Agiles Arbeiten mit Tasks & Teams

Agiles Arbeiten mit Tasks & Teams

Alexander Mischner & Andreas Venzke im Gespräch mit Dr. Bernadette Tillmanns-Estorf, Senior Vice President Corporate Communications and Corporate Human Resources bei B. Braun Melsungen AG.

Hierarchien verflachen und Projekte optimal im Unternehmen verteilen. – Wer wünscht sich das nicht? Dr. Bernadette Tillmanns-Estorf von der B.Braun Melsungen AG hat mit Ihrem Team eine Lösung gefunden, die zwar das Organigramm nicht abschafft, aber dennoch agileres Arbeiten ermöglicht. – Und dabei teils ungeahnte Talente der MitarbeiterInnen ans Licht befördert. Der Prozess läuft zwar nicht immer ohne Stolpersteine, doch die Ergebnisse geben dem traditionsreichen familiengeführten Medizinprodukte-Unternehmen Recht. Alexander Mischner und Andreas Venzke haben mit der Verantwortlichen in der Unternehmenskommunikation und der HR gesprochen, und spannende Impulse aus der Praxis bekommen.

Dr Bernadette Tillmanns Estorf ProfilbildAlexander Mischner & Andreas Venzke: Frau Dr. Tillmanns-Estorf, Ihre Positionsbezeichnung lautet “Senior Vice President Corporate Communications and Corporate Human Resources”. Mit Verlaub: das klingt nicht gerade nach einer Abschaffung von Hierarchien und Organigrammen.

Dr. Bernadette Tillmanns-Estorf: Da haben Sie Recht. Wir haben Hierarchien ja auch nicht komplett abgeschafft, sondern arbeiten anders zusammen. Viel wichtiger als ein Titel ist doch die Art und Weise, wie jemand einen Titel oder besser eine Funktion mit Leben füllt. Und so wünschen wir uns Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die lebendig ihre Aufgaben gestalten und die gerne einen oder mehrere Schritte über die definierte Funktions- und Stellenbeschreibung eines bestimmten Jobs hinausgehen. Das sind doch dann die, die das Unternehmen voranbringen. Unser Anspruch ist, offen, neugierig und veränderungsbereit zu sein, egal auf welcher Stufe der Hierarchie man sich befindet. Das gilt für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im produktiven Bereich genauso wie für den Vorstand und alles dazwischen.

Kienbaum: Das ist eine gute Überleitung zu Ihrem Buch „Task & Teams“. Sie schildern darin ein von Ihnen speziell für B. Braun entwickeltes Konzept zu selbstorganisiertem und agilem Arbeiten. Können Sie die wesentlichen Eckpunkte daraus kurz zusammenfassen?

Tillmanns-Estorf: Hinter „Tasks & Teams“ steht die Überzeugung, dass jeder Mitarbeiter eine bestimmte Kompetenz hat und dass jeder fachlich und persönlich bereit ist, sich zum Wohle des Unternehmens einzubringen. Damit komme ich relativ schnell zu der Erkenntnis, dass althergebrachte Organigramme die Gefahr in sich bergen, Mitarbeiter zu begrenzen und zu bremsen. Weil es immer um Trennung und Zuständigkeiten geht – und um Kästchen, die nicht nur auf dem Papier sondern auch in den Köpfen bestehen.

Kienbaum: Sie meinen, Mitarbeiter werden in ihrer persönlichen Entfaltung gebremst?

Tillmanns-Estorf: Ja genau. Die Zuständigkeit geht bis zum Rand des Kästchens und nicht weiter. Wenn ein Mitarbeiter in einer Box sitzt, dann gibt es schnell die Forderung nach mehr Direct Reports – als nach „Kästchen“ darunter. Das führt dazu, dass Organigramme systemimmanent immer weiter wachsen. Im Unternehmen ergibt sich daraus die Tendenz, immer mehr MitarbeiterInnen einzustellen. Das wäre aber vielleicht gar nicht nötig, wenn man Arbeit anders verteilen würde. Das sind zwei Hypothesen, auf denen „Task & Teams“ beruht. Wir haben mit dieser Methode unseren eigenen Weg entwickelt, wie man das beste Team für eine anstehende Aufgabe findet. Das beste Team besteht aus den MitarbeiterInnen, die zum einen die richtige Kompetenz haben und die die Freude, Motivation und Neugier haben, an einem bestimmten Thema oder Projekt zu arbeiten. Das können dann auch MitarbeiterInnen sein, die aus einer ganz anderen Funktion oder Abteilung kommen.

