Interview mit Kerstin Andreae

Interview mit Kerstin Andreae

Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, kann Wandel

In einer Welt der Corona-beschleunigten Veränderung für eine Branche im Wandel Richtung Nachhaltigkeit und Klimaschutz hat sie selbst einen persönlichen Wandel durchgemacht: Nach zwanzig Jahren Politik für die GRÜNEN – seit 2002 im Bundestag und zuletzt wirtschaftspolitische Sprecherin ihrer Fraktion – steuert die studierte Volkswirtin nun einen der bedeutenden Verbände im Lande.

Wandel gestalten in herausfordernden Zeiten: Wie das geht und was es dafür braucht, darüber sprach Anne von Fallois mit Kerstin Andreae.

 

Frau Andreae, seit November 2019 sind Sie die hauptamtliche Chefin des BDEW. Wie haben Sie den Seitenwechsel von der Politik in die Verbandswelt erlebt?

 

Kerstin Andreae: Eigentlich mehr wie einen Stuhlwechsel: Ich hatte ja schon als Politikerin immer wieder mit Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern aus Politik, Wirtschaft und Verbänden an einem Tisch gesessen und miteinander um gute Lösungen gerungen. In den ersten Monaten habe ich viel Zeit darauf verwendet, mit möglichst vielen der 2000 Mitglieder des BDEW – das sind neben den großen Energieversorgern viele kommunale Unternehmen der Daseinsvorsorge – ins Gespräch zu kommen. Dazu haben wir unter anderem Regionalkonferenzen gemacht – das ging zum Glück zu Beginn noch. Mein Ziel: Vertrauen zu schaffen für mich als erste Grüne Frau an der Spitze der BDEW-Hauptgeschäftsführung. Dann kam Corona: Mein letzter Termin „draußen“ vor dem ersten Lockdown war am 6. März 2020.

 

Mit dem Lockdown mussten auch Sie und Ihr Team sich plötzlich mit ganz neuen Fragen beschäftigen. Wie sind Sie damit umgegangen?

Kerstin Andreae

Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft

Kerstin Andreae: Ja, plötzlich hatten wir sehr konkrete Themen auf dem Tisch: Was bedeutet die Unterbrechung von Lieferketten für die Installation von Windkraftanlagen? Wie kommt Wartungspersonal im Außendienst sicher zu den Kundinnen und Kunden der Stadtwerke? Als Branche hatten wir natürlich keine existenziellen Herausforderungen für unser Geschäftsmodell, denn Wasser und Energie brauchen die Leute ja trotz Krise – und Abwasser gibt es auch immer. Wir mussten dafür sorgen, dass es funktioniert.

 

Unternehmen der Daseinsvorsorge haben in der Krise einmal mehr ihre Systemrelevanz bewiesen. Haben Ihre Mitgliedsunternehmen und die dort Arbeitenden dafür genug Anerkennung bekommen?

 

Kerstin Andreae: Genau diese Frage hat mich auch umgetrieben. Wir haben deshalb in Social Media eine eigene Kampagne aufgesetzt: „Wir sorgen vor“. Gemeinsam mit vielen Mitgliedsunternehmen haben wir den Arbeitsalltag derer in den Mittelpunkt gerückt, die sich auch in der Pandemie vor Ort und ganz unmittelbar für die Energiewende, eine nachhaltige Wasserwirtschaft und klimafreundliche Mobilität einsetzen. Das ist sehr gut angekommen – gerade bei den Beschäftigten, die nicht ins Home-Office konnten. Das war auch gut gegen eine sich abzeichnende Spaltung der Belegschaften.

 

Haben Sie als Verband auch mehr Anerkennung bekommen seitens Ihrer Mitglieder?

 

Kerstin Andreae: Ich habe zu Beginn des Lockdowns gesagt: Jetzt schlägt die Stunde des Verbandes. Und wir haben sie engagiert genutzt. Das wird sehr wertgeschätzt.

 

Kommunikation mit den Mitgliedern in der Krise – für Verbände ist das das A & O in Pandemiezeiten. Was haben Sie noch gemacht?

 

Kerstin Andreae: Ich hatte schon vor Corona ein neues Format etabliert: Briefe aus der Hauptgeschäftsführung. Das Besondere daran: Ich habe diese Briefe an die Mitgliedsunternehmen bewusst sehr persönlich gehalten und Fachinformationen mit eigenen, fast schon privaten Gedanken verknüpft. Mir ging es darum, eine kommunikative Brücke zu bauen in Zeiten, in denen man sich eben nicht persönlich begegnen kann. Außerdem habe ich immer wieder virtuelle Gesprächsrunden zu Zukunftsthemen eingerichtet. Mein Ziel dabei: Den Community-Gedanken in und die Identität der Energie- und Wasserbranche zu stärken. Dekarbonisierung, Elektromobilität, Wasserstofftechnologie: Möglich macht das am Ende die Energiewirtschaft.

