Abstract aus dem Q&A der People Week mit Walter Jochmann

„Wir werden Zeugen eines wirklichen Aufbruchs“

Prof. Dr. Walter Jochmann im Gespräch mit Frank Stein im Rahmen der Digitalen People Week 2020.

Welches Ergebnis der Kienbaum Studie zur Zukunft der People-Funktion war besonders überraschend?

Überrascht und erfreut war ich über die nahezu einstimmige Zustimmung zu Remotework, eine allgemein sehr positive Bewertung des Zusammenhalts in den Unternehmen und einen Wert von unter 20 Prozent erwartetem Personalabbau.

Wie lässt sich Produktivität auch nachhaltig im Homeoffice erhalten?

Besonders hervorzuheben ist für eine überwältigende Mehrheit der fehlende persönliche Austausch. Daher rechne ich nicht damit, dass zukünftig alle im Homeoffice arbeiten werden. Ich sehe für die Zukunft also ganz klar hybride Modelle, die den persönlichen Kontakt zulassen und gleichzeitig die Möglichkeit für etwa 30-50 Prozent Homeofficezeit bieten. So wird auch die Produktivität nicht zu kurz kommen.

Prof. Dr. Walter Jochmann im Gespräch mit Frank Stein im Rahmen der Digitalen People Week 2020.

Erleben wir gerade eine Art Restauration der klassischen HR-Agenda?

Unternehmen, die sich beidhändig aufstellen können, sind erfolgreicher. Themen wie Recruiting, Talent Management usw. – also eigentlich alles, was laut meiner Kontakte das Geschäft verlangsamt – wird gerade erst einmal ausgesetzt. Die Unternehmen sammeln mit diesen Restaurationstendenzen Kraft für die kommenden Zeiten. Agil und digital ausgerichtete Unternehmen dagegen sind gerade gut aufgestellt. Meiner Ansicht nach eine ganz klare Botschaft an die Unternehmen und Aufsichtsräte, dies nicht als „Modethemen“ abzutun.

Gibt es Beispiele, wie sich eine HR-Organisation agil aufstellt?

Es gibt drei Dimensionen: Erstens, die Kenntnis und Anwendung agiler Methoden (Design Thinking, Scrum, Lean Startup, etc.). Zweitens ist es unabdingbar, agile Talente in den Bereich aufzunehmen, und drittens, und das ist der Kern, geht es um die Aufhebung der klassischen Hierarchiestrukturen und die Umwandlung in ein Kreismodell.

Wie muss ein klassisches HR-Expertenprofil verändert werden, um agil zu funktionieren?

Diese Profile sind gut, wie sie sind – sie müssen nur ergänzt werden durch Data Analytics, da die Personalarbeit heute viel stärker Algorithmus-gestützt funktioniert. Auch Menschen „aus dem Geschäft“ tun der Personalfunktion gut – nicht nur als Businesspartner, sondern als jemand, der das Unternehmen im Kern versteht. Ideal ist ein People Manager mit Führungs- und Markterfahrung.

Welche Kontraste siehst Du bei Leadership in der HR-Organisation?

Es dominiert in Personalbereichen nach wie vor der transaktionale oder teilweise der experten- / bzw. projektorientierte Führungsstil, und nicht, wie oft postuliert, der transformationale oder shared Leadership-Stil. Man könnte also HR mit dem Schuster vergleichen, der selber schlechte Schuhe trägt. Eine starke Orientierung an Operations funktioniert zum Beispiel nicht gut mit shared Leadership. Ich sehe also in einem Krankenhaus kein OP-Team, das erst morgens festlegt, wer welche Rolle einnehmen darf. Aber die andere Seite der HR macht deutlich, dass Führungskräfte, je agiler ein Unternehmen wird, sich umso mehr zurücknehmen müssen. Führung wird so eher zum Coaching.

Die Krise bietet also Momentum für HR, jetzt in Führung zu gehen?

Ja, es kann durchaus ein tieferer Sinn durch die Krise geschaffen werden, zum Beispiel dadurch, dass HR-Bereiche Verantwortung für die Gesundheit der Mitarbeiter übernehmen. Das kann Teil des Purpose ihrer täglichen Arbeit werden.

Muss HR denn auch Sinnfragen und Leitbilder aufzeigen?

