Wir streben nach Perfektionismus, aber Krisen erfordern eine andere Haltung

Wir streben nach Perfektionismus, aber Krisen erfordern eine andere Haltung

Sebastian Borek ist eines der bekanntesten Gesichter rund um das Thema Start-up. Er wandelt zwischen den Welten – gehört zum Mittelstand und zur Gründerszene. Mit Henning Böhne hat er ein Gespräch über erfolgreiche Kooperationen, Bürokratie-Hürden und die richtige Haltung zur richtigen Zeit geführt.

Was sind für Dich die Veränderungen, die COVID-19 gerade auch für Start-ups bzw. das Gründertum gebracht hat? Was sind die wesentlichen Impulse?

Sebastian Borek, Gründer Founders Foundation

Sebastian Borek – Gründer Founders Foundation

Die Pandemie hat alle Innovationsprozesse beschleunigt. Wir haben gelernt, dass Dinge, die wir vorher als unmöglich bezeichnet haben, doch gehen, weil sie gehen mussten. Corona hat deutlich zur Digitalisierung und Automatisierung der Wirtschaft und auch in allen anderen Bereichen beigetragen. Das hat sehr viel Unternehmertum und Kreativität gefördert. Ich weiß gar nicht, wie viele unzählige Hackathons es zum Thema COVID gegeben hat. Und es hat auch einigen Unternehmen ein gigantisches Wachstum beschert – auch im Start-up-Bereich. Die Unternehmen, die vorher gut aufgestellt waren und denen das gesamte Geschäft weggebrochen ist, haben erfahren, dass Investor:innen und Gesellschafter:innen auch in der Krise unterstützen. Das habe ich als sehr solidarisch empfunden, wie die gesamte Start-up-Szene zusammengerückt ist – aber auch die Unternehmer:innen.

Was hat Dich am stärksten positiv überrascht? Wobei hättest Du nicht damit gerechnet, dass es solch eine positive Entwicklung gibt?

Ich habe das Gefühl, das ganz Deutschland kollektiv in einen Start-up-Modus gewechselt ist. Es gibt ein paar Beispiele, die mich emotional fasziniert haben. Ich fand es großartig, wie Start-ups oder Unternehmer:innen versucht haben, strauchelnde Branchen mit klugen Ideen zu unterstützen. Ich erinnere mich an die ganzen Bestellmöglichkeiten bei Restaurants oder dass man eben doch im stationären Handel kaufen kann und das über das Internet schnell abwickelt.

Und die Kehrseite: Gibt es auch negativen Faktoren, die Du beobachtet hast, mit denen Du so nicht gerechnet hättest?

Jetzt muss ich kurz überlegen – ich bin tendenziell jemand, der nur die positiven Sachen abspeichert und nicht die negativen. In dieser Zeit wurde mir sehr stark bewusst, wie wir doch in unseren eigenen Strukturen gefangen sind, auch wenn die Ideen gut sind und der Weg klar ist. Wir verlieren aufgrund von Regularien stark an Geschwindigkeit. Wir haben teilweise Gesetze, die uns in unserem Handlungsspielraum stark einschränken.

Hast du ein Beispiel für uns?

Thema Datenschutz: Die Corona-Warn-App wurde bei uns für viel Geld entwickelt. Diese App funktionierte bei uns allerdings wegen des Themas Datenschutz nicht richtig. In anderen Ländern wie zum Beispiel Israel wurde eine ähnliche App mit viel weniger Geld entwickelt, dafür funktionierte sie, da sie nicht durch den Datenschutz limitiert wird.

Woran liegt das deiner Meinung nach?

Wir versuchen regelmäßig, alles richtig zu machen und streben nach Perfektionismus. Krisen erfordern eine andere Haltung: In diesen Zeiten muss man Entscheidungen treffen. Und Entscheidungen haben immer einen Preis. Viele Firmenlenker, aber auch Politiker waren sehr verunsichert. Denn es war klar, man musste schnelle Entscheidungen treffen und unternehmerische Verantwortung übernehmen.

Was sind konkrete Regelungen und Gesetze, die Innovationen ausbremsen?

Ich würde sagen: Schön wären grundsätzlich weniger Gesetze für Gründer:innen. Viele Gesetze braucht man, wenn man kein Vertrauen in die Gründer:innen hat. Ich glaube, immer wenn man einen Markt aufbaut, ist es wichtig, dass man diesen „Wilden Westen“ auch ein bisschen wild sein lässt, damit er überhaupt erst einmal in Gang kommt. Denn am Ende des Tages wollen Start-ups neue Technologien entwickeln, die uns als Gesellschaft nach vorne bringen. Meiner Meinung ist es besser, wenn man das etwas pragmatischer sieht und nicht zu sehr ins Gesetzbuch schaut.

Ich nehme an, da spielst du auch auf das Thema Datenschutz an?

