Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Corporate Governance in Deutschland

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Corporate Governance in Deutschland

Spätestens mit Beginn des ersten Lockdowns, im März 2020, hatte die Corona-Pandemie die deutsche Wirtschaft fest im Griff. Während die Auswirkungen der Pandemie für einige Unternehmen existenzbedrohend waren bzw. dies noch immer sind, konnten andere von der Krise sogar profitieren. Dennoch haben viele Unternehmen eines gemeinsam: Durch die Krise standen Vorstände und Aufsichtsräte vor zusätzlichen und neuen Herausforderungen, die auch das dualistische Corporate Governance System vor eine Belastungsprobe gestellt haben.

Bei diesem Text handelt es sich um einen gekürzten Beitrag, den Volltext finden Sie in der aktuellen Ausgabe des BOARD Magazins 05/2021: Zum Magazin

 

In diesem Beitrag befassen wir uns mit der Frage, ob bzw. wie unser Corporate Governance System – und dessen Protagonisten in Form von Vorständen und Aufsichtsräten – auf die Auswirkungen der Krise reagiert haben. (…)

In der Praxis hat die hohe Dynamik, mit der in den akuten Krisenmonaten Entscheidungen getroffen werden mussten, in vielen Unternehmen dazu geführt, dass auf der Ebene der Organe rein formelle Anpassungen wie zum Beispiel neue Austauschformate etabliert werden mussten. In vielen Aufsichtsräten wurden die Sitzungen während der Hochphase der Pandemie im Frühjahr 2020 telefonisch oder als Videokonferenz durchgeführt. (…) Auch die Arbeitsabläufe in Aufsichtsräten haben sich durch die Pandemie verändert. Die Sitzungsfrequenz und Einberufung von außerordentlichen Sitzungen ist auf Grund des erhöhten Informations- und Beratungsbedarf im Zusammenhang mit der Pandemie flächendeckend gestiegen, aber auch der bilaterale informelle Austausch zwischen Aufsichtsrat und Vorstand hat zugenommen. So hat der Vorstand von Zalando beispielsweise im Rahmen einer initialen informellen Unterrichtung den Aufsichtsrat über den Einfluss der Coronavirus Pandemie auf die Gesellschaft in Kenntnis gesetzt, und erst anschließend im Rahmen einer außerordentlichen Sitzung über Maßnahmen des Vorstandes informiert. Der Aufsichtsrat von Daimler hat beispielsweise eine wöchentliche Berichterstattung implementiert, um sich über die Auswirkungen der Corona-Pandemie und Maßnahmen des Vorstands informiert zu halten.

Die genannten Beispiele deuten darauf hin, dass Vorstände und Aufsichtsräte durch unterschiedliche Maßnahmen kurzfristig näher aneinandergerückt sind. Es stellt sich dennoch die Frage, ob die Freiheitsgrade, die das deutsche Corporate Governance System bietet, für ein effektives Management von Krisen ausreichen. – Wie anpassungsfähig ist also das deutsche Corporate Governance System in der Krise und inwiefern hat sich die Rolle der Organe vor dem Hintergrund der Corona-Krise verändert?

Zur Beschreibung und Beurteilung der Krisenfestigkeit des Corporate Governance Systems in Deutschland greifen wir in diesem Beitrag – neben unseren Erfahrungen aus Beratungsprojekten und Dialogen mit Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern – auf ausgewählte Ergebnisse der Kienbaum Corporate Governance Studie 2021 zurück. An der Studie, in der unter anderem Veränderungen der Aufsichtsratsarbeit während der Krise abgefragt wurden, haben insbesondere Vorstände und Aufsichtsräte deutscher Unternehmen teilgenommen.[1]

Aufsichtsratsarbeit während der Krise

Wie die Beispiele von Zalando und Daimler zeigen, bietet das deutsche Corporate Governance System Freiheitsgrade, um die Arbeit des Aufsichtsrats und dessen Zusammenarbeit mit dem Vorstand zu flexibilisieren. Flexibilisierung beschreibt in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, dass Vor-stand und Aufsichtsrat vorübergehend näher zusammenrücken, um kurze Entscheidungswege und schnelle Entscheidungen zu ermöglichen. Formelle Maßnahmen, wie eine Erhöhung der Sitzungs-frequenz des Aufsichtsrats oder der Ausschüsse des Aufsichtsrats werden dabei von einer Mehrheit der Teilnehmenden unserer Studie als geeignet für den Umgang mit Krisen empfunden (vgl. Abb. 1).