Kienbaum: Gab es so etwas wie ein Schlüsselerlebnis, eine Situation, in der Ihnen klargeworden ist, dass sich  etwas ändern muss, damit B. Braun auch zukünftig so erfolgreich sein kann wie bislang?

Tillmanns-Estorf: Da gibt es zwei Aspekte. Einmal war ich der Meinung, dass sich Führung verändern muss. Führung muss heutzutage viel mehr sein als die Verteilung von Aufgaben „von oben nach unten“ und die regelmäßige Kontrolle mit abschließender Beurteilung, ob ein gutes oder schlechtes Ergebnis entstanden ist. Als Führungskraft muss ich heute Expertenwissen viel stärker zur Entfaltung bringen und sicherstellen, dass Experten mit ihrer Erfahrung auch durchdringen. Das ist in der klassisch hierarchisch organisierten Führung ja oft gar nicht der Fall. Da gibt es Briefings an die Führungskraft und die Führungskraft trägt es dann eine Ebene weiter und so weiter. Das habe ich im engen Austausch mit MitarbeiterInnen zunehmend als demotivierenden Aspekt empfunden, bei dem viele Informationen verloren gehen und wichtiger Austausch fehlt.

Der zweite Punkt hat mit dem Thema Weiterentwicklung und Perspektive zu tun. Wenn sich ein super Kollege oder eine Kollegin in einem relativ kleinen Bereich weiterentwickeln möchten, dann kann ich mich als Führungskraft vielleicht noch zwei Jahre „retten“ und eine Zusatzverantwortung finden. Aber wenn die wenigen Schlüsselfunktionen zum Beispiel in Corporate Communications besetzt sind, dann muss ich irgendwann an andere Bereiche des Unternehmens „abgeben“, um MitarbeiterInnen eine Entwicklung zu ermöglichen. Mit „Tasks & Teams“ haben wir eine Möglichkeit geschaffen, die es vorher nicht gab und über die KollegInnen fachlich und inhaltlich neu „wachsen“ können.

Kienbaum: B. Braun steht ja für 180 Jahre Tradition und für einen positiv behafteten Wertekatalog. Und viele MitarbeiterInnen sind es eben gewohnt, wie in einem „Apothekerschrank“ geführt zu werden. In vielen kleinen Schubladen und Kästchen. Das, was Sie jetzt umsetzen, ist ja schon wie eine kleine Revolution. Wie nimmt man da die MitarbeiterInnen mit? Vielleicht gerade die, die schon in dritter Generation hier arbeiten.

Tillmanns-Estorf: Für B.Braun ist in 180 Jahren immer ein Aspekt entscheidend gewesen: Innovation. Wenn wir als Unternehmen nicht eine so hohe Innovationskraft und viele gute Ideen für unsere Kunden gehabt hätten, wären wir nicht 180 Jahre lang so erfolgreich gewesen. Erfolg birgt aber auch das Risiko, bequem zu werden. Und deshalb müssen wir scheinbar Bewährtes immer wieder hinterfragen, damit wir wach bleiben. Da muss jeder bei sich selbst anfangen. Ich leite die Unternehmenskommunikation seit über 20 Jahren und stelle mir täglich die Frage, ob etwas noch so gut und führend ist wie im letzten Jahr oder vor zwei Jahren. Bei den Themen Zusammenarbeit, Transparenz und Motivation der MitarbeiterInnen habe ich immer wieder Veränderungsbedarf gesehen. Auf diesem Weg und bei „Tasks & Teams“ hatte ich großes Vertrauen und große Unterstützung des B. Braun-Vorstandes.

Kienbaum: Das ist absolut nachvollziehbar. Dennoch wissen wir auch alle, dass der Mensch bequem ist, seine Komfortzone und seine Beharrungstendenzen hat. Wie bekommt man die Leute aus dieser Komfortzone heraus und überzeugt sie davon, dass man eben manchmal einen kompletten Bruch erfahren muss, um auch in Zukunft erfolgreich weiterarbeiten zu können?

Tillmanns-Estorf: Also erst einmal durch Vorleben. Das ist der alte Klassiker. Und auch durch ein Stück Begeisterung und eigene Überzeugung. Ich wusste am Anfang auch nicht, wohin genau uns der Weg führen wird. Wichtig ist doch, Mut zu haben und Dinge einfach mal probieren zu dürfen. Dabei ist entscheidend, ehrlich und aufrichtig zu beschreiben, warum wir etwas verändern wollen oder müssen. Es ist uns gut gelungen, jeden einzubeziehen und deutlich zu machen, dass ich eine Einladung ausspreche – zum Mitreden, zum Mitgestalten und zum gemeinsamen Verändern.

Kienbaum: War die Tatsache, dass in „Tasks & Teams“ MitarbeiterInnen mit sehr unterschiedlichem Hintergrund vereint werden müssen,  auch der Grund, ein eigenes Modell zu entwickeln, anstatt eines „von der Stange“ zu nehmen?

Tillmanns-Estorf: Es ist aus meiner Sicht schwierig, Dinge von der Stange einfach so wie eine Schablone auf eine Organisation zu legen. Es geht um Kulturen, die durch Menschen geprägt sind. Unser Konzept ist maßgeschneidert, weil wir Elemente aus Scrum und Holokratie mit eigenen Methoden kombinieren. Wir haben die Entwicklung kontinuierlich dokumentiert, um auch zu zeigen, dass wir alles am eigenen Leib ausprobiert und manchmal übrigens auch wieder verworfen haben. Das kann ich allen nur empfehlen.

Kienbaum: Lassen Sie uns doch gerne mal konkret werden. Können Sie einen  Anwendungsfall aus dem Alltag nennen, den Sie mit Ihren Teams aus den unterschiedlichen Bereichen im Rahmen von „Tasks & Teams“ umgesetzt haben?

Tillmanns-Estorf: Ich fange mal mit einem vermeintlich „einfachen“ Thema an. Eine viel diskutiere Frage ist immer, wie man mit dem Tagesgeschäft umgeht. Es gibt hier in der Unternehmenskommunikation als Routineaufgabe etwa die Vermittlung von Eintrittskarten an MitarbeiterInnen aus Sponsoring-Konzepten, die wir unterstützen. Eine nicht ganz so attraktive Aufgabe, die seit vielen Jahren von einer Mitarbeiterin routiniert erledigt wurde. Es schien lange gar keine Alternative zu geben. Mit „Tasks & Teams“ hatten wir die Gelegenheit, diese „Task“ auszuschreiben. Im Nu fanden sich zwei weitere Kollegen und der Job wird nun im Dreierteam nebenher erledigt. Man kann jetzt sagen, dass das für den Unternehmenserfolg nicht so entscheidend ist. Wichtig sind diese kleinen Signale aber für Motivation und Teamgeist.
Eine weitere starke Wirksamkeit erzielen wir bei der Ausschreibung unternehmens- und bereichsübergreifender Aufgaben. Über das damit verbundene Bewerbungsverfahren können MitarbeiterInnen ihr Interesse bekunden und erhalten eine sonst nie für möglich gehaltenen Sichtbarkeit.

Kienbaum: Die MitarbeiterInnen sprechen ja auch miteinander – ganz offen – und kennen so die Befindlichkeiten, oder?

Tillmanns-Estorf: Ja, der Austausch und die Transparenz sind wichtig, und wir spüren täglich den Nutzen.
Am Anfang gab es die Befürchtung, dass sich „Cherry Picking“ durchsetzt und jeder nur nach dem „fancy“ Projekt strebt, das gerade „in“ ist, zum Beispiel Employer Branding, das Corporate HR und Corporate Communications gemeinsam vorantreiben. Wir haben die Task international ausgeschrieben und dann drei oder vier Teilaufgaben definiert. Es gab viele Bewerber, die jetzt am Projekt mitarbeiten. Das meine ich mit persönlichem Wachstum oder fachlicher Weiterentwicklung. Früher wäre man maximal zu einem Feedback gebeten worden – die Möglichkeit sich auch inhaltlich einzubringen, hätte so nicht bestanden.

Kienbaum: Ich denke nun einfach mal weiter. Sie sprachen von den „fancy“ Aufgaben und den mehr oder weniger lästigen Pflichten aus dem Berufsalltag. Es gibt Aufgaben, auf die sich alle „stürzen“,  auf der anderen Seite will niemand lästigere Dinge übernehmen. Wie gehen Sie mit solchen Situationen um?

Tillmanns-Estorf: Solche Situationen sind bisher noch nicht entstanden – trotz aller Befürchtungen. Es gibt immer Menschen die sich mehr einbringen als andere. Es ist aber jetzt sehr transparent, wer in wie vielen Kreisen mitarbeitet, wer sich aktiv meldet oder auch nicht. Es erhöht die Effizienz in der Zusammenarbeit, dass man sich zu Beginn eines Projektes sehr viel klarer über die Ziele der Aufgabe und die Kompetenzen der MitarbeiterInnen Gedanken machen muss. Früher ergab sich die Aufgabe immer direkt aus der Funktion. Ob es vielleicht jemanden gab, der für ein bestimmtes Projekt oder für ein Teilprojekt mehr Kompetenz oder Expertise hatte, blieb oftmals unentdeckt, da die Person in einem anderen „Kästchen“ saß und man natürlich erst mit dem jeweiligen Vorgesetzten hätte sprechen müssen. „Tasks & Teams“ gibt noch einmal eine ganz andere Sichtbarkeit von Kompetenzen und damit natürlich auch eine ganz neue Möglichkeit, Teams zusammenzustellen.

Andreas Venzke Leadership PortraitKienbaum: Obwohl die Erfahrungen ja durchgängig sehr positiv sind: erkennen Sie trotzdem irgendwo Grenzen der Einsetzbarkeit? Muss man dann ggfs. nachjustieren?

Tillmanns-Estorf: Eine Grenze besteht sicherlich darin, wie sehr sich die MitarbeiterInnen  einbringen sollen und können. Hier kommen auch die Führungskräfte – die wir ja nicht abgeschafft haben – wieder ins Spiel, die weiter steuern. Wir stellen eher die Tendenz fest, dass sich die KollegInnen überlasten, als sich nicht zu beteiligen. Dafür muss die Führungskraft einen guten Blick haben, um als Coach nah genug an den Themen zu sein und zu sagen: „Du arbeitest jetzt z.B. in 5 Kreisen – sprich in 5 Projekten bzw. 5 Teams. Wie realistisch ist ein gleichermaßen guter Input in allen Projekten und Teams?“

In der aktuellen Implementierungsphase filtern wir noch einmal genauer, wo sich „Tasks & Teams“ eignet und wo nicht. Da sind wir noch nicht ganz am Ende. Grundsätzlich würde ich aber sagen, dass die Methode im Produktions- oder im produktionsnahen Bereich weniger geeignet ist, Dinge voran zu bringen, als in klassischen Projektarbeiten. Hier sind die Anforderungen anders. Man kann im Bereich Regulatory Affairs einer Gesundheitsbehörde eines Landes ja sicherlich nicht sagen, dass man die Organigramme abgeschafft hat.

Kienbaum: Führt das in eine Richtung, in der Menschen doch Strukturen und Regeln sowie einen Vorgesetzten brauchen, und damit in der Tendenz ein Organigramm trotzdem bestehen bleibt?

Tillmanns-Estorf: Organigramme müssen durchlässiger werden. Bei Corporate HR haben wir relativ früh im Prozess von „Tasks & Teams“ drei Kreise gebildet. Den Kreis Management Development, den Kreis Digital HR und dann den Kreis Total Rewards und Executive Management, jeweils mit einer Führungskraft besetzt.

