Interview mit Ute Rausch, Heraeus Holding

Interview mit Ute Rausch, Heraeus Holding

Die fundierte eignungsdiagnostische Absicherung von wichtigen Personalentscheidungen bleibt auch in Zeiten der COVID-19-Pandemie eine Priorität. Doch wie gehen Unternehmen mit den sich hieraus ergebenden Herausforderungen um?

Kienbaum Assessment Services hat Entscheidungsträger aus diesem Bereich befragt. Vom deutschen Mittelstand bis zum DAX-Konzern. Den Auftakt unserer Interviewreihe bildet unser Gespräch mit Ute Rausch von Heraeus Holding.

 

Zur Person:
Ute Rausch

Ute Rausch – Global Head of HR Executive Management & Talent (Heraeus Holding)

Ute Rausch leitet den Bereich „HR Executive Management & Talent“. In dieser Funktion ist sie für die weltweite Betreuung der Top Executives im Konzern sowie den Bereich Talent zuständig. Darüber hinaus verantwortet Sie die HR Organisation in den USA und Greater China.

Zuvor war sie mehr als 10 Jahre Global HR Business Partner der größten Business Unit von Heraeus und gestaltete im Bereich Corporate Development HR die erfolgreiche Transformation des HR Bereiches.

Zum Unternehmen:

Der Technologiekonzern Heraeus mit Sitz in Hanau ist ein weltweit führendes Portfoliounternehmen in Familienbesitz mit den Schwerpunkten Umwelt, Energie, Elektronik, Gesundheit, Mobilität und industrielle Anwendungen.

Das Unternehmen wurde 1851 in Hanau gegründet und beschäftigt rund 15.000 Mitarbeiter in 40 Ländern. Heute zählt Heraeus zu den Top 10 Familienunternehmen in Deutschland und hat eine führende Position auf seinen globalen Absatzmärkten.

Inwiefern führen Sie in Zeiten von Corona weiterhin eignungsdiagnostische Verfahren durch? Für welche Zielgruppe und mit welcher Fragestellung?

Rausch: Eignungsdiagnostische Verfahren nutzen wir bei Heraeus für unterschiedliche Zielgruppen. Einerseits zur gezielten Förderung unserer Talente. Hier ist ein Development Center der Initialbaustein für die Talententwicklung. Wir nutzen eignungsdiagnostische Verfahren aber insbesondere auch als Besetzungsentscheidung für jede Top Executive Position. Hier setzen wir die Verfahren sowohl für interne als auch für externe Kandidaten ein. Die Corona-Krise hat bei uns keinen Einfluss auf zeitkritische Besetzungsverfahren im Executive-Bereich – dahingehend haben wir unser grundsätzliches Auswahlverfahren erst gar nicht in Frage gestellt. Wir hatten aber die Herausforderung, unsere klassischen Präsenzverfahren auf eine virtuelle Basis umzustellen und dabei sicherzustellen, dass diese nach wie vor qualitativ hochwertig durchgeführt werden. Unser Partner Kienbaum hat aber sehr schnell auf unsere Anforderungen der virtuellen Durchführung reagiert. Somit können wir die strategischen Besetzungsentscheidungen für Top-Positionen nach wie vor vornehmen. Die internen Entwicklungsverfahren mit der Zielgruppe „Talente“ wollen wir allerdings physisch vor Ort durchführen. Gerade wenn es um individuelle Entwicklung, zwischenmenschlichen Austausch und Lernen geht, ist es aus meiner Sicht notwendig, eine vertrauensvolle Lernumgebung zu schaffen. Für unsere Talente gibt es dahingehend Corona-bedingt eine Verschiebung unserer ursprünglich angedachten zeitlichen Planung.

Welche Entwicklungen haben Sie bis zu Corona im Rahmen von Assessments vorangetrieben? Welche Innovationen oder technischen Veränderungen?

Rausch: Wir haben im Jahr 2018 die Personalbetreuung der Top-Führungskräfte im Konzern unter meiner Leitung zusammengefasst und damit einhergehend den Einsatz von eignungsdiagnostischen Verfahren bei Besetzungsentscheidungen auf dieser Management-Ebene als wesentliche Neuerung eingeführt. Die Durchführung von Management Audits ist im Unternehmen, auch auf Board-Ebene, sehr gut akzeptiert und hat zu einer nachweislichen Erhöhung der Besetzungsqualität und des damit verbundenen qualitativen Austauschs geführt. Darüber hinaus setzen wir verstärkt psychometrische Testverfahren im Bereich Talentmanagement ein und haben unser Portfolio hierzu kontinuierlich ausgebaut. So können wir derzeit situationsabhängig sowohl kognitive Fähigkeitstests, Persönlichkeitstests als auch die Simulation von Management Situationen über Onlineverfahren abbilden. In Kombination mit dem Development Center helfen uns diese zusätzlichen Datenpunkte dabei, unsere Talente optimal zu fördern.

Welche eignungsdiagnostischen Methoden und Übungen setzen Sie im virtuellen Verfahren ein?

Rausch: Wir waren in der Lage, unser bestehendes Präsenzverfahren unverändert in den virtuellen Kontext zu überführen. Kernelemente jedes Verfahrens sind die Bearbeitung komplexer Fallstudien, ein kompetenzbasiertes Interview sowie verhaltensorientierte Simulationen. Vor jedem Audit durchläuft der Teilnehmer darüber hinaus noch onlinebasierte psychometrische Testverfahren, die es uns ermöglichen, hypothesengeleitet stärker auf bestimmte Facetten im Interview zu fokussieren. Für uns gibt es somit keine inhaltlichen Anpassungen, nur weil wir das Verfahren momentan virtuell durchführen.