 


Abb. 1: Meinungsbild: Angemessenheit von Maßnahmen zum Umgang mit der Krise

 

(…) Neben der Erhöhung eines formellen Austauschs kann Flexibilität auch über eine Intensivierung des informellen Austauschs außerhalb von Aufsichtsrats- und Ausschusssitzungen erfolgen. Dies betrifft zum einen den Austausch innerhalb des Aufsichtsrats und zum anderen den Austausch zwischen Aufsichtsrat und Vorstand. Abb. 2 stellt die Häufigkeit des Austauschs innerhalb des Aufsichtsrats sowie zwischen Vorstand und Aufsichtsrat 2018 und 2020 gegenüber.[2]

 


Abb. 2: Austausch außerhalb von Aufsichtsrats- und Ausschusssitzungen (kumuliert)

 

Vergleicht man die Häufigkeit des Austauschs im Krisenjahr 2020 mit dem Austausch im Jahr 2018 werden Unterschiede zwischen dem Austausch innerhalb des Aufsichtsrats und dem Austausch mit dem Vorstand deutlich. Für den Austausch innerhalb des Aufsichtsrats lässt sich im Vergleich zu 2020 keine klare Tendenz erkennen. Dass eine deutliche Intensivierung des Austauschs außerhalb der Sitzungen ausbleibt, könnte mit der erhöhten Sitzungsfrequenz zusammenhängen. Gleichzeitig hat sich der informelle Austausch zwischen Vorständen und Aufsichtsrat im Krisenjahr im Vergleich zu 2018 intensiviert. Während beispielsweise im Jahr 2018 in 76% der Unternehmen spätestens alle vier Wochen ein Austausch zwischen Vorstand und Aufsichtsratsvorsitzendem stattfand, war dies 2020 in 91% der Unternehmen der Fall. Eine Steigerung von 15%. Auch ein Austausch zwischen Vorstand und Gesamtaufsichtsrat fand im Jahr 2020 regelmäßiger statt als noch 2018. Das hat in einigen Unternehmen auch eine Annäherung der Organe zur Folge: Etwa ein Drittel der Teilnehmenden unserer Studie stimmen der Aussage zu, dass der Aufsichtsrat während der Krise stärker an das Unternehmen – und damit den Vorstand – herangerückt sei.

Diskussion

Die Analyse der Aufsichtsratstätigkeit während der Krise deutet darauf hin, dass die Freiheitsgrade, die das deutsche Corporate Governance System bietet, in der Krise von einigen Unternehmen ge-nutzt wurden: Mehr außerordentliche Sitzungen und eine Intensivierung des informellen Austauschs. Dabei kommen die Teilnehmenden unserer Studie bei der Beurteilung des Systems insgesamt zu einem recht klaren Fazit: Etwa vier von fünf Teilnehmenden (79%) geben an, dass sich das zweigliedrige Corporate Governance System in der Krise bewährt hat. Gleichzeitig sind nur 2% der Meinung, dass der Aufsichtsrat sich zu stark auf die Einhaltung formaler Korrektheit und die Einhaltung von Compliance Regeln konzentriert hat. Schnelle und unbürokratische Entscheidungen wurden somit möglich.

Neben der Erhöhung der zeitlichen Anforderungen, bspw. durch außerordentliche Sitzungen und einen gesteigerten informellen Austausch, hat die Krise auch zu einer Steigerung weiterer Anforderungen an Aufsichtsräte geführt, wie Abb. 3 verdeutlicht. So geben 80% der Aufsichtsräte an, dass sich durch die Krise die Anforderungen an zwischenmenschliche Kompetenzen erhöht haben. 79% der Aufsichtsräte konstatieren eine Erhöhung der inhaltlichen Anforderungen. Eine Einschätzung, die – wenn auch in wesentlich geringerem Umfang – auch von einigen der befragten Vorstände geteilt wird.