 

Viel Aktivität also in Richtung Ihrer Mitgliedsunternehmen in Krisenzeiten. Was aber haben Sie im Verband selbst in der Geschäftsstelle verändert?

 

Kerstin Andreae: Natürlich waren und sind die allermeisten Mitarbeitenden im Home-Office. Aber wir haben sehr früh einen „Post-Corona-Prozess“ aufgesetzt: Wie ändern wir unsere Art der Zusammenarbeit nach den Corona-Erfahrungen? Wir haben eine sehr progressive Betriebsvereinbarung aufgesetzt: Wenn alles wieder „normal“ ist, werden die Mitarbeitenden weiter bis zu 40 Prozent im Home-Office arbeiten können. Außerdem werden wir die Gremienordnung anpassen: Künftig werden viele Sitzungen satzungskonform virtuell stattfinden können. Das spart Zeit und Energie – sehr angemessen für einen auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Verband wie den BDEW.

 

Viele Arbeitgeber beschäftigt gerade die Frage: Wie holen wir die Leute zurück aus dem Home-Office ins Büro? Wie bereiten Sie sich darauf vor?

 

Kerstin Andreae: Wir haben mit der Betriebsvereinbarung, die wir im ersten Lockdown im engen Schulterschluss mit dem Betriebsrat geschlossen haben, eine gute Grundlage. Natürlich hat diese Ausnahmezeit dabei geholfen, Vertrauen für das Modell „Mobile Arbeit“ zu schaffen – gerade auch bei den Führungskräften. Jetzt gilt es, den Mehrwert des gemeinsamen Arbeitens im Büro herauszustellen. Es heißt ja nicht umsonst: „Die Köpfe zusammenstecken“. Man braucht auch in der Verbandsarbeit echte Begegnung, um zu guten Lösungen zu kommen. Und wir erleben ja auch, wie sehr wir vereinsamen im Home-Office.

 

Videokonferenzen können eine ziemlich „kalte“ Angelegenheit sein – mit Folgen für die Lebendigkeit und Innovationskraft solcher Runden. Was denken Sie: Können Frauen besser kreative Prozesse im Digitalen gestalten, weil sie es vermögen, auch in virtuellen Meetings Nähe zu erzeugen?

 

Kerstin Andreae: Meine Erfahrung: Frauen sind deshalb in der Lage Distanzen zu überwinden, weil sie bereit sind, Fragen zu stellen und nicht den Allwissenden geben. In Videokonferenzen finde ich gerade deshalb die Hand-Hebe-Funktion gut. Das führt auch dazu, dass Frauen sich sichtbarer beteiligen können.

 

Könnte es auch ein Vorteil sein, dass männlich geprägte Kommunikationsformen – z.B. subtile Blicke zwischen Männern oder Augenrollen, wenn eine Frau spricht – in Videokonferenzen nicht funktionieren?

 

Kerstin Andreae: Ja, der digitale Gesprächs-Raum ist neutraler und nicht so geprägt von männlicher Dominanz. Das ist gut für alle.

 

Es wird gerade viel über die Resilienz von Organisationen und Menschen in der Krise gesprochen. Sie kommen aus der Politik, in der man zumeist schon alles erlebt hat: Sonne und Sturm. Hilft das im Umgang mit der Ausnahmesituation?

 

Kerstin Andreae: Ja, vielleicht ein bisschen. In der Politik lernt man auf die Verbesserung einer Situation zu vertrauen. Und man vermag sie einzuordnen in größere Zusammenhänge und längere Linien. Das relativiert manches. Und natürlich lernt man in der Politik auch, immer Zuversicht auszustrahlen. Auch das ist für Führung in Krisenzeiten wichtig.

 

Wir führen dieses Gespräch am 22.2.2021 – beamen wir uns mal ein Jahr weiter. Was soll in diesem Jahr passiert sein – außer, dass wir möglichst alle geimpft sind?

 

Kerstin Andreae: Ich hoffe, dass wir uns der “lessons learned” bewusst werden und bleiben. Dazu gehört die Erfahrung: Krisenbewältigung und Klimaschutz sind zusammenzudenken. Dazu gehört auch die Erkenntnis: Menschen vermissen weniger den Konsum als die Kontakte. Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam zurückschauen können auf diese für viele so schwere Zeit und sagen: Wir sind da durchgekommen, weil wir zusammengehalten haben – in der Gesellschaft ebenso wie im Verband.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

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Anne von Fallois | E-Mail: Anne.vonFallois@kienbaum.de | Tel.: +49 30 88 01 98-80

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