Interview mit Simone Menne - Teil 2

Warum wir gerade jetzt mehr Querdenker in Aufsichtsräten brauchen

Homogen besetzte Aufsichtsräte, die – gerade in Krisenzeiten – wichtige Entscheidungen unter sich abstimmen, sieht die prominente BMW-Aufsichtsrätin, überaus kritisch und plädiert für Diversität.

Simone Menne ist Aufsichtsrätin bei der BMW AG und bei der Deutschen Post AG. Sie ist zudem als Non-Executive Director bei der Johnson Controls International plc. aktiv. Zuvor war sie CFO bei der Lufthansa und Mitglied der Unternehmensleitung bei Böhringer Ingelheim. Fabian Kienbaum und Sebastian Pacher sprachen mit ihr für die BOARD über die Frage, wie sich moderne Aufsichtsratsarbeit auch vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen verändern muss. Das Interview haben wir hier für Sie gekürzt abgebildet. Das vollständige Interview finden Sie im BOARD Magazin 03/2020 (kostenpflichtig): Zu BOARD.

 

Lesen Sie hier Teil 2:

Kienbaum: Frau Menne, Diversität ist aktuell in aller Munde. Gerade in Krisenzeiten werden dann aber doch immer wieder Stimmen laut, die behaupten, dass man sich Diversität nun nicht mehr leisten könne, weil gerade jetzt schnelle Entscheidungen getroffen werden müssen. Wie ist Ihre Sicht dazu?

Simone Menne: Sie spielen auf die Entscheidung bei SAP an. Dort war ja implizit die Aussage: „In kritischen Situationen brauchen wir schnelle Entscheidungen und deswegen nehmen wir den Mann“. Ich sehe aber in schnellem Handeln und einem divers besetzten Aufsichtsrat überhaupt keinen Widerspruch. In vielen Aufsichtsräten – gerade in Deutschland – werden besonders kritische Punkte über bestimmte Gremienstrukturen vorentschieden. Dann gehen Sie in die Aufsichtsratssitzung und haben vorher in der Zeitung gelesen, wie Sie entscheiden werden. Wenn es einen kleinen Kreis von sehr homogenen Menschen gibt, die wichtige Entscheidungen unter sich abstimmen, sehe ich das gerade in der Krise extrem kritisch. Insbesondere in solchen Konstellationen besteht ja die Gefahr, dass man nicht flexibel und neu denken kann. Ich würde daher immer dafür plädieren, Aufsichtsräte möglichst divers zu besetzten. Es steht Ihnen ja dann immer noch offen, in einer Krisensituation einen Sonderausschuss zu gründen. Der besteht im Zweifelsfall dann eben nicht aus den Mitgliedern des Präsidial- oder des Nominierungsausschusses, sondern aus den Aufsichtsratsmitgliedern, die für die konkreten Herausforderungen die entscheidenden Kompetenzen und Erfahrungen mitbringen. Und hier sind wir dann wieder beim Thema Geschwindigkeit und Flexibilität. Gerade bei solchen Fragen ist die deutsche Aufsichtsratswelt aus meiner Sicht noch zu unbeweglich. Wir brauchen hier mehr Menschen, die auch querdenken können.

Kienbaum: Welche Bedeutung hat Erfahrung für Sie? Hat Erfahrung gerade in der Krise Vorrang?

Simone Menne: Nein. Wenn wir nur auf Erfahrung setzten, laufen wir Gefahr, am Ende nicht beweglich genug zu sein. Dann spulen wir unser Erfahrungs-Krisenprogramm ab, das sich zum Beispiel in der Finanzkrise bewährt hat. Aber was bringt Ihnen die Erfahrung aus einer Finanzkrise bei einer globalen Pandemie, wie wir sie aktuell durchleben? Wir müssen intelligent genug sein, die richtigen Menschen zusammenzubringen – solche, die sich gegenseitig auf den Prüfstand stellen und trotzdem schnelle Entscheidungen treffen können.