Bei Corporate Communications hingegen haben wir fast drei Jahre mit altem Organigramm gearbeitet und es in der Praxis einfach außer Kraft gesetzt. Es gab erstmal keine Notwendigkeit, sofort eine neue Struktur einzuführen. Die Denk- und die Arbeitsweise von „Tasks & Teams“ war schon Veränderung genug. Im September 2019 war die Zeit dann reif für eine Umstrukturierung und zwei „Oberkreise“. Eine Führungskraft leitet das Brand Management und die andere Führungskraft das Team Content Management und Distribution. Alle Tasks haben sich eigenverantwortlich in Kreisen aufgestellt und z.B. ihre fachliche Führungskraft, den „Topic Lead“ selbst gewählt.

Kienbaum: Das Konzept „Tasks & Teams“ setzt ein Individuum voraus, das Willens ist, selbstbestimmt und proaktiv zu arbeiten und das Selbstverwirklichung anstrebt. Jetzt ist es doch im beruflichen Alltag wahrscheinlich, dass es MitarbeiterInnen gibt, die sagen: „Ich fühle mich in meiner Struktur wohl, ich bin mit dem, was ich seit 20 Jahren mache, durchaus zufrieden.“ Und das sind oft bewährte MitarbeiterInnen, die man auch zufriedenstellen möchte. Wie geht man mit ihnen um?

Tillmanns-Estorf: Diesen Kollegen hilft es, dass wir Ihnen nichts wegnehmen. Alle haben weiterhin eine Funktions- und Stellenbeschreibung und eine Kernaufgabe. Es gibt vielmehr ein zusätzliches Angebot, neue Dinge zu erfahren, zu lernen und an neuen Dingen zu arbeiten. Es ist auch sehr interessant, zu sehen, wer diese Einladung wie annimmt. Es gibt MitarbeiterInnen, die begeistert sind, und andere, die sich eher zurückhalten. Gleichzeitig hat man mit „Tasks & Teams“ die Möglichkeit, weitere KollegInnen für eine Aufgabe zu qualifizieren und diese auf mehrere Schultern zu verteilen – mit den ersichtlichen Vorteilen, wenn jemand krank oder länger abwesend ist.

Kienbaum: Mir geht der Prozess der Reduktion von fünf auf zwei Führungskräfte nicht aus dem Kopf. Es werden sicherlich persönliche Ängste da sein – auch wenn man den Personen nichts wegnimmt. Diese muss man begleiten und coachen. Wie sind Sie damit umgegangen?

Tillmanns-Estorf: Das hat meiner Meinung nach mit dem Thema „Tasks & Teams“ erstmal gar nichts zu tun. Die Aufgabe „Reduktion der Direct Reports“ hätte ich auch ohne die neue Plattform gehabt und auch so umgesetzt. Über Einzelgespräche, das Besprechen von neuen Rollen, die Möglichkeit, individuelle Bedürfnisse durchaus besser mit dem Job vereinbaren zu können, gewinnt man die Menschen. „Tasks & Teams“ definiert dann die Eckpunkte der Zusammenarbeit. Die organisatorische Veränderung habe ich unabhängig davon so vorbereitet, wie ich auch neues klassisches Organigramm entwickelt hätte.

Kienbaum: Sie sagten vorhin, dass Sie am Anfang noch nicht genau wussten, wohin die Reise geht, sondern probieren aus und finden dann während des Gehens den Weg, den Sie gerne gehen möchten. Das ist eine sehr mutige Entscheidung, die man ja dann vielleicht auch an der einen oder anderen Stelle in Frage stellt. Was waren die Momente, in denen Sie sich gefragt haben, ob Sie auf dem richtigen Weg sind? Wo es vielleicht auch für Sie persönlich schwer war, über den eigenen Schatten und die bewährten Routinen zu springen?

Tillmanns-Estorf: Ich habe erst im Nachhinein erkannt, dass das mutig war. Ich bin ganz gut strukturiert und plane gerne. Wir alle aber erfahren täglich, dass langfristiges Planen kaum noch möglich ist. Das habe ich im Projekt nochmal sehr klar erlebt und gelernt. Es hat mir Spaß gemacht zu sehen, wie ich selber auf bestimmte Dinge reagiere. Workshops, in denen die Agenda gemeinsam entwickelt wird. Zu erfahren, dass der Weg schon Teil des Ziels ist. Meetings, die mit einem Check In beginnen, um Geschwindigkeit des Alltags bewusst herauszunehmen. Spannungen, die MitarbeiterInnen offen und mutig adressieren und die gelöst werden müssen, um den Projekterfolg nicht zu gefährden.