Wir leben in einem großartigen Land mit vielen Vorteilen und wenn wir Dinge beim Datenschutz ein bisschen anders handhaben als in Indien, dann muss man sich halt etwas überlegen. Insgesamt glaube ich, dass wir gute Rahmenbedingungen besitzen. Wir haben zahlreiche Plattformen und Ökosysteme, wo Start-up-Gründer:innen wunderbar durchstarten können. Ich habe noch keinen Start-up-Unternehmer kennen gelernt, der sagte: „Ich konnte das nicht, weil in Deutschland die Gesetze so schwierig waren“ oder „Die Politik hat mir nicht geholfen“. Das sind für mich eher Entschuldigungen. Ich finde, Unternehmer sind deshalb Unternehmer, weil sie eigenständig handeln, clever sind und einen Weg finden.

Ist es eine falsche Darstellung, wenn es heißt: Wir sorgen in Deutschland dafür, Gründer:innen eher ins Ausland zu schicken, weil bei uns einige Dinge nicht so gut funktionieren? Oder hat das eher mit dem internationalen Geschäft zu tun?

Gründer:innen gehen immer dahin, wo sie sich den größten und schnellsten Erfolg versprechen. Das ist auf jeden Fall da, wo entsprechende IT-Fachkräfte sind, wo sie schneller und einfacher an Kapital kommen oder wo sie einen guten Marktzugang haben. Das sind wohl eher die wahren Gründe. Das alles hat sehr viel mit Ökosystemen zu tun. Ich finde, in Berlin haben wir tolle Ökosysteme, München entwickelt sich wahnsinnig, und auch in Köln geht das langsam weiter. Auch in Ostwestfalen haben wir eine großartige Plattform geschaffen. Unser Anliegen ist es eben, die Talente und die unternehmerische Kompetenz hier im Lande zu halten. Denn wir brauchen sie für die Zukunftsgestaltung.

Start-ups kooperieren immer häufiger mit etablierten Unternehmen. Wie erlebst du diese Zusammenarbeit?

Ich komme ja selbst aus einem familiengeführten Unternehmen aus dem Mittelstand und habe darüber hinaus Start-ups aufgebaut. Ich bin also in beiden Welten zu Hause und schätze beide sehr für das, was sie können und sind. Als wir hier in Ostwestfalen die Start-up-Szene weiter stärkten und förderten, war für uns noch nicht klar, wie etablierte familiengeführte Unternehmen uns jetzt wahrnehmen werden. Denn Start-ups polarisieren. Sie sind in der Regel mit Venture Capital finanziert. Viele scheitern, was nicht schlimm ist, denn das ist Teil der Idee, das man viel ausprobiert. Und einige schaffen es und bekommen dann Milliarden Bewertungen, was für viele Leute auch schwer nachzuvollziehen ist und auch stark polarisiert.

Aber trotzdem können sich Start-ups und Mittelständler ja unterstützen, oder?

Klar. Wir haben uns gesagt: Die Lösung für Deutschland ist es, den gemeinsamen Nenner zu finden. Wir haben einfach früh dafür gesorgt, dass Gründer:innen und Unternehmer:innen sich gegenseitig kennenlernen und haben so Vertrauen aufgebaut. Unternehmer:innen sind verantwortlich dafür, ihr Unternehmen in die Zukunft zu führen. Sie müssen sich mit Technologien und Marktherausforderungen auseinandersetzen; dabei ist es hilfreich, die Innovationskraft der Start-ups zu übernehmen. Start-ups sind da schneller und haben sicherlich früher die Technologien.

Was wäre ein Ratschlag von jemandem, der in beiden Welten zuhause ist?

Wenn beide Seiten Verständnis füreinander aufbringen und sich offen auf die Zusammenarbeit einlassen, dann entstehen fruchtbare und kraftvolle Beziehungen. Wir haben die Verpflichtung, uns mit den Themen auseinanderzusetzen, damit wir sie verstehen. Nur, wenn wir die Dinge richtig verstehen, können wir die richtigen Entscheidungen treffen. Wenn wir das nicht tun, werden wir abgehängt und sind dann nur noch reaktiv unterwegs. Deshalb ist es wichtig, sich mit jungen Leuten auseinanderzusetzen und von ihnen zu lernen. Das hat hier wunderbar funktioniert, aber in vielen Bereichen tut es das noch nicht. Ich denke, da besteht noch ein Bildungsauftrag an beide Seiten.

Was ist für eine gute Zusammenarbeit zwischen Start-ups und KMUs förderlich? Welche Dinge gilt es zu beachten?