Kienbaum: Vor fünf Jahren ist das FüPo-Gesetz für mehr Frauen in Führungspositionen beschlossen worden. Aktuell wird diskutiert, die verpflichtende Quote auch auf den Vorstand auszuweiten. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Simone Menne: Hier muss man vorsichtig sein. Vorstandsteams sind in aller Regel viel kleiner als Aufsichtsratsgremien. Gleichzeitig ist die Zusammenarbeit viel intensiver. Bei Vorständen muss die Chemie zwischen den einzelnen Mitgliedern stimmen. Wenn das nicht so ist, wird das für Unternehmen hochriskant. Bei der verpflichtenden Quote für Vorstände habe ich also Bedenken. Nichtsdestotrotz finde ich es natürlich extrem enttäuschend, dass sich in deutschen Vorständen noch so wenig bewegt hat.

Kienbaum: Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe dafür, dass sich hier noch so wenig tut?

Simone Menne: Das Thomas-Prinzip existiert eben auch bei Aufsichtsräten. Im Zweifel suchen Aufsichtsratsvorsitzende, die ja einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Vorstandsbesetzung haben, einen Vorstand, der ihnen ähnlich ist, im selben Stil das Geschäft führt und kulturell vermeintlich passt. Das muss dann nicht immer das Beste für das Unternehmen sein. Aber diese Frage stellen sich viele gar nicht mal. Denn gerade bei Vorständen wird immer noch massiv aus dem Bauch heraus besetzt. Und wenn ehemalige Vorstände nun im Aufsichtsrat Entscheidungen treffen, nimmt die Wahrscheinlichkeit, dass über die Vorstandsbesetzung auch ein Kulturwandel eingeleitet wird, nochmal ab.

Kienbaum: Mal abgesehen vom Vorstand, haben AufsichtsrätInnen auch eine Verantwortung für die Wandlungsfähigkeit der Organisation und der MitarbeiterInnen?

Simone Menne: Bei Personalfragen können Sie als Aufsichtsrat ja nicht einfach bei der Besetzung des Vorstands anhalten. Der Mittelbau ist in vielen Unternehmen in mancher Hinsicht deutlich statischer als der Vorstand. Und wenn das so ist, dann sind die Möglichkeiten für den Vorstand, wichtige Entscheidungen durch- und umzusetzen, schlicht limitiert. Wie der Vorstand es schaffen kann, nicht von einem großen Mittelbau, in dem letztendlich jeder seine eigene Position verteidigt, ausgebremst zu werden, das halte ich für eine strategisch wertige und sehr wichtige Diskussion, die wir auch in Aufsichtsräten häufiger führen sollten. Auch Fragen, wie gut die Mannschaft insgesamt aufgestellt ist, wie flexibel oder resilient die Mitarbeiter sind, oder welche Mechanismen im Hinblick auf Innovation im Unternehmen existieren, müssen stärker im Aufsichtsrat diskutiert werden.

Kienbaum: Nun haben wir viel über Beharrungskräfte in Unternehmen gesprochen, die einen echten Wandel – gerade hinsichtlich Diversität und Kultur – blockieren. Woher können aus Ihrer Sicht denn spürbare Veränderungsimpulse kommen?

Simone Menne: Ich halte den Weg über die Aufsichtsräte weiterhin für den richtigen Weg. Der Anteil der weiblichen Aufsichtsratsmitglieder ist dank der gesetzlichen Initiative ja schon gestiegen. Allerdings bekleiden nur wenige Frauen  wirklich entscheidende Rollen in den Aufsichtsräten – ich rede vom Aufsichtsratsvorsitz oder dem Vorsitz von wichtigen Ausschüssen. Damit sich hier etwas ändert, brauchen wir die Unterstützung der Investoren, die schlussendlich in den Hauptversammlungen die Aufsichtsräte wählen. Investoren und Proxy Advisor müssen noch stärker einfordern, dass exponierte Rollen in den Aufsichtsräten divers besetzt werden. Für mich ist das die größte Chance, die wir haben.

Kienbaum: Wird sich die aktuelle Krise auf die Besetzung von Führungskräften auswirken?

Simone Menne: Das muss man abwarten. Wir werden uns nach der Krise sicher auch die Frage stellen, welche Unternehmen denn eigentlich besser durch dieses schwere Fahrwasser hindurch manövriert haben. – Diejenigen mit divers besetzten Führungsgremien oder die „Klassischen“. Die Ergebnisse dieser Analysen können Auswirkungen darauf haben, wie wir in Zukunft Gremien oder Vorstände besetzen.

 

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Dr. Sebastian Pacher | E-Mail: sebastian.pacher@kienbaum.de | Tel.: +49 211 96 59-237