Am Anfang ist die Tat

Am Anfang ist die Tat

Wir befinden uns in einer Krise, die die Welt verändert. Was wir suchen, ist der Weg hinaus. Um ihn zu finden, versetzen wir uns für einen gedanklichen Augenblick zurück - nur ein paar Wochen.

Was war vorher? Normalität, Zufriedenheit, Glück? Oder schwelte davor, wenn wir ehrlich sind, nicht auch schon längst eine Krise? Unser Streben galt bisher so oft dem Höher-schneller-weiter. Doch wir haben geahnt, dass es sich dabei um kein erstrebenwertes Lebensmodell handelte.

Und jetzt diese Unterbrechung. Vielleicht wird sie zum Bruch. Vielleicht können und wollen wir danach gar nicht mehr zu unserer gewohnten Normalität zurückkehren. Laut dem Zukunftsforscher Matthias Horx, dessen Text in diesen Tagen eifrig durchs Netz wandert, wird nach dieser Krise nichts mehr so sein wie früher (siehe Beitrag auf horx.com). Seine Zukunftsversion lädt zum Nachdenken ein, ebenso wie der Podcast “Der achte Tag” mit der Journalistin und Kriegsberichterstatterin Düzen Tekkal in dem sie uns dazu animiert, jeden Tag als Krise zu verstehen (Der achte Tag #4 – Düzen Tekkal: Diese Krise macht ehrlich).

Das Ende der Gewissheit

Krise, jeden Tag. Ich glaube, die Herausforderung besteht darin, damit umzugehen. In der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung „Die Zeit“ kommen Menschen aus Italien zu Wort, die ihre Erfahrungen rund um die Auswirkungen der Corona-Krise schildern. Es sind bewegende Ausführungen, die trotz aller Schicksalsschläge, eine Rückbesinnung auf das Schöne im Leben zum Ausdruck bringen. Eine Rückbesinnung auf das, was wirklich wichtig ist: Gesundheit, Familie, Freunde, Natur, Solidarität. Vor Corona galt all das nahezu als selbstverständlich. Wir wähnten uns in Gewissheit.

Die Gewissheit, dass wir genügend Geld zum Leben verdienen, wenn wir nur fleißig sind, ist nun jedoch der Unsicherheit gewichen, dass wir vielleicht all das, was wir können, nicht mehr anwenden dürfen. Die Gewissheit, dass es Familie und Freunde gibt, mit denen wir uns beraten können, ist der Unsicherheit gewichen, dass wir diese Menschen bis auf weiteres nicht mehr in die Arme schließen dürfen. Die Gewissheit, dass wir eine gute Chance haben, lange gesund zu bleiben, wird durch die Sterbestatistiken und Bilder Gestorbener, die uns von Screens und Zeitungen entgegenprangen und bis ins Mark erschüttert.

Das Ende der Gewissheiten haben wir schon oft ausgerufen. Etwa als es um die Digitalisierung ging, die seit einer Generation anhält und eine nur gefühlt abrupte, in Wahrheit aber doch gemächlichere Veränderung erfordert. Oder als um den Klimawandel ging, bei dem wir zusehen konnten, wie der Zeiger von fünf vor auf fünf nach zwölf gesprungen ist, und wir uns nun mit den unvermeidbaren Folgen arrangieren müssen. All das schien uns plötzlich und mit Macht zu ereilen, hat uns aber in Wahrheit Jahr um Jahr mal mehr, mal weniger beschäftigt. Es ließ sich jedenfalls aufschieben. Zumindest für ein paar Tage.

Doch jetzt geht es um eine Krankheit, die im Dezember 2019 zum ersten Mal diagnostiziert wurde und sich seither zur Pandemie ausgebreitet hat. Wir hatten also keine 30 Jahre, sondern nur drei Monate Zeit, das Ende alter Gewissheiten zu akzeptieren. Nichts scheint mehr wie es war, und wenn das so weitergeht, so ist jedenfalls der allgemeine Eindruck, wird es auch nie wieder so. Die Angst geht um.

Leadership beginnt mit Eigenverantwortung

Dagegen stemmen wir uns. Dagegen stemmt sich jede Regierung in diesen Tagen, wenn sie nach gültigen Gesetzen sucht, die ihr angemessene Reaktionen auf diese Krise erlauben. Dagegen machen die Forscher mobil, wenn sie fieberhaft nach dem Heilmittel gegen den Virus fahnden. Und dagegen ziehen auch wir Berater zu Feld, wenn wir in unserem Besteckkasten nach den richtigen Instrumenten suchen, um der Krise zumindest im wirtschaftlichen Kontext Einhalt zu gebieten. Es ist unsere Aufgabe, hier mit all unserer Entschlossenheit, unserem Wissen und unserer Kreativität zur Stelle zu sein. Und als Familienunternehmer füge ich hinzu: Es ist mein persönliches Anliegen, das, was wir aufgebaut haben, irgendwann in die Hände der nächsten Generation legen zu können.

