„Führung muss in Krisen Orientierung geben und kommunizieren“

„Führung muss in Krisen Orientierung geben und kommunizieren“

Die Energiebranche durchfährt derzeit die rauen Gewässer des „Transformations-Overkills“. Wenn die Wellen der aufgewühlten See das Schiff erzittern lassen, schlägt die Stunde des Kapitäns. Hans-Martin Hellebrand von der badenova Gruppe spricht im Interview über die notwendigen Fähigkeiten der Crew auf der Brücke und was es braucht, damit Menschen bei ihm anheuern.

 

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Die Energiebranche ist seit Beginn des Ukrainekrieges in Aufruhr. Wie viel Mut erfordert es heute, Vorstand einer der größten regionalen Energieversorger in Deutschland zu sein?

In der Tat muss man heute als Vorstand eines Energieversorgers vor allem mutig und entschlossen handeln. Die deutsche Energiewirtschaft befindet sich in der Krise. Krise bedeutet, dass das Umfeld unsicher wird, dass viele Entscheidungen sehr volatil und sehr kurzfristig getroffen werden müssen. Das verlangt Vorständen viel ab.

Ich persönlich habe gerade zu Beginn dieses Konfliktes viele Menschen unsicher und ratlos, mit bleichem Gesicht erlebt. Was hat das mit dir gemacht?

Zurückblickend kann ich sagen, ich bin einmal durch die Kübler-Ross Change Curve gegangen. Auch ich hatte am Anfang ein bleiches Gesicht, als diese neue Realität vor uns aufklappte. Plötzlich taten sich Fragen auf, die seit 20 Jahren kein Thema waren: Wie gewährleisten wir die Versorgungssicherheit? Wen schalten wir als Erstes ab, wenn die Energie knapp wird? Am Anfang war auch ich überwältigt. Ich bin dann aber zu dem Punkt gekommen, dem Team und den Mitarbeitenden zu sagen, jetzt packen wir es an, lasst uns mutige Entscheidungen treffen, auch wenn wir nicht alle Informationen haben. Wir stehen das durch! Man kann aus dieser Krise gestärkt herauskommen, indem man für sich entdeckt, dass die Zukunft etwas ist, was wir jeden Tag neu gestalten können.

Besonders in Krisenzeiten ist es wichtig, Mitarbeitende zu informieren und abzuholen. Und das innerhalb kürzester Zeit. Wie habt ihr euch dafür organisiert?

Das Gute daran – wenn ich das so bezeichnen darf – war, dass wir gerade erst aus einer Krise kamen, nämlich der Corona-Pandemie. Da hatten wir das eine oder andere Rüstzeug schon im Rucksack. Etwa der Krisenstab, in dem einmal in der Woche alle Führungskräfte zusammenkommen, um die Lage zu sondieren, daraus Schlüsse zu ziehen und die nächsten Schritte einzuleiten. Das Konzept haben wir nahtlos von der einen in die nächste Krise überführt. Diese kurzen Abstimmungszyklen waren sehr hilfreich. Nicht nur bei der Frage, welche Aktionen jetzt nötig sind, sondern auch, wie wir kommunizieren und wie wir sicherstellen, dass alle bei der badenova und alle Stakeholder wissen, was wir unternehmen wollen.

Energiewirtschaft war über viele Jahre eine stabile, ja starre Branche: Eher monopolistisch aufgebaut, wenig kunden- und serviceorientiert, kaum Veränderungsdruck. Mit der Liberalisierung des Energiemarktes vor rund 25 Jahren hat sich für die Unternehmen quasi von heute auf morgen die Welt verändert. Wie gut ist es der Energiebranche gelungen, sich auf das neue Marktumfeld einzustellen?

Die Einleitung deiner Frage ist keine Übertreibung. Vor der Deregulierung gab es jahrzehntelang eine Stabilität dieses Geschäftsmodells. Das formt Kulturen, Haltungen und Arbeitsweisen. Diese zu überkommen, schafft man nicht in kürzester Zeit. Wir sind gut gestartet und auf einem guten Weg. Soll heißen, natürlich haben wir die Deregulierung zum Anlass genommen, um uns neu zu erfinden. In den ersten Jahren allerdings noch in gemäßigtem Tempo. Spätestens in den vergangenen fünf Jahren kam ein spannendes Element hinzu, das die Reise beschleunigt hat: Plötzlich stand nicht mehr nur die Transformation Richtung Marktwirtschaft im Vordergrund, sondern die Klimakrise. Es wurde klar, dass die Energieversorger die Zukunft der Menschheit mitgestalten, um es pathetisch zu sagen. Spätestens diese Phase hat der ganzen Industrie bewusst gemacht, sich schneller zu wandeln, um dieser Aufgabe gerecht zu werden. Wir haben aber noch Wegstrecke vor uns. Es wird darauf ankommen, von anderen Industrien zu lernen und Abkürzungen zu entdecken, damit wir das Rad nicht neu erfinden müssen. Etwa bewährte Führungsmodelle, die wir für uns adaptieren.

