Interview mit Markus Dinslacken, Fresenius Kabi
Markus Dinslacken ist Chief Human Resources Officer bei Fresenius Kabi. Im Interview hat er mit Kienbaum-Berater Alexander Mischner darüber gesprochen, welche Voraussetzungen im bekannten Gesundheitsunternehmen geschaffen wurden, um agiles Arbeiten zu ermöglichen.
Alexander Mischner: Unser heutiges Thema sind Arbeitswelten im Wandel, die seit längerem unter dem Motto „Zukunft der Arbeit“ öffentlichkeitswirksam diskutiert werden. – In der Regel verbunden mit der Frage, wie Arbeit künftig flexibler, agiler und auf sich ändernde Bedürfnisse junger Arbeitnehmender abgestimmt werden kann. Mein Eindruck ist, dass die praktische Umsetzung eher langsam verläuft, wenn man von einigen „Leuchtturm“-Unternehmen absieht.
Mit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 haben diese Themen quasi über Nacht eine ganz andere Bedeutung gewonnen. In Akkordgeschwindigkeit mussten viele Unternehmen tragbare Lösungen finden, um Arbeitsbedingungen einer neuen Realität anzupassen. Wie haben Sie die vergangenen Monate seit Ihrem Einstieg bei Fresenius Kabi im März erlebt?
Markus Dinslacken: Das war rückblickend eine sehr herausfordernde und intensive Zeit, und der Einstieg war natürlich ganz anders, als ich damals erwartet hätte. Mir hat in die Karten gespielt, dass hohe Agilität und Flexibilität erwartet wurden. Das liegt mir nicht nur, das macht mir auch viel Spaß.
Rückblickend kann ich sogar sagen, dass die herausforderndere Zeit mir geholfen hat, mir relativ schnell ein Netzwerk innerhalb des Konzerns aufzubauen, da viele Themen unmittelbar direkt besprochen wurden und schnelle Lösungen gefunden werden mussten. Natürlich fehlte ab und an die Zeit, alles zu planen und in einen Prozess zu gießen; vielmehr mussten wir sehr hands-on und schnell arbeiten. Das hat mir geholfen, in den ersten drei Monaten schon einen relativ großen Bekanntheitsgrad zu erreichen, viele Leute zu sprechen, in vielen Meetings dabei zu sein. Wobei ich das Glück hatte, in den ersten 2,5 Wochen noch „normal“ arbeiten zu können und die „Key-Player“ persönlich zu treffen. Wenn ich vom ersten Tag an im Home Office gewesen werde, wäre es wohl schwerer gewesen.
Alexander Mischner: Welche Maßnahmen waren es denn, die Sie ad hoc ergriffen haben, um bei Fresenius Kabi die Situation in den Griff zu bekommen?
Markus Dinslacken: Wir haben ad hoc wöchentliche Krisenstäbe gegründet, wie wohl alle Unternehmen. Erstens den Holding-übergreifenden Krisenstab, dann einen für Fresenius Kabi in Deutschland, und einen globalen Fresenius Kabi Krisenstab, in dem wir weltweite Erfahrungen austauschen.
Diese drei Stäbe haben uns geholfen, die „losen Enden“ überall zusammenzubringen und voneinander zu profitieren, weil alle ja die gleichen Themen hatten. Gleichzeitig haben wir uns auf der HR-Ebene konzernübergreifend von Anfang an jeden Tag um 18:00 Uhr für eine halbe Stunde ausgetauscht zu drängenden Themen und aktuellen Herausforderungen. Gleichzeitig haben wir besprochen, was in den nächsten Tagen ansteht und wo wir gemeinsame Lösungen finden können.
