Das mittlere Management ist den Veränderungen in der agilen Transformation ausgesetzt

Das mittlere Management ist den Veränderungen in der agilen Transformation ausgesetzt

Im zweiten Teil des Gesprächs mit Dr. Cyrus Asgarian, Kienbaum Partner und Gesamtverantwortlicher für das Beratungsfeld ‚Organization‘, beleuchtet der IT-Chef der BMW Group, Klaus Straub, die Veränderungen, die eine „100% agile“ IT für die Mitarbeiter mit sich bringt.

Das Mittlere Management ist seiner Meinung nach den größten Veränderungen ausgesetzt und trägt zugleich eine Schlüsselrolle in der erfolgreichen Einführung von Agilität.

Asgarian: Insbesondere aus einer Organisationsperspektive erfordert der Paradigmenwechsel hin zu agilen Strukturen einiges an Umdenken. Das Führungsverständnis sowie die Rolle des mittleren Managements verändern sich maßgeblich, sodass vorhandene Abteilungsstrukturen aufgebrochen und Verantwortungen umverteilt werden müssen. Durch die agile Neuverteilung der Verantwortungen wurden bis heute weltweit mehr als die Hälfte der insgesamt rund 4.500 Mitarbeiter der BMW Group IT neuen Führungskräften zugeordnet. In agilen Welten sind Manager viel näher am Content und den Technologien. Sie arbeiten gleichberechtigt im Team mit, agieren mehr als Coaches. Das kann zügig Ängste wie Macht- und Kontrollverlust hervorrufen. Wie gehen Sie mit dieser Herausforderung um? Welche Maßnahmen haben Sie eingesetzt, um möglichen Reaktanzen frühzeitig zu begegnen?

Straub: Das mittlere Management ist sicherlich den größten Veränderungen im Zuge der agilen Transformation ausgesetzt. Wir fokussieren uns insbesondere bei dieser Zielgruppe wieder stärker auf den Aufbau dedizierter IT-Kompetenzen, die heute im Umgang zum Beispiel mit neuen Technologien erforderlich sind. In der alten Welt, charakterisiert u.a. durch niedrige Kerneigenleistungsquoten, konnte man auch klassische Manager-Typologien einstellen, die zwar relativ weit weg von der IT waren, aber auf Basis ausgeprägter Management-Kompetenzen insgesamt einen guten Job machen konnten.

Wir setzen auf ein starkes Change- und Transformations-Management.

In der neuen Welt mit deutlich höheren Kerneigenleistungsquoten ist es essenziell, dass die Mannschaft in der Breite über IT-Kompetenzen verfügt, die früher von externen Dienstleistern bereitgestellt wurden. Spannend in diesem Konstrukt ist die konkrete Rollenverteilung in den Teams, die im Zuge der Umverteilung von Verantwortlichkeiten unabdingbar wird. Um vor diesem Hintergrund die von Ihnen genannten Ängste wie Macht- und Kontrollverluste zu minimieren, gilt es insbesondere das mittlere Management auf die agile Reise mitzunehmen und zur aktiven Gestaltung des Wandels zu befähigen. Damit das gelingt sowie um insgesamt für mehr Akzeptanz zu sorgen, setzen wir auf ein starkes Change- und Transformations-Management.

Lassen Sie mich klarstellen: Führungskräfte werden im agilen Kontext nicht überflüssig, aber ihre Rollen und Aufgaben ändern sich. Sie unterstützen ihre Mitarbeiter bei der persönlichen Weiterentwicklung. Sie sorgen für eine Kultur, in der die agilen Werte nachhaltig gelebt werden. Sie schaffen den Rahmen für eigenverantwortliches Arbeiten im Team. Und nicht zuletzt rücken Sie stärker an den Content, was wir durch gezielte Maßnahmen unterstützen. So haben wir etwa das Programm „Back to Code“ aufgesetzt, das auch Führungskräfte wieder an echte IT heranführt und außerordentlich gut von der Mannschaft angenommen wird.

Asgarian: Unsere aktuellen Studienergebnisse zeigen, dass der Agilitätsgrad insbesondere in Plan- und Run-Funktionen verschwindend gering ist. IT-Funktionsbereiche mit Steuerungs-, Management- und Betriebsfunktionen wie IT-Governance, IT-Applikationsbetrieb und IT-Infrastrukturbetrieb zeigen in mehr als zwei Drittel der befragten Unternehmen einen niedrigen bis sehr niedrigen Agilitätsgrad auf. In welchen IT-Funktionen besteht in Ihrem Unternehmen der größte Nachholbedarf bzw. welche IT-Funktionsbereiche/Prozesse müssen innerhalb der BMW Group IT am stärksten angepasst werden, um erfolgreich agil zu arbeiten?

Straub: Diese Tendenz kann ich bestätigen. Insbesondere im Infrastruktur- und Operations-Bereich besteht bei uns sicher der größte Nachholbedarf. Agile Produkte lassen sich aber durchaus auch hier durchführen und ich bin überzeugt, dass dies immer mehr kommen wird. Zum Beispiel lässt sich Windows 7 agil auf Windows 10 umstellen, indem Windows 7 nicht bei allen 120.000 Usern innerhalb eines Tages durch Windows 10 ersetzt wird, sondern der Fokus zunächst auf kleineren Einheiten liegt, um schnell eine 80 bis 90 Prozent-Lösung zu erreichen. Diese Lösung wird dann sukzessive weiter optimiert. Perspektivisch ist es unser erklärtes Ziel, dass alle 4.500 Mitarbeiter der BMW Group IT über alle IT-Funktionsbereiche hinweg agil arbeiten – auch diejenigen, die in den Infrastrukturbereichen beheimatet sind und selbst nichts entwickeln. Es geht dabei natürlich nicht darum, einen Incident-Prozess zu agilisieren. Hier muss es genau einen geben und nicht 150 verschiedene. Aber in der Zusammenarbeit mit den Entwicklern müssen selbstverständlich auch die Infrastrukturbetreiber wissen, wie die neuen agilen Methoden funktionieren und was benötigt wird.