Als Beratungshaus geht es uns jetzt darum, Bekanntes und Neues miteinander in Einklang zu bringen. „New Work“ ist so ein Beispiel. Waren bis vor Kurzem noch transformationale und strategische Führung das Gebot der Stunde, entwickeln wir Menschen in der Krise die Neigung, direktive Führung schneller zu akzeptieren als unter normalen Bedingungen (siehe Kienbaum-StepStone-Studie zur Führung in der Digitalen Revolution). Das Jeder-hört-auf-mein-Kommando-System ist die Grundlage jeder militärischen Einheit, deren Beruf die Krisenbewältigung ist.

Doch trotz direktiver Vorgaben existiert nach wie vor die Verantwortung des Einzelnen. Ja – sie steigt sogar. Wir haben es in der Diskussion um Ausgangsperren gesehen: Führung bedeutet hier nicht, das Vor-die-Tür-gehen zu verbieten, sondern Beschränkungen auszusprechen, in deren Rahmen die Menschen selbst entscheiden, wie sie vorgehen. Um die richtige Haltung zu erzeugen, braucht es Information und Transparenz. Nur so lässt sich gewährleisten, dass die meisten das richtige tun. Das Thema Leadership fängt dank Aufklärung also mit der Eigenverantwortung an. Und in der Corona-Krise sind wir unter den Bedingungen von Distanz und Home Office noch mehr als bisher gefordert, uns eigenverantwortlich zu organisieren. Nur so können wir als Team weiterhin als Einheit agieren und die Abläufe trotz Entfernung aufrechterhalten. Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser.

Füreinander statt miteinander

Damit dies gelingen kann, benötigen wir Treiber, die uns Kraft schenken. Die Solidargemeinschaft kann so eine Stütze sein. Wir erleben diese Menschlichkeit gegenwärtig eindrucksvoll, wenn wir beispielsweise beobachten, welchen Zuspruch das Nachbarschafsportal nebenan.de erfährt. Oder wenn wir uns die Rücksichtnahme gegenüber den Älteren unserer Gesellschaft vor Augen führen. Zusammenhalt sowohl im gesellschaftlichen als auch beruflichen Kontext kann uns stützen und helfen, unsere Ängste zu bewältigen. Bei uns im Unternehmen ist dieses Gefühl ebenfalls spürbar. Wenn es hart auf hart kommt, wissen wir, dass wir füreinander einstehen, als „nur“ miteinander zu arbeiten.

Zusätzlich erleben wir jedoch noch etwas anderes in der Krise. Es hat zu tun mit der verordneten Entschleunigung, die uns zwangsläufig über Grundsätzliches sinnieren lässt. Was will ich? Was ist meine Aufgabe? Wir ertappen uns dabei neue Lebensmodelle zu prüfen, und wir sind live dabei, andere Arbeitsweisen schätzen zu lernen. Ist es nicht eindrucksvoll diese ganzen Erfahrungsberichte rund um Home Office und Videoconferencing durchzuschmökern und seine eigenen Marotten dabei zu vergleichen? Die neu gewonnene Nachdenklichkeit hilft uns zu erkennen, dass wir Altbewährtes neu erlernen können: Zuhören zum Beispiel oder wirklich fokussiert zu sein. Auf einmal lähmt die Krise nicht mehr, sondern sie schenkt uns Zuversicht. Zurückgeworfen auf sich selbst gelingt es manchen, Erfüllung zu tanken und Stabilität für sich selbst zurückzuerobern. In uns selbst steckt die Lösung des Problems.

In seinem Werk „Theory U“ bezeichnet Otto Scharmer das Selbst als das wichtigste Führungswerkzeug, das uns zur Verfügung steht. Es geht ihm dabei um die Qualität unserer Aufmerksamkeit, die mit der Öffnung des Denkens, Fühlens und Willens einhergeht. Gerade die Willensbildung ist jedoch gekoppelt mit der Stimme der Angst. Dieser Angst durch starke Selbstführung mutig und kraftvoll zu begegnen und den eigenen Kompass neu auszurichten, hin zu einer neuen Philosophie, in der die Zeit einen anderen Stellenwert einnimmt, genau das ist die große Chance der Krise. Wie Goethe in Faust sinngemäß formulierte: Die Tat ist das treibende Element.

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