Praktisch sah es so aus, dass Führungskräfte auf uns zukamen mit der Frage, wie sie die Versorgung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Laptops im Home Office sicherstellen können. Wir haben bürokratische Dienstwege verkürzt und die Mitarbeitenden mit allem Notwendigen ausgestattet, damit sie zu allererst zu Hause loslegen können. – Einige aus unserem Team wollten sich auf den Weg in den Elektromarkt machen, um nötigenfalls die fehlende Hardware einzukaufen – weil unsere IT gar nicht so schnell mit der Bestellung von Equipment nachkam. Hauptsache, die Leute konnten sich von zu Hause remote einloggen und arbeiten. Das war am Ende dann aber zum Glück doch nicht nötig, hätten wir aber gemacht. Das zeigt, glaube ich, wie sehr wir lernen mussten, unkonventionell und schnell voranzuschreiten. Bei kleinen Unternehmen mag dies normal sein, aber wenn man wie wir eine gewisse Größe hat, dann hat man normalerweise für alles einen Prozess. Dinge „am Prozess vorbei zu machen“, war aber in dieser besonderen Situation ehrlichweise keine große Diskussion. Das lief sofort – sehr zupackend und praxisorientiert – was meiner Meinung nach sehr für die Fresenius Kabi spricht.
Alexander Mischner: Es ging also darum, immer wieder auf die stündlich sich ändernden Rahmenbedingungen zu reagieren und unbürokratische, „unkonzernhafte“ Lösungen zu finden. Was hat denn davon gut funktioniert, was hat auf Anhieb geklappt und wo mussten Sie vielleicht auch nachjustieren?
Markus Dinslacken: Der Austausch und das direkte Miteinander haben gut funktioniert, und die schnelle Lösungsfindung war hervorragend! An Themen wie mobilem Arbeiten mussten wir allerdings eine Zeit lang arbeiten. Wir haben das mit den besten Intentionen und Überlegungen gemacht, aber in der Schnelligkeit passieren dann natürlich auch Fehler. Im Konzern ist man gewohnt, Dinge direkt zu 100% richtig zu machen und für alles eine Antwort zur Verfügung zu stellen. Das beginnt bei einer Information an die Mitarbeitenden, die beinhaltet: „Bitte packt Eure Sachen ein, fahrt nach Hause und arbeitet von dort. Aktuelle Informationen folgen.“ Der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass das natürlich nur für Mitarbeitende gelten kann, die nicht in der Produktion oder in einem Labor arbeiten. Das haben wir aber nicht explizit erwähnt und so kamen Fragen auf. In Folge haben wir dann mehr an der Kommunikation gearbeitet aber auch am Verständnis, dass man bei einer so rasanten Entwicklung lernen muss, flexibel zu agieren und mit Unsicherheiten umzugehen und auch den einen oder anderen Fehler zu akzeptieren. Und auch Pragmatismus muss man teils erst einmal erlernen. Man kann in so einer Phase nicht immer alles komplett durchdenken und muss vielleicht auch bei unzureichender Datenlage eine Entscheidung treffen. Bei einigen Kolleginnen und Kollegen mussten wir ein Stück weit unterstützen und nachschärfen, dass sie sich mit dem Gegebenen wohl fühlen, Entscheidungen zu treffen.
Alexander Mischner: Was würden Sie denn mit dem Erfahrungsstand von heute in einer vergleichbaren Situation vielleicht von Anfang an vollkommen anders machen?
Markus Dinslacken: In einer ähnlichen Situation würden wir wahrscheinlich in Zukunft mehr Ruhe bewahren. Da waren wir, glaube ich, wie alle – egal ob in der Politik, Medizin, Unternehmen – gleichsam ein wenig Getriebene. Wir würden stärker versuchen, „vor die Welle zu kommen“, auch in der Kommunikation. Auf der anderen Seite glaube ich, dass wir in einer wirklich kritischen Situation klarer sein müssen, dass jetzt nicht der Zeitpunkt für ausgedehnte Diskussion ist: Wenn das Haus brennt, dann brennt es, und dann diskutieren wir nicht mehr, wer den Feuerlöscher holt.
Alexander Mischner: Ich habe den Eindruck, dass viele Führungskräfte immer noch ein ausgeprägtes Präsenzdenken haben und es wichtig finden, dass die Mitarbeitenden alle vor Ort sind, um sie besser steuern oder anleiten zu können. Wie versetzt man denn als HR-Organisation Führungskräfte in die Lage, auf einmal virtuelle Teams zu führen, über verschiedene Home Office-Standorte hinweg? Welche Skills müssen trainiert werden, welche Voraussetzungen geschaffen werden?
