Interview mit den Wirtschaftsförderern Dr. Ulrich Schückhaus & Christian Weiß

Interview mit den Wirtschaftsförderern Dr. Ulrich Schückhaus & Christian Weiß

Nicht nur Unternehmen, sondern auch Städte werden im Zuge der aktuellen Weltlage vor neue Herausforderungen gestellt. Wie diese aussehen und wie man sie angehen kann, darüber hat Kienbaum-Berater Henning Böhne mit Dr. Ulrich Schückhaus, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Entwicklungsgesellschaft der Stadt Mönchengladbach mbH, und Christian Weiß, Geschäftsführer der Gesellschaft für Wirtschafts- und Technologieförderung Rostock mbH, gesprochen.

Welche Erfahrungen haben Sie im Rahmen der COVID-19-Phase gemacht?

 

Dr. Ulrich Schückhaus, Vorsitzender der Geschäftsführung, Entwicklungsgesellschaft der Stadt Mönchengladbach mbH

Dr. Ulrich Schückhaus: Anfangs war der Lockdown für uns alle ein Schock. Die Unsicherheit insbesondere bei den Klein- und Kleinstunternehmern war enorm. Um Unterstützung zu bieten und so bestmögliche Sicherheit zu vermitteln, haben wir viel mehr als sonst kommuniziert und Hotlines sowie Newsletter etabliert. Zum Schutz unserer Mitarbeiter und Partner haben wir unsere Arbeit ins Homeoffice und damit auch die B2B-Kommunikation auf digitale Kanäle verlagert.

Da es keine andere Möglichkeit der Vernetzung gab, waren auf einmal rein digitale Meetings, Veranstaltungen und Panels mit bis zu 300 Teilnehmern möglich. Ein Plus: Durch den Wegfall der Reisetätigkeit ließen sich Veranstaltungstermine leichter in den Arbeitsalltag integrieren.

Bei den Stadtentwicklungsprojekten haben wir die eingangs erwähnte Unsicherheit ebenfalls zu spüren bekommen: Viele Themen & Projekte wie zum Beispiel Neubauvorhaben wurden zunächst für einige Wochen verschoben, einige wenige ganz abgesagt. Mittlerweile sind wir nachfrageseitig aber wieder auf dem Vor-Corona-Niveau.

Christian Weiß: Ich persönlich habe die Situation sehr ähnlich empfunden. Eine Erfahrung, die ich gemacht habe, ist dass die innere Haltung zur Veränderung sich gewandelt hat: Themen wie Homeoffice, Digitalisierung etc., die früher auf Widerstand gestoßen sind, wurden einfach umgesetzt, da es keine Alternative dazu gab. Von jetzt auf gleich waren diese Themen möglich.

Die COVID-19-Phase war und ist äußerst arbeitsintensiv. Neben der Krisenkommunikation und -bewältigung haben wir unsere Wirtschaftsförderarbeit weitergeführt. Zudem mussten die abgesagten Veranstaltungen rückabgewickelt werden.

Um die unterschiedlichen Unternehmen – Großkonzerne wie Kleinstunternehmer – zu erreichen, haben wir über verschiedene Kanäle kommuniziert: Das reichte von Plattformen (RettungsRingMV – eine Initiative der kommunalen Wirtschaftsförderungen des Landes Mecklenburg-Vorpommern) bis hin zu Wurfsendungen. Insgesamt kann man sagen: Die Krise hat uns kreativer gemacht.

 

Welches Führungsverhalten hat sich aus Ihrer Beobachtung heraus besonders bewährt?

 

Christian Weiß, Geschäftsführer, Gesellschaft für Wirtschafts- und Technologieförderung Rostock mbH

Christian Weiß: Mitarbeiter im Homeoffice sind am besten über eine ergebnisorientierte Führung zu steuern, da die bewährten Zugriffsmöglichkeiten wegfielen. Das Thema Führung, wie ich es klassisch gewohnt bin, war in dieser Phase nicht mehr möglich.

Wir haben viel Rücksicht auf die familiäre Situation genommen, wofür uns unsere Mitarbeiter sehr dankbar waren. Der Vertrauensvorschuss, die Flexibilität sowie die hohen Freiheitsgrade wurden sehr geschätzt. Über Regeltermine wie einen montäglichen Jour fixe und konsequentes Nachfassen haben wir Verbindlichkeit der Ergebnisse erzielt.