Meiner Meinung nach kann HR diese Themen nicht initiieren, aber durchaus moderieren. Originär müssen Leitbilder aber immer aus den Vorständen und Aufsichtsräten kommen und durch die Führungskultur entsprechend vorgelebt werden.
Du siehst dort also durchaus ein Zukunftspotential im Zusammenhang mit Purpose.

Worin liegt denn für Dich selbst der Purpose der HR-Funktion?

Ja, auf jeden Fall – die Personalfunktion ist eine absolute Zukunftsfunktion! Mein ganz persönlicher Purpose ist es daher, die HR auf einer Höhe beispielsweise mit der Finanzabteilung zu positionieren, denn hinter den Zahlen stehen immer Menschen mit ihrer fachlichen, persönlichen und Teamleistung!

Anmerkung: Kienbaum führt aktuell eine Studie zum Thema “Purpose” – Hype oder echter Mehrwert für Unternehmen? durch. Nehmen Sie hier teil: Kienbaum-Purpose-Studie

Handelt es sich bei der Messbarkeit der Personalfunktion nicht um ein schwieriges Thema?

Das ist insofern korrekt, als dass ungewollte Fluktuation, Absentismus und unbesetzte Stellen häufig vernachlässigt werden; dabei geht es hier oft um einen zweistelligen Millionenbereich! Mit diesen Zahlen muss HR definitiv stärker arbeiten.

Das sind nun eher defizitorientierte Zahlen – gibt es denn auch positive Daten, die man als Anhaltspunkte nutzen kann, zum Beispiel durch Engagement-Messungen mit Hilfe von Apps wie Peakon?

Ja, die gibt es durchaus auch und es zeigt sich, dass diese Zahlen mit Firmenerfolgen korrelieren. Generell stellt Feedback eines der wichtigsten Steuerungsinstrumente in der HR dar. Darin schlummert also ein enormes Handlungspotential – und das nicht nur in Krisenzeiten, sondern auch für die neue Zukunft.

Gelingt der HR also die Evolution vom Sachverwalter zum Zukunftsgestalter?

Ja, das denke ich tatsächlich, denn wir werden hier gerade Zeuge eines wirklichen Aufbruchs. Meine Prognose lautet ganz klar: Durch die Krise wird die People Funktion ihrem eigentlichen Stellenwert deutlich gerechter werden.

Wie schätzt Du die Zukunft des Beratungsmarkts ein?

Ich sehe eine massive Digitalisierung der Weiterbildungsmaßnahmen, und damit auch einen Anspruch der Unternehmen, mitzuziehen. Wir selbst arbeiten auf Hochtouren an digitalen Beratungsangeboten, Survey-Lösungen, Data Analytics usw. Insgesamt bin ich davon überzeugt, dass der Beratungsmarkt sich, genau wie andere Märkte, deutlich verändern wird. People- und Strategiethemen haben aus meiner Sicht gute Prognosen.

Das aktuelle Thema „Krise als Chance“ gilt nicht für jeden. Wen siehst Du als Verlierer der Krise?

Die großen Verlierer sind wahrscheinlich über eine Million Klein- und Kleinstunternehmen, und natürlich diverse Branchen, aber auch SchülerInnen, die aufgrund des schon vor der Krise wenig digitalisierten Bildungssystems leiden. Wir müssen zusehen, dass wir diese Gruppen nicht außen vor lassen.

Eine letzte, persönliche Frage an Dich, mit Bezug auf das Interview mit Düzen Tekkal: Zu welcher Veränderung würdest Du Anlauf nehmen, wenn Du keine Angst hättest?

Ich glaube, dass deutliche Veränderungen immer in Grenzsituationen passieren, und sehe, dass ich mich bereits in den letzten Wochen schon sehr verändert habe. Ich bin noch agiler aufgestellt, arbeite noch digitaler und sauge die Wirksamkeit von Remotework richtig auf. Ich habe aber eigentlich keine große Angst vor etwas – aus meiner Sicht ein wirkliches Privileg, das ich zu schätzen weiß.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Sollten Sie Fragen haben, wenden Sie sich gern an Walter Jochmann (walter.jochmann@kienbaum.de) oder Frank Stein (frank.stein@kienbaum.de).

 

Hier geht es zu allen Videos und Zusammenfassungen der Web-Sessions der 1. Kienbaum People Week.

 

[Die umfangreichen Fragen und Antworten aus dem Gespräch mit Walter Jochmann und Frank Stein haben wir aus Gründen der Leserfreundlichkeit leicht gekürzt]