„Man muss Menschen mögen“

„Man muss Menschen mögen“

Christina Sontheim-Leven ist die erste Frau im Vorstand der CEWE-Gruppe und dort zuständig für die Zukunftsthemen Personal- und Organisationsentwicklung. Eine Aufgabe, bei der Nachhaltigkeit, Empathie und Zugewandtheit in der Führung essentiell sind. Wer dann auch mal lacht, den wirft so schnell nichts mehr aus der Bahn, erläutert die CHRO im Interview.

Wie lautet Ihr Führungsverständnis auf den Punkt gebracht und welche Rolle spielt Nachhaltigkeit dabei?

Sontheim-Leven: Moderne Führung hat für mich viele Parallelen zu den Abenteuern des Elternsein. Als Mutter bin ich auf der einen Seite Kapitänin auf dem Familienboot. Ich muss aber gleichzeitig immer Cheerleaderin sein, die die Kinder ermutigt, Spielplätze des Wachstums zu erkunden. Zugleich muss ich jeden Tag mit den Überraschungen des Lebens umgehen. Ich muss flexibel sein und resilient. Und ich muss natürlich gleichzeitig – bei aller Behutsamkeit, mit der man seine Kinder umgeben möchte – auch lernen loszulassen und sie dabei unterstützen, ihre Flügel auszubreiten.

Schaue ich jetzt aus dem Privaten ins Berufliche, finde ich das dort wieder: Mein Führungsverständnis ist, Sicherheit in Veränderung zu geben, aber gleichzeitig zu ermutigen, den nächsten Sprung zu wagen und zu wachsen. Fordern, aber nicht überfordern. Ich fordere, wie bei meinen Kindern, Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit im Denken und im eigenen Handeln. Und das alles mit einer sehr klaren Sprache und einer großen Authentizität. Mein Team darf darauf vertrauen: What you see is what you get. Als Führungskraft muss man berechenbar sein. Außerdem ist mein Anspruch, für alle eine Umgebung zu schaffen, in der jeder und jede seine und ihre Einzigartigkeit entfalten kann.

Und wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen, bedeutet das auch, über das Heute hinaus zu denken. Das spielen diese Fragen eine Rolle: Welchen Einfluss haben mein Handeln und meine Entscheidung heute auf das Morgen? Auf das Morgen meiner Kinder, auf das Morgen der Mitarbeitenden, auf das des Unternehmens? Außerdem sollten wir im Privaten wie auch als Führungspersönlichkeit nicht vergessen: Die kostbarsten Momente sind oft die, in denen wir gemeinsam miteinander lachen. Diese Momente geben uns die Leichtigkeit, nicht nur durchs Leben zu gehen, sondern auch lange durchzuhalten. Ich kann das auf einen Satz verdichten: Man muss Menschen mögen. Das sind meine vier M.

 

Christina Sontheim Leven, CHRO, Cewe

 

Wie wurden Sie, wer Sie sind als Führungskraft? Was oder wer hat Sie geprägt?
Ich komme aus einer Großfamilie mit vielen Geschwistern und musste schon früh Verantwortung übernehmen. Ich war auch schon früh neugierig und lernbereit und bin es noch heute. Daher kommt es auch, dass ich bei den Mitarbeitenden die Freude am Neuen und am Lernen wecken und verstärken möchte. Ich wünsche mir so oft, dass ich auf die Frage, wer mein besonders guter Mentor gewesen ist, eine tolle Antwort geben kann ist. Tatsache ist: Ich habe eher ganz viele Beispiele erlebt, die mir gezeigt haben, wie ich NICHT als Chefin sein möchte. Das musste ich auf dem Weg lernen.

In meinem ganz persönlichen Fall hat mich natürlich als Führungskraft auch geprägt, dass ich schon in ganz vielen unterschiedlichen Umfeldern wirksam war. Führen im Großkonzern ist eben etwas ganz anderes als Führen in einem Familienunternehmen. Führen in der Expansion ist noch mal etwas anderes als in der harten Sanierung. Als Führungspersönlichkeit die unterschiedlichen Stile zur richtigen Zeit anwenden zu können, das trainiert man ehrlicherweise am besten „on the job“.

