nur Erfüllungsgehilfin für die Interessen ihrer Händler? Mittlerweile darf Soennecken Eigengeschäfte machen und Endkunden im Netz bedienen. Aber die dafür nötige Satzungsänderung war alles andere als ein Selbstläufer. Doch die Mehrheit hat die Vorstandsmeinung bestätigt, dass ein Verbundsystem sich von den unmittelbaren Interessen der Anteilseigner durchaus lösen kann, um langfristige Stabilität zu sichern. Diese Konflikte muss ein Vorstand aushalten, austarieren und dann Entscheidungen herbeiführen, die das Gesamtsystem schützen.

Welche Auswirkungen hat das auf die Managementebene?

Das Mittelmanagement ist in der Sandwich-Position wie das Patty im Burger. Besonders im Vertrieb muss man in einer Genossenschaft über Beziehungen führen. Ohne Beziehungsfähigkeit geht es nicht. Wenn Entscheidungen des Vorstands Konflikte erzeugen, leiden die Mitarbeitenden darunter. Deshalb führen wir das Unternehmen sehr partizipativ. Wichtige Entscheidungen müssen gemeinsam getroffen werden, sonst kollidieren Loyalitäten: Loyalität zum Unternehmen und zum Chef versus Loyalität zu Kunden und Gesellschaftern. Das darf nicht geschehen.

Wie positioniert sich Soennecken als attraktiver Arbeitgeber im Vergleich zu Konzernen oder Startups?

Wir haben einen Grundsatz: Bei Soennecken ist man mit Anstand erfolgreich. Werte wie Aufrichtigkeit und Zuverlässigkeit spielen eine große Rolle. Wir setzen auf Langfristigkeit und nicht auf „Hire and Fire“. Wir zahlen keine Spitzengehälter, aber wir gehen anständig miteinander um. Das spürt man auch innerhalb des Unternehmens. Diese Werte sind auch im Umgang mit den Genossen entscheidend. Viele bleiben über Generationen bei uns.

Würden Sie sagen, dass Langfristigkeit Ihr Markenzeichen ist?

Nein, denn das hat zwei problematische Seiten: Erstens ist es schwer, diesen Anspruch in seiner Reinform unter wirtschaftlichem Druck zu halten, z. B. bei notwendigen Kosteneinsparungen. Zweitens kann ein einseitig zu sehr auf Werte orientiertes Umfeld zu trügerischer Sicherheit führen und die Leistungsbereitschaft senken. Man muss permanent den Trade-off zwischen einer in gewisser Hinsicht familiären Unternehmenskultur und wirtschaftlichen Notwendigkeiten verhandeln.

Wo sehen Sie Soennecken in den nächsten Jahren?

Wir werden vom Produktanbieter zum Systemanbieter. Wir kommen traditionell aus dem Vertrieb von Büromaterial. Schritt für Schritt haben wir Kompetenzen aufgebaut, um alles zu liefern, was Unternehmen und Bildungseinrichtungen für ihr Arbeitsumfeld brauchen: Einrichtung, Verbrauchsmaterial oder IT-Systeme. Der Fokus liegt nicht auf den niedrigsten Preisen, sondern auf funktionierenden Arbeitsumgebungen, in denen Menschen gerne arbeiten und lernen.

Wie muss sich die Genossenschaftsstruktur wandeln, wenn das Angebot breiter wird?

Unsere Händler haben unterschiedliche Marktbearbeitungsstrategien. Man muss also je nach Aufgabe selektiv die geeigneten Händler auswählen und hochklassige Vertriebsstrukturen aufbauen, wie wir es zum Beispiel gerade im Segment der Büroeinrichtung tun. Außerdem kaufen wir gezielt Dienstleistungsbereiche und Unternehmen dazu – z. B. IT-Systemhäuser und Unternehmen für die Belieferung von Bildungseinrichtungen, die ja ganz spezielle Anforderungen an Lern- und Arbeitsumgebungen haben. So erweitern wir das Portfolio und wachsen strategisch.
 

Zur Person:

Dr. Benedikt Erdmann ist seit rund 20 Jahren Vorstandsvorsitzender der Soennecken eG. Er verantwortet die Bereiche Strategie, Innovation und Kultur, Marketing und Kommunikation, Personalwesen und die vier Geschäftsfelder. Erdmann studierte angewandte Volks- und Betriebswirtschaft. Seine Laufbahn startete er als Assistent am Institut für Handelsforschung der Universität zu Köln, dessen Leitung er nach der Promotion für vier Jahre innehatte.


Dieser Beitrag erscheint im Rahmen der Artikelserie “Momente des Wandels“. Darin beleuchten wir die vielfältigen Facetten von Transformationsprozessen. Wir zeigen auf, wie Unternehmen beispielsweise strategisch Nachfolge planen, zukunftsweisende Kompetenzen aufbauen und ihre Organisationen für die “New Work” Realität fit machen können. Darüber hinaus werfen wir einen Blick darauf, wie weitere Megatrends wie Digitalisierung, Klimawandel und geopolitische Spannungen das internationale Wettbewerbsumfeld beeinflussen. Unternehmerische Agilität, zukunftsorientiertes Recruiting und starke Arbeitgebermarken werden dabei zu entscheidenden Erfolgsfaktoren für Organisationen, die den Wandel mutig und kreativ mitgestalten wollen. Gemeinsam wollen wir in dieser Artikelserie Orientierung in turbulenten Zeiten geben und Impulse für eine lebenswerte Zukunft der Arbeit setzen.