„Wir werden das New Normal schon bald als die gute alte Zeit erinnern“

„Wir werden das New Normal schon bald als die gute alte Zeit erinnern“

Andreas Gimmer hat fast 30 Jahre Führungserfahrung in der schnelllebigen Elektronikbranche. Unter VUCA-Bedingungen Entscheidungen zu treffen, ist nicht neu für den Co-CEO der Leiterplattensparte von Würth Elektronik. Wohl aber die Geschwindigkeit, mit der sich Veränderung vollzieht. Wie er damit umgeht, verrät er im Interview.

Wie lautet Ihr Führungsverständnis auf den Punkt gebracht?
In der modernen Arbeitswelt ist fast jede Leistung eine Teamleistung. Also bedeutet Führung, den Einzelnen dazu zu ermutigen, seine Stärken einzubringen und die Zusammenarbeit der Teams zu fördern. Wer führen will, muss die Initiative ergreifen, weil das Vorbild die einzige nachhaltige Form der Motivation ist. Neben der Förderung ist das Einfordern von Ergebnissen und Leistungen der zweite wesentliche, manchmal auch unbequeme Teil der Führung.

Wie wurden Sie über die Jahre zu der Führungskraft, die Sie heute sind. Gibt es Menschen oder Dinge, die Sie auf Ihrem Weg zur Führungskraft beeinflusst oder geprägt haben?
Ich bin seit vielen Jahren in der gleichen Branche beschäftigt, mit nur drei Arbeitgebern und zwei Arbeitsstellen. Das können Sie langweilig nennen. Dabei habe ich mich jedoch nicht einen Tag gelangweilt. Die Elektronik entwickelt sich rasend schnell weiter. Sie ist der Motor des Fortschritts, und Leiterplatten sind echte Hidden Champions. Man sieht sie nicht, aber ohne sie läuft in der Technik absolut nichts. Hier durfte ich in den vergangenen drei Jahrzehnten ein bisschen was mitgestalten. Immer im Spannungsfeld zwischen Technik, Organisation und Führung. Dabei hatte ich in jeder Position Vorgesetzte, die mich unterstützt haben, und Mitarbeitende, die mir Wohlwollen und Vertrauen entgegengebracht haben. Dafür bin ich sehr dankbar. Das gilt im besonderen Maße für meine Vorgesetzten bei Würth Elektronik, Jörg Murawski und Jürgen Klohe, die meine berufliche Entwicklung bei Würth Elektronik ermöglicht haben.

Andreas Gimmer, Co-CEO, Würth Elektronik

Was macht Ihren Erfolg als Führungskraft aus? Was sind Ihre USPs als Führungskraft?
Zunächst einmal eine große Beharrlichkeit und Gründlichkeit. Es ist einfach besser, Dinge einmal richtig zu tun, als mehrmals damit anzufangen. Deshalb bin ich auch auf Lösungen und nicht auf Probleme fokussiert. Dabei ist es oft nützlich, Pläne und Entwicklungen vom Ende her zu denken, um den richtigen Weg zum Ziel zu finden. Zudem neige ich dazu, Ansichten und Überzeugungen in Frage zu stellen, um neue Perspektiven zu erschließen. Denn nur so wird es möglich, andere Standpunkte zu verstehen. Das hilft mir insbesondere bei Verhandlungen und bei der Lösung von Konflikten. Ich scheue auch nie die Kombination von Bewährtem und Modernem, wenn sich daraus ein Nutzen ergibt. Und ich empfinde es als Freiheit, mich selbst nicht ganz so wichtig zu nehmen.

Wie darf man sich das vorstellen, die Kombination aus Bewährtem und Modernem? Können Sie uns dafür ein Beispiel nennen?
Natürlich habe ich ein Smartphone zum Chatten, zum Fotografieren und als Navi beim Wandern. Aber zum Telefonieren nutze ich ein 15 Jahre altes Nokia-Handy, weil es dafür viel handlicher und praktischer ist.

Wie wirkt sich Führung in der VUCA-Welt auf Ihren eigenen Führungsstil aus?
Führung in der VUCA-Welt bedeutet, wichtige Entscheidungen mit unvollständigen Informationen zu treffen, oft auch mit begrenzten Ressourcen und unter Zeitdruck. Diese Konstellation ist nicht neu, tritt aber immer häufiger auf. Es ist wichtig, sich von schnellen, oft gegenläufigen Entwicklungen nicht abhalten zu lassen, überhaupt Entscheidungen zu treffen und diese durchzuhalten. Die Fähigkeit Prioritäten zu setzen, schützt dabei vor Aktionismus und Passivität gleichermaßen.