Es gibt eine Anzahl von Megatrends, die auch die Energiewirtschaft erfasst haben: Digitalisierung, technologischer Wandel, damit einhergehend kultureller Wandel, moderne Arbeitsformen, Nachhaltigkeit, ESG. Dazu spezielle Aspekte wie Energiekrise, Inflation und Ukrainekrieg. Man kann schon von einem Transformations-Overkill sprechen. Wie wird man als Vorstand Herr über all diese Komplexität?

Ich mag dein Bild, Transformations-Overkill trifft es. Als Vorstand hat man die Aufgabe, in diesen Zeiten der Multikrisen Orientierung zu geben: Wofür transformieren wir uns? Wer möchten wir sein und warum ist es wichtig, dass wir uns verändern? Das alles muss man der Mannschaft vermitteln. Damit das Schiff und seine Crew in stürmischer See Kurs halten. Darin steckt viel Arbeit in Richtung Purpose und Zielbild. Zweite Aufgabe ist zu sagen, wie das umgesetzt werden soll. In meiner Wahrnehmung ist Transformation manchmal ein Selbstzweck: Man transformiert sich, um sich zu transformieren. Ich finde es aber entscheidend, hier bewusst die Maßnahmen zu benennen und zu sagen, wo im Unternehmen sie stattfinden sollen. Da geht es um Aspekte wie verteilte Verantwortung, crossfunktionale Teams, Außenorientierung, Schnelligkeit bei der Umsetzung.

Transformation bedeutet spannende Chancen und neue Perspektiven, aber auch Herausforderungen. Wir wissen, dass nicht alle in einem Unternehmen dem gegenüber aufgeschlossen sind und Angst haben. Hast du ähnliche Erfahrungen gemacht und wie gehst du damit um?

Es wäre verwunderlich, wenn ich diese Erfahrung nicht gemacht hätte. Das Wichtigste bei Ängsten gegenüber Veränderung ist, sie nicht kleinzureden, sondern ernst zu nehmen. Ich hatte die Kübler-Ross Change Curve erwähnt. Die sollten Führungskräfte kennen. Sie müssen wissen, dass Angst und Sorge natürliche Bestandteile von Veränderung sind. Dann kommen wieder Kommunikation und Orientierung ins Spiel: Was bedeutet es für den Einzelnen, wenn wir diese Veränderungen durchmachen? Was kann passieren, wenn wir uns nicht transformieren? Ich habe die Führungserfahrung gemacht, dass Leute dann mitgehen, wenn man Wege gemeinsam gestaltet. Etwa, dass man Mitarbeitende anders entwickelt, in andere Funktionen ausbildet. Dann fühlen die Menschen, dass auch sie Teil dieser Reise sind. Das ist ein wichtiges Element von Transformation. Ansonsten werden Ängste immer stärker und lähmen, bis man nicht mehr gegensteuern kann.

Die Chancen zu betonen, fällt in eurem Falle leicht. Du hast es gesagt: Wo kann man die Zukunft mehr mitgestalten, als in einem energiewirtschaftlichen Unternehmen…

Da haben wir einen riesigen Vorteil, vor allem um Fachkräfte für uns zu begeistern. Denn dieser Purpose ist ein Pfund in der Kommunikation nach außen.

Wie habt ihr euren Purpose entwickelt?

Wir als badenova haben das Zielbild definiert, dass wir für eine lebenswerte Zukunft die Energie- und Wärmewende gestalten. Diesen Purpose hat nicht das Management-Team vorgegeben. Wir haben ihn mit Kolleginnen und Kollegen aus allen Bereichen über die gesamte Organisation hinweg erarbeitet. Was für mich der wichtige Punkt dabei ist: Der Purpose ist nicht ein Claim an der Wand, sondern wird spürbar. Jeder, der mit der badenova Kontakt hat, soll merken, dass wir diesen Wandel mitgestalten wollen. Und wir sehen, dass unsere Menschen das ausstrahlen und leben.

Wie habt ihr den Purpose in eure Talent Acquisition-Strategie eingearbeitet?

Wir weisen bewusst in der Ansprache drauf hin, dass wir keine Daseinsvorsorge betreiben oder einfach nur ein Energieversorger sind. Sondern dass wir antreten, die Energiefragen unserer Zeit positiv zu beantworten. Dass wir an etwas Großem arbeiten. Allein die Ansprache und das Commitment der Leute, die sie vortragen, führen dazu, dass viele Talente eine sinnstiftende Tätigkeit bei uns erkennen und sich eingeladen fühlen, mitzumachen.

Der Fachkräftemarkt ist heiß umkämpft, umso wichtiger wird die Bindung der Stammbelegschaft. Jeder, der geht, tut weh. Habt ihr analysiert, warum Menschen die badenova verlassen?