Asgarian: Sie haben sich im Rahmen des Rollouts der neuen Struktur bzw. der Veränderung des Operating Modells für einen schrittweisen Ansatz entschieden. Inwiefern hat Ihnen diese Rollout-Strategie zu einer erfolgreichen Einführung agiler Strukturen verholfen? Ist ein Big Bang ein zu radikaler Shift?

Straub: Wir haben uns für einen sprint-basierten Rollout-Ansatz entschieden, um die neue Struktur sukzessive zu implementieren. So konnten wir sicherstellen, dass die Organisation nicht überfordert wird und die Veränderungen für unsere Mitarbeiter verdaubar bleiben. Zudem war es uns so möglich, agile Methoden im Rahmen des Rollouts erneut selbst zu verproben und gegebenenfalls zu justieren. Unsere Vorgehensweise gibt uns die Möglichkeit, einen schrittweisen Proof-of-Concept vorzunehmen.

Wir verfolgen dabei die Philosophie, dass agil auch agil umgesetzt werden sollte. Dennoch erfordert eine vollumfänglich agile Neuausrichtung, mehr als nur einzelne Hebel, wie bspw. die Einführung von Micro-Service Architekturen oder die Etablierung von agilen Methoden wie Continuous Deployment, zu bedienen. Alle Initiativen und Einzelmaßnahmen sind in einem ganzheitlichen organisatorischen Gesamtkontext zu sehen und miteinander zu verzahnen. Zusammenfassend: Wir gehen von Meilenstein zu Meilenstein stets mit dem Gesamtziel vor Augen: 100% agil.

Asgarian: Nach vorne geschaut: Wie sieht die BMW Group IT in 5 Jahren aus, was ist ihre langfristige Vision? Ist die Reise jemals zu Ende?

Straub: Wir verfolgen zunächst eine Drei-Jahres-Vision. Innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre wollen wir komplett in der agilen Welt angekommen sein. Bis dahin wollen wir auch die Überführung der laufenden IT-Projekte in agile Vorgehensweisen innerhalb einer Produktstruktur abschließen. Auf dieser Reise stehen wir noch vor der einen oder anderen Herausforderung. Dazu gehört zum Beispiel die Etablierung von sogenannten Scrum Master Pools, die ein effizientes Knowledge Sharing ermöglichen, die Identifikation von Product Ownern oder auch der intelligente Einsatz von Technologien, insbesondere von Micro-Service-Architekturen. Meine Mannschaft geht diesen Weg bisher außergewöhnlich gut, sodass ich sogar eher einen Pull aus der Organisation verspüre und es daher denkbar ist, dass wir bereits in einem oder in zwei Jahren unser Ziel zu 80 bis 90 Prozent erreicht haben. Das ist prinzipiell natürlich ein tolles Zeichen und spricht dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Asgarian: Eine abschließende Frage. Welchen Rat würden Sie Ihren Kollegen geben, die sich auf eine ähnliche Transformations-Reise begeben wollen. Was sind die wesentlichen “Lessons Learned” und Stolpersteine auf dem Weg zu mehr Agilität?

Es braucht vor allem Mut und Vertrauen, die Verantwortung in die Organisation reinzugeben.

Straub: Zunächst würde ich den Kollegen empfehlen, Pilotprojekte durchzuführen, um ein besseres Gefühl für das Thema Agilität zu bekommen sowie insbesondere für die konkreten Auswirkungen der Einführung agiler Prinzipien auf die Organisation. Um die Umsetzung voranzutreiben, empfiehlt sich außerdem die Einführung und Nominierung von Change Champions in der Top-Management-Ebene. Die Kollegen sollten sich des Weiteren dem Thema Kerneigenleistungsquote widmen. Mit zehn bis 20 Prozent Kerneigenleistungsquote und entsprechend komplexen Entscheidungswegen kann Agilität meiner Meinung nach nicht funktionieren.

Es ist sogar im Gegenteil mit enormen Schnelligkeits- und Flexibilitätsverlusten zu rechnen. Nicht zu unterschätzen ist darüber hinaus die Bedeutung von guten Leuten, die die richtigen Kompetenzen mitbringen und zum Beispiel in der Lage sind, Software zu entwickeln. Wir profitieren an dieser Stelle von der Strahlkraft der Marke BMW, die für Innovation und ein tolles Produkt steht sowie von unserem enorm attraktiven IT-Standort. Es ist also ratsam, innovatives Talent Management zu betreiben und das eigene Unternehmen als attraktiven Arbeitgeber zu positionieren, um sich im postulierten Wettbewerb um IT-Fachkräfte durchzusetzen. Daneben braucht es vor allem Mut und Vertrauen, die Verantwortung in die Organisation reinzugeben. Das zahlt sich aus eigener Erfahrung allerdings schnell aus. Mir wurde seit der Umstellung auf agil immer wieder aufgezeigt, wozu die eigene Mannschaft fähig ist. Wir geben mit diesem Schritt der IT die IT zurück. Das macht mich stolz.

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