Auch wenn alle die Zeit im Homeoffice zu schätzen wussten, musste ich gegen Ende des Lockdowns meine Mitarbeiter regelrecht davon abhalten, ins Büro zukommen. Das Team hat in dieser Phase an Bedeutung gewonnen, physische Treffen wurden sehr vermisst. Für uns steht fest: Homeoffice ist schön, aber nicht für immer.

Dr. Ulrich Schückhaus: In dieser Zeit waren eine klare Kommunikation und feste Regeln, wie zum Beispiel mit der Krise umzugehen ist, Grundvoraussetzung einer guten Zusammenarbeit. Unser Führungsteam ist noch stärker zusammengewachsen, da allen bewusst war: Nur gemeinsam können wir diese Krise meistern.

Auch ich führe mit Vertrauen und ergebnisorientiert. Wenn ich meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ins Homeoffice schicke, erwarte ich ein Ergebnis. Wo und wann dieses erbracht wird, ist grundsätzlich egal. Das Ergebnis zählt.

Ein weiterer wichtiger Punkt war die Flexibilität auf beiden Seiten. Ganz klar stand in dieser Zeit die Familie an erster Stelle. Die Kinderbetreuung war ein großes Thema. Meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben diese Flexibilität sehr geschätzt und waren dankbar dafür, dass wir auf die persönlichen Situationen Rücksicht genommen haben. Das bedeutete auch Nachsicht, wenn an der ein oder anderen Stelle mal kein hundertprozentiges Ergebnis erzielt werden konnte. Jede und jeder aus meinem Team hat sich so eingebracht, wie es die damalige Situation zuließ. Mit vereinten Kräften haben wir das Beste aus der Situation gemacht.

 

Welche zwei wichtigsten Maßnahmen leiten Sie für die Zukunft ab – was werden Sie verändern?

 

Dr. Ulrich Schückhaus: Ein wichtiger Aspekt war der Einsatz von Technik. Wir haben technisch aufgerüstet, um Videokonferenzen und Webinare selbst durchführen zu können. So haben wir zum Beispiel ein Wirtschaftsförderung-TV-Programm eingeführt und regelmäßig Sendungen produziert. Wir haben andere, digitale Formate ausprobiert, die uns auch in Zukunft nutzen werden. Wir waren auch vermehrt in den sozialen Medien unterwegs und haben entsprechende Inhalte geteilt. Dadurch konnten wir eine größere Reichweite erzielen als bei physischen Meetings.

Ein zweiter Aspekt betrifft eher die Formalia. Wir haben festgestellt, dass unsere gesamten Gesellschafterverträge physische Veranstaltungen voraussetzen. Für Beschlussfassungen waren Präsenzmeetings zwingend erforderlich. Wir müssen uns nun überlegen, wie wir es schaffen, rechtssichere virtuelle Gremiumssitzungen durchzuführen, um in vergleichbaren Situationen handlungsfähig zu bleiben.

Christian Weiß: Viele der angeschobenen Themen werden sich auch etablieren und ein Teil unserer Arbeitsphilosophie werden. Wir werden zum Beispiel die Themen Mobilität und physische Präsenz weiter optimieren. Müssen wir beim Erstgespräch mit Kunden vor Ort sein oder kann eine Erstberatung nicht auch virtuell stattfinden? Diese Fragen führen unweigerlich dazu, dass wir weniger Reisetätigkeit haben und technisch weiter aufrüsten werden.

Unsere Infrastruktur wird sich weiterentwickeln. Wir erleben gerade einen Umbruch unserer gesamten Arbeitswelt. Die Krise hat zum Beispiel gezeigt, dass ein großer Teil der Büroflächen überflüssig wird, da die Menschen ihren Arbeitsort partiell ins Homeoffice verlagert haben und viel flexibler arbeiten. Das führt zu einem Büroflächen-Überhang. Bei der Planung aktueller Büroflächen rechnen wir automatisch mit 15 Prozent der Belegschaft, die nicht vor Ort arbeiten wird.

 

Können Sie beispielhafte Maßnahmen nennen, wie Sie die wirtschaftliche Entwicklung Ihrer Städte zukünftig robuster aufstellen werden?

 

Christian Weiß: Die Krise hat gezeigt, dass das Modell „Höher, schneller, weiter“ keine Zukunft hat. Ein Umdenken innerhalb der Stadtgesellschaft findet aktuell statt.