Was macht Sie zum Change Maker und wie gelingt Ihnen Transformation?
In meinem Verständnis ist eine Führungskraft kein Change Maker, sondern ein Change Enabler. Die Veränderung selbst vollzieht immer das Team oder die Organisation. Andernfalls findet sie nicht statt. Die Aufgabe der Führungskraft ist es, hierfür geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen und den Veränderungsprozess zu begleiten. Da Veränderung immer mit Unsicherheit verbunden ist, ist es wichtig, den Beteiligten berufliche und persönliche Sicherheit zu geben. Safety Management wird hier gerade als wichtiger Aspekt von moderner Führung erkannt.

CTA Executive Search Making The Difference Interview Serie

Wie würden Sie den Purpose Ihrer Organisation beschreiben? Ist dieser allen Mitarbeitenden klar und wie wird dieser operationalisiert?
Das Ziel eines Wirtschaftsunternehmens ist die Schaffung von Mehrwert oder, kaufmännisch gesprochen, die Erzielung von Gewinn. Das ist nur möglich, wenn Kunden für die Produkte und Leistungen des Unternehmens gewonnen werden können. Deshalb ist Purpose immer zuerst Kundennutzen und daraus resultierend der Nutzen für die Mitarbeitenden und das Unternehmen selbst. Kundenorientierung liegt dabei in einem so vertriebsstarken Unternehmen wie der Würth-Gruppe quasi in der DNA und wird so auch im Geschäftsalltag gelebt. Und auch wenn dies vor dem Hintergrund des globalen Ressourcenverbrauchs jetzt immer stärker in den Fokus rückt, gilt schon immer, dass wirklicher Nutzen nachhaltig sein muss. Dieser Aspekt des unternehmerischen Handelns wird inzwischen auch bei Würth Elektronik anhand ökonomischer, ökologischer und sozialer Kennzahlen operationalisiert.

Welche Haltung und welche Skills benötigen Sie, um Wachstum für sich persönlich und Ihre Organisation in Zukunft zu ermöglichen? Wie sieht Ihr Konzept für Führung im New Normal aus?
In der Corona-Zeit haben mir meine Familie und ein gutes soziales Netzwerk sehr dabei geholfen, in schwierigen Situationen richtige Entscheidungen zu treffen. Gelassenheit, Vertrauen und Selbstvertrauen sind im persönlichen und beruflichen Umfeld von großer Bedeutung. Die Erfahrung zeigt im Übrigen, dass wir das sogenannte New Normal in einigen Jahren sicher als die gute alte Zeit erinnern werden. Deshalb glaube ich, dass sich die Grundsätze für gute und richtige Führung heute nicht wesentlich von denen unterscheiden, die bisher gegolten haben. Dabei verändern sich derzeit Kommunikationsformen und soziale Standards allerdings mit einer immensen Geschwindigkeit. Die Gesellschaft wird vielschichtiger, individueller und digitaler. So ist es die Aufgabe der Führungskraft, derartige Entwicklungen zu antizipieren und im Interesse einer wirksamen Führung zu nutzen.

Welche drei Personen würden Sie mit auf eine einsame Insel nehmen, um nach Ihrer Rückkehr eine noch bessere Führungskraft zu werden?
Die Frage kann ich ohne Nachdenken beantworten: Meine Frau und meine beiden erwachsenen Kinder. Sie sind die Menschen, die mich am besten kennen und mir meine Entwicklung zu jeder Zeit direkt widerspiegeln.

Über den Gesprächspartner:

Andreas Gimmer (58) ist Diplomingenieur für Elektrotechnik und seit über 25 Jahren in der Leiterplattenbranche tätig. Seit 2003 ist er bei Würth Elektronik beschäftigt. Hier ist er Mitglied der Geschäftsführung der Würth Elektronik Circuit Board Technology, der Leiterplattensparte der Würth-Gruppe. Seine Kernkompetenz liegt in der technischen Unternehmensführung mit Fokus auf der Weiterentwicklung von Produktions- und Geschäftsprozessen, der Digitalisierung und dem Innovationsmanagement. Gimmer ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder.