Die HR-Funktion gehört raus aus dem Backoffice

Die HR-Funktion gehört raus aus dem Backoffice

Als Chief Human Resources Officer (CHRO) und Mitglied des Vorstands von Europas größtem Softwarehersteller (mit mehr als 95.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von knapp 24 Milliarden Euro) spielt Stefan Ries eine kongeniale Rolle.

Der oberste Personaler verantwortet nicht nur das weltweite Personalwesen bei SAP, sondern ist mit seinem Team maßgeblich an der Entwicklung datenbasierter Human-Capital-Lösungen des Unternehmens beteiligt. Die HR-Funktion von SAP als Benchmark für Lieferfähigkeit und Kundenzufriedenheit – nach innen wie nach außen – ist sein persönlicher Anspruch. Mit Walter Jochmann sprach er über die aktuellen Herausforderungen und das Zukunftsbild moderner Spitzenpersonalarbeit.

Jochmann: Herr Ries, wenn Sie Key Notes halten, tragen Sie oft ein T-Shirt mit der Aufschrift „HR Punks“. Welche Lektionen hält die Punk-Kultur für Personaler bereit?

Ries: Die HR-Funktion gehört raus dem Backoffice. Ihre Themen – allen voran Talent-Entwicklung und Führungskräfte-„Empowerment“ – sind relevant wie nie. Darum müssen sich Personaler von Verwaltern zu Gestaltern wandeln. Die erfolgreiche Digitalisierung und Serviceorientierung von Unternehmen steht und fällt mit den Menschen, die sie in letzter Konsequenz umsetzen müssen. Den Faktor Mensch in den technologischen Fortschritt des Unternehmens zu integrieren, ist klares Mandat der HR-Funktion. Daher mein Appell an alle Personaler: Habt Ihr keinen Stuhl am Tisch des Boards, bleibt stehen – seid rebellisch, hinterfragt den Status Quo, mischt euch ein!

Jochmann: Der Faktor Mensch als zentraler Erfolgsfaktor digitaler Transformation? Eine optimistische Perspektive auf die Zukunft der Arbeit – zumal SAP als Softwarehersteller von der Automatisierung profitiert!

Ries: Ich persönlich glaube nicht an die Bedrohung des Menschen durch Maschinen. Sicher werden digitale Technologien in Zukunft Entscheidungen vorbereiten und ausgewählte Tätigkeiten teilweise oder auch vollständig übernehmen. Am Ende ist es jedoch der Mensch, der die Entscheidung trifft. Die Maschine z.B. mit künstlicher Intelligenz, kann ihn dabei unterstützen, faktenbasierte Entscheidungen zu treffen. Kreativität und Empathie bleiben dabei Kernkompetenzen von uns Menschen.

Jochmann: Welche Rolle will SAP in dieser neuen Industrie- und Arbeitswelt spielen?

Ries: Uns geht es im Wesentlichen darum, unsere Kunden dabei zu unterstützen, komplexe Probleme mit Hilfe intelligenter Technologie zeitnah zu lösen, z.B. indem wir ihre Entscheidungsprozesse mithilfe von intelligenten Daten und Analysetools beschleunigen. Wir fühlen uns verpflichtet, unsere Kunden auf ihrem Weg zum intelligenten und erfolgreichen Unternehmen zu unterstützen und so unseren Beitrag zu einer besseren Welt zu leisten. Um uns schnell den sich wandelnden Bedürfnissen unserer Kunden anpassen zu können, haben wir den Fokus unseres Geschäftsmodells von Lizenzen hin zu Cloud-Lösungen verschoben. Im Übrigen hat diese unternehmerische Entscheidung Auswirkungen auf die Belegschaft: Software-Entwicklung und -Vertrieb bilden die untrennbaren Kernkompetenzen von SAP. Diese Fähigkeiten gilt es systematisch im Personalkörper zu erhalten und auszubauen.

Jochmann: Und welchen Wertbeitrag kann die HR-Funktion dabei konkret leisten?

Ries: Bei SAP ist die HR-Funktion in die Entwicklung aller neuen Human-Capital-Lösungen involviert und verprobt diese an sich selbst; zum Beispiel arbeiten meine Kollegen aus dem Bereich HR Analytics gleichzeitig auch an der Software-Entwicklung und -Vermittlung mit. Wir sind sozusagen unser eigener Formel 1 Testfahrer. Die Tatsache, dass wir als Marktfolgefunktion an der Entwicklung der Produkte und Service unseres Unternehmens mitarbeiten, schärft unsere Kundenorientierung in bemerkenswerte Weise – auch und vor allem in Richtung unserer internen Nachfrager. Kundenzufriedenheit hat für uns oberste Priorität. Die Anpassung unserer Kundeninteraktion ist die logische Folge: Verständlichkeit, Nutzenargumentation und persönliche Einsatzbereitschaft sind für mich zentrale Kriterien in der Zusammenarbeit der Personaler mit ihren Kunden, unabhängig ob intern oder extern.

Jochmann: Alles Fähigkeiten, die Personaler Ihrer Meinung nach zu lange vernachlässigt haben?

Ries: Zumindest verwenden Personaler meines Erachtens noch zu viel Zeit auf die Administration von Prozessen. Sicher muss die Gehaltsabrechnung reibungslos verlaufen – aber das ist Pflicht. Die Digitalisierung hat das Potential, uns Freiraum von diesen administrativen Prozessen zugunsten kreativer und innovativer Zusammenarbeit zu schaffen. Mit Transformationsmanagement, Kulturwandel, Diversifizierung oder auch der Neugestaltung der Sozialpartnerschaft können Personaler die strategische Erneuerung ihres Unternehmens wirklich unterstützen. Somit können sie nicht nur einen Beitrag zu seiner nachhaltigen Personal- und Organisationsentwicklung leisten, sondern sind auch Treiber von Innovation und Transformation.

Jochmann: Inwiefern richten Sie die organisatorische Aufstellung Ihrer HR-Funktion an diesen strategischen Prioritäten aus?

Ries: Wir verfolgen einen Drei-Säulen-Ansatz mit punktuellen Anpassungen: Aufgrund der hervorgehobenen Bedeutung von Consumer Experience geben wir den einzelnen Säulen die Möglichkeit, ein gewisses Eigenleben zu entwickeln und für ausgewählte Prozesse durchgehend Verantwortung zu übernehmen. Zum Beispiel verantwortet unser Bereich „Total Rewards“ nicht nur die Konzeption von Vergütungsmodellen, sondern auch ihre Implementierung. Auch unsere Shared-Service-Einheiten steuern zum Teil sehr komplexe Prozesse autonom; beispielsweise kümmern sich sechs Kollegen in Tschechien allein um das Onboarding aller neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit.

Jochmann: Eine interessante Weiterentwicklung des Modells von Dave Ulrich, das ja vor allem für seine harten Prozessschnitte kritisiert wird. Hat sich dabei auch die Notwendigkeit ergeben, grundsätzlich neue HR-Rollen zu etablieren?

Ries: Neben der Zufriedenheit aller Beteiligten verfolgen wir das strategische Ziel der Standardisierung und Vereinfachung unserer Produkte, und zwar vor allem aus der Sicht unserer Kunden, also unserer Führungskräften und der Belegschaft. Darum setzen wir auf eine Multi-Kanal-Strategie: Während HR Business Partner geschäftsnahe und strategische Themen für das Top-Management fokussieren, bearbeiten HR Advisors transaktionale Themen und Personalfragen für das mittlere Management. Darüber hinaus greifen wir weiterhin auf Kompetenzcenter und Shared-Service-Einheiten zurück, mit circa zwei Dritteln unserer Kapazitäten.

Jochmann: Insgesamt also eine sehr ausgewogene Verteilung der Kapazitäten auf die drei Organisationssäulen. 

Ries: Ich persönlich halte wenig von Ratios. Aber perspektivisch werden Unternehmen, auch wir bei SAP, bis zu 95 Prozent aller HR Services durch Cloud-Lösungen abbilden können. Die verbleibenden fünf Prozent der Tätigkeiten machen Human Resources dann zu einem der interessantesten Berufsbilder überhaupt!

Jochmann: Inwieweit glauben Sie, gelingt HR der Wechsel zu einem positiven Arbeitgeberimage?

Ries: Meinem Empfinden nach ist HR heute so attraktiv wie nie zuvor. Immer häufiger erreichen uns interne Bewerbungen auch aus dem operativen Geschäft. Dieser Trend bringt Chancen für zunehmende Vielfalt, Professionalisierung und Nähe zum Business. Unabhängig von der Jobgruppe halte ich es aber insgesamt für erfolgsentscheidend, dass die Arbeitswelt leichter konsumierbar wird. Im Jahr 2025 werden 80 Prozent unserer Belegschaft mit digitalen Technologien und neuen Medien aufgewachsen sein und nachvollziehbarerweise erwarten, dass sich ihr Berufsleben genauso flexibel und vernetzt gestaltet wie ihr Privatleben. Nur wenn es Unternehmen gelingt, die Möglichkeiten des technologischen Fortschritts auch am Arbeitsplatz abzubilden, werden sie als Arbeitgeber zukünftig Talente gewinnen und binden können.

Herr Ries, vielen Dank für das Gespräch. 

 

 

 

 

 

 

 

 

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