Zu beschließen, dass eine Idee, die vor vier Wochen noch geeignet erschien, im Alltag nicht umsetzbar ist. Das alles waren neue Erfahrungen, die uns als Team gestärkt haben – auch wenn es unterwegs mal Zweifel gab.

Kienbaum: Wie haben die MitarbeiterInnen diese Phasen erlebt?

Tillmanns-Estorf: Wichtig ist zunächst, dass kein Projekt „angewiesen“ wird, sondern dass man in Projekten mitarbeitet, in denen man sich zu Wort melden darf und soll. Über regelmäßige Befragungen haben wir alle einbezogen: Wo drückt der Schuh? Was können wir daran machen? Wo ist hier offensichtlich ein Thema, über das wir sprechen müssen? Bei aller Offenheit des Ergebnisses, war mir von Anfang an die Anwendung auf die konkrete Aufgabe wichtig. Ansätze zu agilem Arbeiten bergen  die Gefahr, dass man sich in Selbstbeschau und Selbstbetrachtung verliert. Wir haben kein isoliertes Projekt durchgeführt, sondern Erfahrungen, Methoden und Tools immer wieder auf einen konkreten Fall angewandt.

Kienbaum: Lassen Sie uns ein wenig in die Zukunft schauen. Was steht jetzt auf der Agenda und wo sehen Sie da die großen Herausforderungen in den nächsten Monaten, möglicherweise auch Jahren auf sich zukommen?

Tillmanns-Estorf: Nun – wir sind natürlich dabei, „Tasks & Teams“ weiter zu entwickeln, in anderen Bereichen anzuwenden und Methoden und Herangehensweisen ständig zu hinterfragen. Das Thema Führung spielt dabei eine wichtige Rolle. Was heißt es am konkreten Beispiel, dass die Führung ein „Coach“ ist? Wie stark bringt sich eine Führungskraft jetzt ein? Zur Vermittlung von „Tasks & Teams“ im Unternehmen haben wir die „Change Architects“ innerhalb von Corporate HR und Corporate Communications gegründet. Das sind Tandems, die angefragt werden und zu „Tasks & Teams“ beraten. Sie sind dabei sehr glaubwürdig, weil sie den Prozess selbst erlernt und erfahren haben. Es macht mir großen Spaß, zu sehen, wie sich diese MitarbeiterInnen emanzipiert haben, wie sie an Selbstbewusstsein und Stärke gewonnen haben, und wie groß die Nachfrage ist.

Alexander Mischner Profilbild

Kienbaum: Wie funktioniert das konkret? Wie bekommt man Aufmerksamkeit, ohne dass – wie Sie es eingangs formuliert haben – die Reaktion ist: „HR weiß sowieso immer alles besser und macht komische Sachen“. Wie kriegt man das hin?

Tillmanns-Estorf: Zunächst haben wir eine starke Vorstandsunterstützung mit Frau Braun als starker Befürworterin des Konzeptes. Derzeit begleiten wir nur „die Freiwilligen“.

Im letzten Jahr haben wir etwa 20 bis 25 unterschiedliche Projekte mit internen, „nebenberuflichen“   Ressourcen beraten. Das können kleine Projekte sein, wie zum Beispiel eine Reform von Meetings. Mehrere Bereichsleiter haben sich aber für eine komplette Veränderung ihrer Teams hin zu mehr Selbstorganisation ausgesprochen. Hier spüren wir, wie innerhalb der Mitarbeiterschaft eine Art Sogwirkung entsteht, und wie die Neugier wächst.

Kienbaum: Viele Organisationen beschäftigen sich mit dem Thema agiles Arbeiten, eigentlich ist es überall immanent. Was würden Sie anderen mitgeben? Was sollten andere Unternehmen, die so ein Vorhaben angehen wollen, beachten?

Tillmanns-Estorf: Sie sollten klein anfangen, überschaubare Schritte definieren und sich nicht verheben. Die Führungskräfte müssen von der Kraft dieser Veränderung überzeugt sein, um sie vorzuleben. Nur dann können sie alle Beteiligten glaubwürdig einbeziehen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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