Die Erwartungshaltung ist ein Knackpunkt. Man erwartet immer viel, kennt den Preis häufig nicht und ist dann auf dem Weg schlichtweg ein bisschen enttäuscht, wenn nicht alles funktioniert. Die Frage ist ja: Wie entwickle ich mein Unternehmen vor dem Hintergrund dieser ganzen Herausforderungen? Alle wollen mit möglichst wenigen Mitteln den maximalen Erfolg. Und wenn der sich nicht einstellt, ist man sehr schnell geneigt, sich wieder aufs Kerngeschäft zu fokussieren. Daher ist es wichtig, dass man, wenn man mit Start-ups kooperiert oder sich das Thema Transformation grundsätzlich anschaut, die Erwartungen auch innerhalb des Unternehmens definiert.

Aber ist dieses langfristige Denken nicht gerade das, was Mittelständler börsennotierten Konzernen oft voraushaben?

Eine richtige Transformation kostet Geld. Insbesondere Familienunternehmen, wenn sie in Generationen denken, haben die Möglichkeit, zu sagen: „Ich habe ein Geschäftsmodell. Ob es dieses Jahr oder in 15 Jahren passiert oder irgendwann – es wird digitalisiert und dann fällt es weg. Und weil ich das weiß, baue ich etwas Neues auf. Ich bin quasi der Unternehmer in meinem eigenen Unternehmen. Ich baue einen neuen Geschäftsbereich auf, von dem ich selbst wahrscheinlich nie etwas haben werde, aber vielleicht meine Kinder oder meine Nachfolger:innen. So entsteht eine große Chance für Familienunternehmen, die in Generationen denken. Dort hat man auch einen anderen Erwartungshorizont, der eben nicht der kurzfristige Return-On-Invest ist.

Hat sich die Offenheit des Mittelstands zu einer Kooperation mit Start-ups in den letzten drei oder fünf Jahren nach deinem Empfinden verändert?

Ja, das kann man wirklich sagen. In dieser Hinsicht befinden wir uns in einer kleinen Blase, weil wir einfach mit den Unternehmen arbeiten, die Lust haben, mit uns auf diese Reise zu gehen. Mit denen kooperieren wir sehr erfolgreich und sind schon viele kleine Schritte mit ihnen gegangen. Und manchmal machen wir auch größere Schritte. Im Endeffekt sind das hier bei uns in der Region 16 oder 17 Unternehmen – in Relation zu Gesamt-Deutschland also nur eine kleine Pfütze. Aber ich glaube, wir müssen Wege finden, wie wir ganz Deutschland bewegen. Den klassischen Mittelstand, der 100 Mitarbeiter hat.

Welche Art von Mut bräuchte es, um die Richtung, die du gerade skizziert hast, stärker zu verfolgen oder den Weg dorthin vielleicht schon früher einzuschlagen?

Meine Beobachtung ist es, dass wir gesellschaftlich immer wieder versuchen, Risiken zu vermeiden. Da hat sich eine gewisse Kultur entwickelt. Das, was wir heute mutig nennen, war früher in den Aufbaujahren der Unternehmer:innen daily business. Mutig zu sein, bedeutet also, den Mut zu haben zu dem Bekenntnis, dass wir in vielen Dingen ein Stück weit ratlos sind. Mut zu haben, Dinge, die immer so waren, infrage zu stellen. Und Mut zu haben, sich zu outen, nach dem Motto: „Ganz ehrlich, ich weiß nicht, was Künstliche Intelligenz ist.“ Mut zu sagen: „Ich verstehe das nicht“, „Ich möchte etwas darüber lernen“. Und das auch als Führungskraft. Führung bedeutet auch, seinen Mitarbeiter:innen zu sagen: „Ich weiß es nicht und habe keine Ahnung, wo wir morgen oder übermorgen sind. Ich benötige eure Unterstützung, damit wir das schaffen.“

Hast du ein konkretes Beispiel für uns?

Als wir unser Projekt aufgebaut haben, haben wir ganz unterschiedliche Architekturbüros für unser Office angefragt; die klassischen, besten, etabliertesten, mit denen alle schon gearbeitet haben. Diese repräsentierten aber nicht das, was wir gesucht hatten. Und dann haben wir jemanden gefunden, der einen Coffee-Shop besitzt und ihn selbst eingerichtet hatte – und wir haben gesehen: Der hat richtig Talent! Es hat Mut erfordert, diesem Mann einen Auftrag zu geben, als große Organisation, die wir sind. Es ist wichtig, auch mal das Risiko auf sich zu nehmen, dass man eben nicht den besten Steuerberater, die beste Agentur, die beste Unternehmensberatung engagiert – sondern eben den oder die talentierteste. Wir haben innovative Kräfte in Deutschland. Und die sind nur nicht im Establishment; man muss sie manchmal nur ein bisschen suchen. Und diesen Mut wünsche ich jedem.

Vielen Dank, Sebastian, für das Gespräch!

  Haben Sie Fragen? Sprechen Sie uns an! Henning Böhne | E-Mail: Henning.Boehne@kienbaum.de | Tel.: +49 89 45 87 78 22  

Erfahren Sie mehr über das Thema Mut in unserer Veranstaltungsreihe Brave New Work:

Brave New Work 16. September 2021