Markus Dinslacken: Viele machen das bereits ganz hervorragend und sehr intuitiv, manche aber haben einfach Schwierigkeiten damit. Wir bieten e-Learnings an, wie man „remote“ führen lernt. Wir haben einen Leitfaden geschrieben, wie man das soziale Miteinander mit den zur Verfügung stehenden Medien verbinden kann. Ein Beispiel ist eine „virtuelle Kaffeepause“ mit den Mitarbeitenden. – Schaut, dass ihr einen Zeitraum findet, um für eine halbe Stunde zu telefonieren per Teams und ohne ein direktes Business-Thema – wie sonst an der Kaffeemaschine.
Vertrauen ist letztlich das A und O, und das hat einen großen Einfluss darauf, wie groß die Change-Bereitschaft der Führungskräfte ist. Das kann man durch Trainings gut antriggern. Und auch selbstreflexiv kann es helfen, wenn man einmal bedenkt, wie man selbst als Führungskraft arbeitet. Ich sitze ja auch nicht daheim und mache nichts, sondern arbeite sehr konzentriert. Es gibt immer die 5%, die wir nicht abholen werden, damit müssen wir zurechtkommen. Es ist stattdessen wichtig, die anderen 95% mitzunehmen, und mit ihnen in die richtige Richtung zu gehen.
Alexander Mischner: Wie passt Fresenius Kabi die eigenen KPI-Systeme so an, dass bei Home Office-basiertem Arbeiten die Leistungen messbarer werden? – Das scheint mir ja ein wichtiger Vorbehalt zu sein.
Markus Dinslacken: Wir müssen deutlich mehr in die Richtung gehen, mittel- und langfristige Arbeitspakete zu vereinbaren und unsere Mitarbeitenden am Erreichten zu messen. Und wie im „normalen Leben im Büro“ kann es Gründe geben, warum die nicht erreicht werden, die besprochen werden sollten.
Aber insgesamt geht das nur, wenn wir mehr Vertrauen in unsere Belegschaft haben und uns vor Augen führen, wie selten wir die Erfahrung gemacht haben, dass Vertrauen missbraucht wurde. Das ist ein minimaler Anteil, und der sollte uns nicht leiten. Leiten muss uns der Anteil von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die extrem gut arbeiten und verlässlich sind. Darüber hinaus sollten wir unsere KPIs ein Stück weit ändern. Wir müssen auch über das Thema Arbeitszeit reden. Bis auf die leitenden Angestellten erfassen alle ihre Zeit. Das ist im Home Office schwieriger, weil ich natürlich merke, dass ich manchmal eine Stunde Mittagspause mache, manchmal aber auch keine.
Vertrauen ist also essenziell: Wenn mir gesagt wird, dass jemand von 08:00 Uhr bis 17:30 Uhr gearbeitet hat, dann muss ich darauf vertrauen, da ich es nicht mehr direkt sehe. Diesbezüglich sind unsere Arbeitszeitmodelle in Deutschland sicher nicht mehr die Richtigen, sondern es ist ein viel flexibleres Arbeiten nötig, mit mehr Eigenverantwortung und Vertrauen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber. Ich bin sicher, wir können unseren Talenten mehr zutrauen! Zudem tragen Konzerne eine besondere Verantwortung. Ziel kann es also nicht sein, dass Mitarbeitende bei einer vollen Stelle 60 Stunden von zuhause arbeiten, aber auch nicht, dass sie nur 25 Stunden arbeiten. – Vertrauen und Kommunikation sind hier sehr wichtig.
Alexander Mischner: Das heißt, dass man vielleicht ganz andere Modelle braucht, die mehr auf Vertrauensarbeitszeit basieren. Ich meine, wir machen alle die Erfahrung, dass man dann doch mal zur Tür geht und dem Postboten die Tür öffnet, oder wir gehen eine halbe Stunde um den Block oder erledigen mal schnell einen Einkauf. Das lässt sich in konventionellen Zeiterfassungssystemen nur schwer abbilden, macht uns aber keineswegs weniger effizient.