Es ist eine wichtige Aufgabe von HR, beim Off-Boarding genau hinzuschauen und Lehren zu ziehen. Wenn Menschen die badenova verlassen, dann meist aus zwei Gründen: Entweder durch Hin-zu-Motivation, also indem sie draußen etwa sehen, das ihnen mehr zusagt, als die Arbeit bei uns. Etwa aus persönlichen Beweggründen wie den Wechsel des Lebensmittelpunktes. So etwas ist nachvollziehbar und für uns okay. Das zweite ist allerdings die Weg-von-Motivation. Menschen gehen, weil sie bei uns nicht das vorgefunden haben, was sie sich erhofft hatten. An dieser Stelle hinzuhören, ist eine ganz wichtige Zutat, um den HR-Prozess fortzuschreiben, aber auch Prozesse im Unternehmen zu verbessern. Sollte hier etwa die Rückmeldung kommen, dass bestimmte Rahmenbedingungen nicht passen oder Strukturen nicht das einhalten, was man versprochen hat, muss man nachschärfen.

Du hast ein breites Spektrum von Unternehmensformen kennengelernt, vom Start-up bis zum Konzern. Wie ist deine Beobachtung: Wann ist es Führungskräften in besonderer Weise gelungen, wichtige Talente zu gewinnen? Welche Eigenschaften machten sie zu Talentmagneten?

Immer wenn ich erlebt habe, dass Talente sich wie magnetisch angezogen fühlten, war es eine Mischung aus einem Sinn und Führungskräften, die den Purpose und die Begeisterung für das, was sie tun, mit Haut und Haaren ausstrahlen. Man sagt nicht umsonst: Ein guter Purpose zeichnet sich nicht nur durch Klarheit und Orientierung aus, sondern er muss Energie in Menschen wecken. Da sind es die Führungskräfte, die diese Aura haben müssen, um Teams und Talente anzuziehen.

Umgekehrt: Worauf achtest du, wenn du als Hiring Manager mit Kandidatinnen und Kandidaten sprichst?

Ich möchte ein echtes Bild von der Person bekommen. Passen ihre Werte und Grundeinstellungen zum Unternehmen? Teilt jemand unsere Vision und trägt dazu bei? Ich gehe nach dem Motto „We hire for attitude und we train for skills“. Wenn jemand ins Team passt, ist alles andere erlernbar.

CTA Executive Search Making The Difference Interview SerieNehmen wir an, eine gute Freundin oder ein guter Freund von dir wechselt bald in eine neue verantwortliche Position. Welche Tipps würdest du ihr oder ihm auf den Weg mitgeben für die ersten 100 Tage?

Erster Tipp: Sei dir bewusst, dass alles wirkt. Bei allem, was du tust, wie du sprichst, wie du fragst, sendest du das, wofür du einstehst. Zweiter Tipp, aus der eigenen Erfahrung: Höre hin und verstehe. Unterdrücke am Anfang den Impuls, selbst in Aktion zu treten. Man will gestalten und einen Fußabdruck hinterlassen, aber zuerst sollte man die Menschen selbst sprechen lassen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie die Organisation tickt. Dritter Tipp: Sei nahbar und auf Augenhöhe der Menschen. Denn Unternehmen sind Menschen, die zusammenkommen und gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiten. Oft ist man als Führungskraft in exponierter Position sehr weit weg und sehr alleine – außer man löst diese Situation selbst proaktiv auf. Und, wenn du gestattest, als Viertes natürlich: Viel Glück und viel Erfolg!

Was sind die drei wichtigsten Fähigkeiten, die eine Führungskraft braucht, um eine Organisation erfolgreich in die Zukunft führen zu können?

Zunächst einmal die Eigenschaft, das turbulente Umfeld gut zu strukturieren. Man muss das Wesentliche erkennen, um selbst Klarheit zu bekommen. Zweitens, Kommunikation: Damit meine ich nicht, dass alle extrovertiert sein müssen. Aber Führungskräfte sollten in der Lage sein, zu erzählen und zu sagen, wohin die Reise geht und warum – und das lieber drei Mal zu oft als einmal zu wenig. Das macht den Unterschied in dieser extrem volatilen Welt. Die dritte Eigenschaft ist, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen und stets den Menschen im Blick zu behalten. Denn die sind es, die die Zukunft gestalten.

 

Über den Gesprächspartner:

Hans-Martin Hellebrand, Jahrgang 1980, ist einer von zwei Vorständen der badenova Gruppe mit Sitz in Freiburg – einem der größten regionalen Energieversorgungsunternehmen in Deutschlands. Dort verantwortet er den gesamten Vertrieb, die Prozess- und IT-Servicefunktionen sowie die Zentralbereiche Finanzen, Personal und Strategie. Weitere Schwerpunkte sind die Themen Digitalisierung und Innovation. Hellebrand blickt auf über 20 Jahre Managementerfahrung im Energiesektor zurück, unter anderem bei RWE und als Geschäftsführer bei der E.ON-Tochter eprimo. Für den innogy-Konzern baute der Diplom-Kaufmann das Innovationscenter im Silicon Valley auf und leitete dort verschiedene Digitalisierungsprojekte, Start-up-Investments sowie als Geschäftsführer eine Start-up-Ausgründung im Bereich Datenmanagement. Hellebrand ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

 

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Jörg Breiski | E-Mail: joerg.breiski@kienbaum.de | Tel.: +49 89 45 87 78-66

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