Das Bedürfnis, dass sich Menschen treffen, wird es auch zukünftig geben – die Art und Weise ist noch nicht klar.

Die Krise hat viele Branchen in eine Schieflage gebracht. Ein Blick in die Kurzarbeiterstatistik zeigt: Es ist gibt immer Branchen, die sehr krisenanfällig sind, zum Beispiel die maritime Industrie (Werftbau), Tourismus oder auch der Dienstleistungsbereich.

Für eine florierende Stadt Rostock ist es wichtig, eine Konversion von krisenabhängigen Brachen hin zu krisenunabhängigen Branchen wie Gesundheitswirtschaft, Medizintechnik  oder Forschung zu meistern.

Wir werden die Themen Digitalisierung, Smartness und Investitionen in Forschungsinstitutionen weiter vorantreiben. Denn Rostock ist sehr viel mehr als Werften und Tourismus.

Wir haben gemerkt, dass eine Pandemie schnelles Reagieren erfordert. Die Erkenntnis ist da, an der Umsetzung können und müssen wir weiterhin arbeiten.

Dr. Ulrich Schückhaus: Bei uns in Mönchengladbach ist die Richtung sehr ähnlich. Wir brauchen eine differenzierte Wirtschaftsstruktur und eine Durchmischung der Branchen. Monostrukturen in Kommunen sind immer sehr anfällig in Krisen. Je breiter wir aufgestellt sind, desto besser können wir Krisen abfedern.

Die zweite wichtige Maßnahme, die wir vorantreiben müssen, ist das Thema Digitalisierung. Corona hat uns gezeigt, dass wir die Digitalisierung in der Wirtschaft sowie in den Kommunen selbst dramatisch beschleunigen müssen. Das betrifft zum einen die Kommunikationsstruktur wie Breitband- oder Glasfaserausbau, zum anderen müssen wir das Thema digitale Bildung bereits in den Schulen vorantreiben.

Christian Weiß: Der letzte Punkt legt den Finger in die Wunde. Hier hat unsere Gesellschaft versagt. Es gab so viele Unterstützung für alle, nur unsere Studenten und Schüler wurden im Homeschooling geparkt. Meine Frau und ich waren in dieser Zeit auch Lehrerin und Lehrer, da unsere Tochter neun Wochen am Stück zu Hause war. Die Qualität und Ausstattung der Schulen, die Kompetenzen der Lehrkräfte müssen ausgebaut werden. Bildung muss virenfest sein, denn die Bildung unserer Kinder ist unsere Zukunft.

 

Welche Chance sehen Sie in der aktuellen Situation?

 

Dr. Ulrich Schückhaus: Tradierte etablierte Verhaltensweisen wurden und werden in Frage gestellt. Mein Kalender, als persönliches Beispiel, ist heute ein anderer als noch vor Corona, da ich viel weniger Präsenztermine wahrnehme und Meetings wesentlich effizienter organisiere.

Mit dieser Haltung bin ich nicht allein. Grundsätzlich wird es dazu führen, dass weniger geflogen wird und deutlich weniger Konferenzen und Messen besucht werden, da es alternative Lösungen gibt, die schneller und wirksamer sind.

Ich erkenne eine Tendenz, aufgrund der Pandemie die Produktion zurück nach Deutschland zu holen. Eventuell ergibt sich für den Standort Deutschland ein Vorteil, da die Lieferketten verkürzt werden und damit krisensicher sind.

Christian Weiß: Im Endeffekt kann man sagen, dass diese Zeit dazu geführt hat, den Fokus auf das Notwednige und Nachhaltige zu legen. Ich teile die Meinung, dass Messen und Reisen neu bewertet und vermutlich an Bedeutung verlieren werden.

Abschließend kann ich festhalten, dass die COVID-19-Phase zu einer gewissen Entschleunigung und Fokussierung geführt hat. Ich habe gemerkt, dass diese Entschleunigung mir gut tut und mich kreativer macht. Es war eine sehr intensive und lehrreiche Zeit mit sehr viel Potential.

Wenn wir alle die Chancen ergreifen, die sich daraus ergeben, dann haben sich die vielen Investitionen und finanziellen Unterstützungen, die wir jetzt tätigen müssen, auch gelohnt.

 

Vielen Dank für den spannenden Dialog.

 

Sie haben Fragen? Sprechen Sie uns gerne an:

Henning Böhne | E-Mail: henning.boehne@kienbaum.de | Tel.: +49 172 911 76 85

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