Markus Dinslacken: Ich bin seit vielen Jahren ein absoluter Verfechter und Freund von Vertrauensarbeitszeit. Ich arbeite seit 20 Jahren in Vertrauensarbeitszeit und finde das für mich ein fantastisches Modell, weil ich nie das Gefühl habe, ich muss irgendwo Zeiten erfassen, wenn ich eine Pause mache. – Ich genieße ein hohes Vertrauen meiner Vorgesetzten. Aber dazu gehören beide: Mitarbeitende und Vorgesetzte müssen das im Zusammenspiel machen. Das ist in Deutschland ein Thema, wo wir manchmal noch ein Stück weit in der Steinzeit leben, wenn wir an unsere Arbeitszeitmodelle denken. Ich bin allerdings optimistisch und froh, dass wir uns auf der politischen Ebene langsam in die Richtung bewegen und den geeigneten rechtlichen und organisatorischen Rahmen für neue Arbeitszeitmodelle schaffen. Es muss am Ende das Ergebnis sein, das gemessen wird. Wenn ich besonders effizient bin: wunderbar! Wenn ich ein bisschen mehr Zeit brauche: auch ok. Es sollte keine fixen 37,5 oder 40 Stunden / Woche mehr geben, sondern ein flexibles und variables Miteinander. In die Richtung müssen wir gehen.
Alexander Mischner: Gibt es denn Ihrer Meinung nach auch Grenzen des mobilen Arbeitens und wenn ja, wo liegen die?
Markus Dinslacken: Ein Unternehmen lebt auch davon, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter miteinander im sozialen Kontakt stehen und interagieren. Das merken wir nun nach vielen Monaten im Home Office. Wir können unglaublich viel über Videokonferenzen machen. Das läuft auch sehr gut, aber es geht ein Stück Soziales verloren. Normalerweise gehen wir vielleicht alle 2 Wochen mittags mal gemeinsam essen oder wir machen einen Grillabend oder gehen in einer Runde abends etwas trinken. Das fehlt alles gerade. – Weniger aufgrund des mobilen Arbeitens an sich als mehr aufgrund der Pandemie. Aber auch beim mobilen Arbeiten gilt es, soziale Komponenten zu berücksichtigen, indem man zum Beispiel regelmäßige virtuelle Teammeetings abhält. Auf diese Weise sieht man sich, man tauscht sich aus. Vor dieser Herausforderung stehen alle Unternehmen – Bindung und Loyalität zum Arbeitgeber werden anders wahrgenommen und müssen neu geschaffen werden. Und wir alle wissen, dass die Unternehmen, die eine hohe Loyalität ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spüren, auch entsprechend erfolgreicher sind als die, bei denen mit niedrigeren Loyalitätsraten. Eine abnehmende Bindung ans Unternehmen durch mobiles Arbeiten ist eine Gefahr, die ein Stück weit unterschätzt wird. Ich habe in meinem alten Konzern in den USA mal erlebt, dass gefühlt nur 20 bis 30% der Belegschaft im Office waren. Da läuft man durch leere Gänge und Korridore und empfindet das wie eine leere Hülle, die ab und zu genutzt wird. So geht ein Stück Kultur verloren. Das finde ich schade, und wir sollten darauf achten, dass es uns nicht so ergeht. Auch der Onboarding Prozess profitiert davon, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich persönlich kennenlernen – und auch dies kommt aktuell zu kurz.
Alexander Mischner: Welchen Beitrag kann denn HR an der Stelle leisten, um sicherzustellen, dass nach wie vor ein gemeinsamer Spirit besteht, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich auch mit dem Unternehmen identifizieren, sich zugehörig fühlen und ein Bürostandort eben nicht zur leeren Hülle verkommt?
Markus Dinslacken: Besonders relevant ist der Umgang im Miteinander. HR kann hier einen großen Wertbeitrag in der Ausdefinierung des „New Way of Work“ leisten. Das fängt an bei der Bürogestaltung. Ist es noch ein Einzelbüro oder ist es ein „Open Office“?
Wir selbst sind gerade zum Jahresende in ein Open Office gezogen, trotz Covid 19, bewusst in schmaler Besetzung. Wir wollten trotzdem gemeinsam arbeiten und können auch die Hygiene sicherstellen und die Maßnahmen einhalten, die wichtig sind.
Im nächsten Schritt geht es um die Ausgestaltung dieses Arbeitsumfelds. Eine freundliche Atmosphäre, angenehmes Arbeiten im Open Space, Förderung der Kreativität und eine Möglichkeit zur Stillarbeit sind essenziell. Da kann HR nach meiner Auffassung einen großen Beitrag leisten, indem wir die „Change-Agents“ sind und dies mit ins Unternehmen tragen. Und, wie gesagt, Führungskräfte an die Hand nehmen und unterstützen, sich mit dieser Situation wohl zu fühlen. Eine Kultur zu schaffen, in der Delegation und Empowerment möglich sind, ein respektvoller Umgang miteinander und in der man offen miteinander spricht. Eine Kultur, in der eine Führungskraft völlig selbstverständlich zu seiner Mitarbeiterin sagen kann: „Ich habe ein ungutes Gefühl, lass uns mal drüber reden, ich habe dich so lange nicht gesehen. Gib mir mal ein bisschen Input, was du gerade machst.“ Oder ein Mitarbeiter zu seiner Chefin sagen kann: „Ich sehe dich zu wenig, ich brauche ein bisschen mehr Guidance oder mehr Austausch.“ Dass man das sehr offen miteinander bespricht, ohne zu einer Performance- oder Leistungskontrolle zu werden: da hat HR eine hohe Verantwortung. Hier kann Deutschland noch viel von anderen Ländern lernen.
Alexander Mischner: Wir haben bis jetzt vor allem über die Frage nach Präsenzkultur versus mobiles Arbeiten gesprochen. Das ist im Corona-Kontext sicherlich vordringlich, aber bei weitem nicht der einzige Aspekt, wenn man sich über neue Arbeitswelten austauschen möchte. Welche anderen Facetten gehören denn für Sie auf jeden Fall dazu?
Markus Dinslacken: Für mich gehört auf jeden Fall der Aspekt der Digitalisierung dazu, die eine gewisse Automatisierung von Prozessen mit technologischer Unterstützung umfasst. Man kann zum Beispiel heute, und das sehen wir ja gerade jetzt, einen Onboarding-Prozess oder das Ausscheiden eines Mitarbeitenden unglaublich gut technologisch unterstützen. Für mich das A und O ist, künftig eine Kultur im Unternehmen zu etablieren, die weniger hierarchisch und deutlich schlanker ist, die mehr auf ein Miteinander eingeht. Eine Kultur zu etablieren, die davon ausgeht, dass Menschen nicht mehr fest in Teams, sondern mehr projektbezogen, an wechselnden Orten arbeiten und in unterschiedlichen Arbeitsgruppen miteinander kooperieren. Dafür müssen wir Rahmenbedingungen schaffen, und die Unternehmen tun gut daran, den eingeschlagenen Kurs der letzten Monate, nämlich des engen Miteinanders, fortzusetzen. Das hat, auch innerhalb des Konzerns und mit anderen Unternehmen, so gut geklappt wie in 20 Jahren noch nie. Ich habe mit ehemaligen Kollegen von Henkel telefoniert, oder mit Ehemaligen bei Boehringer oder Lufthansa oder Adidas. Wir haben immer ein gutes Netzwerk unter den HRlern gehabt, aber dass man sich so offen austauscht, an welcher Stelle man nicht weiterkommt und wo man Hilfe und Ideen benötigt, das war neu. Ich glaube, das wird auch die Unternehmenskultur der Zukunft prägen.
Alexander Mischner: Lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft richten. Was bringen Post-Corona Zeiten mit sich? In meinen Gesprächen mit Unternehmen mache ich die Erfahrung, dass es im Prinzip zwei Gruppen gibt. Die größere Gruppe erwartet ein „Back to Normal“. – Und es gibt die andere Gruppe, die die zurückliegenden Monate als sehr prägend empfunden hat und fest davon ausgeht, dass sich die Art, wie, wann und wo wir zusammen arbeiten, in Zukunft grundlegend ändern wird. Wie sehen Sie das?
Markus Dinslacken: Ich gehöre sicherlich zur zweiten Gruppe, die sehr optimistisch ist, dass sich etwas Grundlegendes ändert. Ich glaube aber auch, es wird durch die baldige Verfügbarkeit von Impfstoffen einen Wechsel geben zurück in Richtung Normalität. Man wird wieder etwas mehr reisen, das gesellschaftliche Leben wird sich regeln, man wird auch eine Tendenz erleben – gerade zu Beginn – dass die Leute froh sind, wieder vier oder fünf Tage ins Büro zu kommen, ihre Kolleginnen und Kollegen zu sehen und wieder miteinander etwas zu unternehmen. Im weiteren Verlauf wird sich das nach meiner Auffassung „zurechtrütteln“. Wir arbeiten jetzt schon konzeptionell daran, dass wir das Gute aus der „alten“ Umgebung und der Situation der letzten Monate miteinander kombinieren. Es wird selbstverständlich bleiben, dass wir mobil arbeiten und nicht die Erwartung da ist, dass bei jedem Meeting alle Teilnehmenden physisch anwesend sind. Das ist der neue Standard, und wir gewöhnen uns daran, mit „gemixten technischen Situationen“ umgehen zu können. Wir haben heute die Situation, in der wir uns fragen, wie die Verteilung der KollegInnen auf das Home Office und das Büro ist. Bei einer Mischung kommt dann meist der Vorschlag einer Videokonferenz, damit niemand benachteiligt ist. Die Zukunft muss jedoch meiner Meinung nach so aussehen, dass auch jederzeit hybride Meetingformen zugelassen sind und Mitarbeitende, die im Urlaub sind, entscheiden könnten, noch 3 oder 4 Tage dranzuhängen: „Ich habe meinen Laptop dabei und kann noch wunderbar hier vom Strand aus arbeiten.“ Warum nicht? Das sind neue Chancen, die wir nutzen sollten.
Alexander Mischner: Wenn wir den Blick noch weiter in die Zukunft richten, was wird sich bei Fresenius Kabi im Hinblick auf neue Arbeitswelten in den nächsten 5 – 10 Jahren verändert haben? Was sind Ihre Pläne?
Markus Dinslacken: Wenn wir in 5 – 10 Jahren zurückblicken, werden wir ein Fresenius Kabi erleben, das extrem gewachsen und sehr erfolgreich ist. Weil unsere Leute das Beste geben und weil wir ihnen mehr Möglichkeiten bieten, ihr Arbeiten an ihre privaten und sonstigen Verpflichtungen anzupassen. Wir werden auch sehen, dass wir auf einmal Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit neuen Ideen und Konzepten gewinnen können, die vielleicht vorher nie für unser Unternehmen gearbeitet hätten, weil es ihnen zu starr oder unflexibel war. – Und auf einmal sind da Offenheit und Flexibilität – für Teilzeit, für mobiles Arbeiten. Das ist das Eine. Zum anderen wird sich auch ein ganz anderes Arbeiten etabliert haben. Werden wir in 10 Jahren noch Bürogebäude haben? Klar brauchen wir noch ein Headquarter und einen Standort. Aber brauchen wir das noch in der Art, wie es heute ist? Das ist eine Frage, die wir uns anschauen werden. Werden wir in 20 Jahren, und damit komme ich auf einen an früherer Stelle erwähnten Punkt zurück, tatsächlich noch für ein einziges Unternehmen arbeiten? Oder gibt es Mitarbeitende, die projektbezogen für das eine oder andere Unternehmen arbeiten? Die dann sagen: „Das Projekt ist so interessant, das will ich unbedingt für die Lufthansa machen, dann gibt es morgen ein Projekt bei der Fresenius Kabi und übermorgen bei Daimler.“ Und ich mache das und arbeite parallel für zwei oder drei Unternehmen und bekomme von zwei oder drei Unternehmen ein projektbezogenes Entgelt. Das ist natürlich eine Vision für die Zukunft. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass sich globale und große Konzerne eines Tages in diese Richtung entwickeln werden und wir noch sehr viel in den nächsten Jahrzehnten sehen werden, was heute noch undenkbar scheint.
Es ist zudem ganz wichtig, dass die Unternehmen und wir als Führungskräfte lernen, dass wir eine Vorbildfunktion haben. Und das wird in den nächsten Jahren sichtbarer sein, als es vielleicht in der Vergangenheit war. Wie verhalten sich Führungskräfte, wie verhält sich das Top Management, wie verhält sich das Board? Sind sie immer präsent oder arbeiten sie auch mal mobil? Können sie damit umgehen, remote zu führen? Das wird nach meiner Überzeugung einen großen Einfluss haben und am Ende auch ein Unterscheidungsmerkmal für Unternehmen sein, die erfolgreich sind oder – eben solche, die nicht erfolgreich sein werden.
Alexander Mischner: Vielen Dank für das Gespräch.
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