 


Abb. 3: Einfluss der Krise auf die Anforderungen an das Aufsichtsratsmandat

 

Die steigenden Anforderungen während der Krise verstärken somit einen Trend, der sich schon seit einigen Jahren abzeichnet. Schon vor der Krise sind die Aufgabenprofile und damit auch die Anforderungen an die Kompetenzen von Aufsichtsratsmitgliedern stetig komplexer geworden. So nimmt die Relevanz von Kompetenzen insbesondere in den Bereichen Strategie, Technologie und Digitalisierung in den vergangenen Jahren stetig zu.

Insbesondere in Bezug auf thematische Aspekte erkennen einige der Teilnehmenden in ihren Unternehmen Verbesserungspotenzial im Hinblick auf zukünftige Krisen: Etwa ein Viertel der Teilnehmenden sind der Auffassung, dass sich der Aufsichtsrat während der Krise zu wenig mit der strategischen Ausrichtung sowie Chancen und Potenzialen beschäftigt hat. Eine stärkere Fokussierung auf strategische Themen in zukünftigen Krisen könnte auf verschiedene Arten gefördert werden. Eine formelle Möglichkeit könnte beispielsweise die Implementierung eines Strategieausschusses sein, der in einigen Unternehmen bereits fest etabliert ist. Zur Vorbereitung auf zukünftige Krisen könnten zudem weitere Kompetenzfelder an Bedeutung gewinnen. So geben beispielsweise 52% der Teilnehmenden an, dass sie einen stärkeren Fokus auf Kompetenzen im Bereich Restrukturierung bei der Neuvergabe von Aufsichtsratsmandaten für eine geeignete Maßnahme zum Umgang mit Krisen halten.

Fazit

Die Corona-Pandemie hat das deutsche Corporate Governance System vor eine Belastungsprobe gestellt. Insgesamt wurden Aufsichtsräte stärker in die Pflicht genommen: Gemeinsam mit dem Vorstand mussten kurzfristig teilweise existentielle Entscheidungen getroffen werden. Die Dynamik der Ereignisse hat unter anderem dazu geführt, dass auf der Ebene der Organe rein formelle Anpassungen wie zum Beispiel neue Austauschformate der Arbeitsabläufe etabliert werden mussten. Unsere Einschätzung ist, dass das deutsche Corporate Governance System einen geeigneten Ordnungsrahmen für die Organtätigkeit dargestellt hat, um die Krisensituation zu meistern. Während sich nicht-Exekutive Mitglieder in One-Tier-Boards mit dem Rollenwechsel zwischen Aufsicht und operativer Tätigkeit in der Krise schwergetan haben, hat das Deutsche Two-Tier-System gezeigt, dass die notwendige Distanz bzw. Nähe zwischen Vorstand und Aufsichtsrat „atmet“ und in Krisensituationen flexibel angepasst werden kann. Das deutsche Corporate Governance System ist vor diesem Hintergrund aus unserer Sicht noch lange nicht angezählt und durchaus krisenfest.

Wie lauten Ihre Erfahrungen? Was erwarten Sie von einem krisenfesten Board und welches sind Ihre Learnings aus der Krise? – Wir freuen uns auf die Diskussion mit Ihnen.

Haben Sie Fragen? Sprechen Sie uns an!

Dr. Sebastian Pacher | E-Mail: Sebastian.Pacher@kienbaum.de | Tel.: +49 211 96 59-237
Dr. Katharina Wauters | E-Mail: Katharina.Wauters@kienbaum.de | Tel.: +49 211 96 59-332
Dr. Maximilian Schmidt | E-Mail: Maximilian.Schmidt@kienbaum.de | Tel.: +49 221 801 72-425

 

1. Insgesamt nahmen 48 Personen an der Studie teil, davon 39% Aufsichtsräte, 49% Vorstände und 12% sonstige. Für den besseren Lesefluss werden in diesem Beitrag Aufsichtsräte und Beiräte zusammenfassend als Aufsichtsräte bezeichnet. Die Teilnehmenden vertreten Unternehmen verschiedenster Branchen und Größenklassen. Das Median Unternehmen hat 4.800 Mitarbeitende und 1.500 Mio. € Umsatz.
2. Zahlen für 2018 basieren auf den Ergebnissen der Kienbaum Corporate Governance Studie 2019.

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