Inwiefern haben Sie Anpassungen bei Ihren Auswahl- und Bewertungsprozessen vorgenommen?

Rausch: Grundsätzlich setzen wir auch im virtuellen Verfahren den gleichen Maßstab hinsichtlich des Auswahl- und Bewertungsprozesses an. Das Verfahren ist bei der Besetzung von Top-Positionen mittlerweile gut etabliert, so dass auch die internen Beobachter und Entscheider in der Lage sind, ihre bislang erworbenen Erfahrungen im virtuellen Ansatz mit einzubringen. Wichtig ist hierbei natürlich, dass es eine gute Interaktion zwischen Moderator, Teilnehmer und Beobachter gibt.

Was stellt Ihrer Meinung nach die größte Herausforderung bei der Durchführung virtueller Verfahren dar?

Rausch: Zuallererst natürlich die Netzwerkstabilität. Manchmal passiert es ja schon, dass Gesichter im Standmodus einfrieren und die Interaktion für einen kurzen Moment verloren geht. Neben diesem technischen Aspekt stellt sich aber natürlich auch die Frage nach dem emotionalen Aspekt. Der zwischenmenschliche Austausch ist hierbei natürlich herausfordernder als im klassischen Präsenzverfahren. Dahingehend wäre meine Empfehlung auch immer, das virtuelle Verfahren um ein persönliches Kennenlernen zu ergänzen. Aus Sicht des Kandidaten ist die größte Herausforderung sicherlich, weniger unmittelbares und offensichtliches Feedback durch Mimik, Blicke oder Gesten zu erhalten; das gilt aber auch umgekehrt für die Beobachter. In einem klassischen Präsenzverfahren hat man außerdem auch die Reaktionen der Mitbeobachter im Blick. Hier hilft der virtuelle Ansatz vielleicht sogar, das Verfahren noch neutraler zu gestalten.

Wie bewerten Sie diese Durchführungsart im Vergleich zu klassischen Präsenzverfahren?

Rausch: Ich glaube, dass virtuelle Verfahren bei einer professionellen Durchführung genauso erfolgreich sind wie klassische Präsenzverfahren. Schon heute gehört es zum Alltag vieler Führungskräfte, Mitarbeitergespräche virtuell durchzuführen. Dahingehend ist es auch konsequent, interaktive Elemente des Verfahrens, wie beispielsweise verhaltensorientierte Simulationen, in den digitalen Kontext zu integrieren. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich das Verhalten des Präsentierenden auch virtuell gut beobachten lässt und es keinen großen Unterschied zwischen den Durchführungsformen gibt, um beispielsweise zu bewerten, wie gut ein Kandidat in der Lage ist, komplexe Themenstellungen aufzubereiten.

Was sind die wichtigsten Learnings für Sie bei der Durchführung?

Rausch: Wichtig ist, dass der Teilnehmer eine gute Einführung in die technischen Tools erhält, um so zusätzliche Unsicherheiten zu minimieren. Seitens der Beobachter ist das Learning, dass man eventuell an der ein oder anderen Stelle etwas nachsichtiger sein und das ungewohnte Setting berücksichtigen muss.

Wie ist die Reaktion der Teilnehmer hinsichtlich der Durchführung virtueller Verfahren?

Rausch: Bislang hatten wir nur positive Rückmeldungen, sowohl von asiatischen als auch von europäischen Teilnehmern. Corona-bedingt ist die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, derzeit sicherlich groß und ich erlebe hierzu bei allen Beteiligten eine große Offenheit.

Welche kuriose Situation oder Überraschung haben Sie bei der Durchführung virtueller Verfahren erlebt?

Rausch: Bei mehrstündigen Verfahren haben die Kandidaten natürlich immer ein hohes Interesse, eine störungsfreie Umgebung sicherzustellen. So hatten wir auch schon Kandidaten, die trotz Corona darum gebeten haben, das Verfahren bei uns im Office durchzuführen und das sind dann schon merkwürdige Situationen, wenn man dann Tür an Tür mit dem Kandidaten ein Audit durchführt, Corona-bedingt aber nicht gemeinsam an einem Tisch sitzen kann.

Inwiefern planen Sie, auch nach Corona auf die Durchführung virtueller Verfahren zurückzugreifen?

Rausch: Ich denke, dass wir alle auf absehbare Zeit unsere Reiseaktivitäten ins Ausland einschränken werden. Dahingegend bieten die virtuellen Verfahren eine optimale Möglichkeit, sie auch auf Kandidaten aus anderen Regionen der Welt anzuwenden. Die virtuelle Durchführung erlaubt es außerdem, bei zeitkritischen Rekrutierungen an unserer zeitlichen Planung festzuhalten. Wenn es um die Förderung von Talenten geht, würde ich allerdings, wie bereits ausgeführt, auf klassische Präsenzveranstaltungen setzen.

 

Das Interview führten Hans Ochmann und Dr. Dennis Kampschulte, Kienbaum Assessment Services.

Hans Ochmann | E-Mail: hans.ochmann@kienbaum.com | Tel.: +49 221 801 72-750
Dr. Dennis Kampschulte | E-Mail: dennis.kampschulte@kienbaum.com | Tel.: +49 211 96 59-383

Kienbaum Assessment Services unterstützt Unternehmen in der weltweiten Entwicklung, Implementierung und Durchführung von Assessment Lösungen; von Talent Development Programmen bis zur Besetzung von Vorstandsmandaten. Auch virtuell.

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