Was ist Ihr USP als Führungskraft?
Ich habe den festen Glauben, dass in jedem Menschen was Gutes und was Einzigartiges steckt. Und dass jeder und jede etwas ganz Wertvolles mitbringt, und das gilt es herauszustellen. Ich bin quasi eine unverbesserliche Optimistin und Menschenfreundin. Wichtig ist dabei, dass es kein Optimismus ist, der sich auf Naivität begründet, sondern eher auf einer sehr bewussten Entscheidung: Erstens, man muss Menschen mögen, aber auch zweitens in Herausforderungen Chancen zu sehen. Nicht die unüberwindbare Barriere, sondern eher eine Gelegenheit neues Wissen anzuwenden, kreative Lösungen zu suchen, mit Optimismus basierend auf einem klaren Blick für die Realität, gepaart mit dem festen Glauben daran, dass wir auch in schwierigen Zeiten es selbst in der Hand haben, positive Veränderungen herbeizuführen. „Never give up“ als Motto würde auch gut passen.

Wie sieht Ihr Rezept für Führung im New Normal aus?
Ich möchte erst einmal betonen, dass viele, die über das New Normal reden, nur auf einen bestimmten Teil der Belegschaft schauen. Viele machen das an Mobile Work und ähnlichem fest. Aber die Bedeutung ist für viele eben durchaus unterschiedlich. Wir haben eine große Anzahl an Mitarbeitenden, die in Produktionsbetrieben arbeiten. Wenn wir also New Normal denken und leben wollen, dann sollten wir das bitte für alle tun. New Normal ist, wenn man breiter denkt, die richtige und die ausgewogene Mischung aus Werten, aus Flexibilität.

Ganz oben auf der Liste steht für mich, dass die Kraft der Zusammenarbeit das ist, was uns voranbringt. Gerade wo alles so unsicher ist, wo wir Wandel haben, da ist es für mich enorm entscheidend, dass Teams eng zusammenarbeiten, dass sie aber auch die Unterstützung voneinander spüren und das Gefühl haben, dass sie sich gemeinsam den Herausforderungen stellen. Gute Ideen entstehen oft dort, wo Menschen auf Menschen in realen Räumen treffen. Wo Kreativität auch mal völlig ungeplant den Weg zu einer neuen Lösung bahnt.

Gleichzeitig dürfen wir die Vorteile des hybriden Arbeitens nicht aufgeben. Das ist gerade für Eltern wichtig. Da sind wir dann auch schnell bei einem wichtigen Baustein zur Förderung von Diversity: Flexibilität in der Arbeitsgestaltung ermöglicht es den Mitarbeitenden auf der einen Seite ihre beste Leistung zu erbringen und gleichzeitig aber auch als Eltern oder Pflegende zu einem halbwegs gesunden Work-Life-Modell zu kommen und am Ende des Tages auch zufriedener und produktiver zu sein. Das heißt, unsere Aufgabe als Unternehmen ist es, einen Raum zu schaffen, der sowohl die Bedürfnisse des Einzelnen, aber auch die des Unternehmens gleichermaßen berücksichtigt. Die Schlüsselrolle, und so machen wir es bei CEWE, spielen dabei die Führungskräfte. Sie gehen offen und transparent damit um und bauen eine Kultur von Respekt und Vertrauen auf.

CEWE steht für eine werteorientierte, nachhaltig ausgerichtete Führung. Wie kann dieses Ziel in wirtschaftlich unsicheren Zeiten realisiert werden?
Wir können derzeit nicht klagen. Die Menschen lieben individualisierte Fotoprodukte, mit denen sie ihr Zuhause schmücken oder sich zu Weihnachten beschenken. Aber auch CEWE hat durchaus herausfordernde Zeiten erlebt, und wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Deswegen denken wir in Dekaden. Uns geht langfristiges Wachstum vor kurzfristigen, schnellen Profiten. Und ich glaube, eine wertorientierte und damit aus meiner Sicht auch nachhaltige Führung hilft, für schwierige Zeiten vorzubauen. Wir machen zum Beispiel gerade ein großes Kulturprojekt, das nennt sich „The WE in CEWE“, wo wir gemeinsam gruppenweite Leitlinien für gutes Miteinander und gute Führung erarbeiten. Warum? Weil das die gemeinsame Basis für all das sein wird, was wir leisten müssen, wenn es dann doch mal ruckeliger wird. Weil es uns helfen wird ein starkes Fundament und Sicherheit zu geben, wenn Stress, wenn Existenzsorgen kommen, wenn es schnell gehen muss, wenn wir ein Gefühl von Zusammengehörigkeit brauchen, damit keiner alleine ist, sondern alle spüren, wir bleiben auch dann unseren Werten treu.

Wie wirkt sich der Wandel zu mehr nachhaltigem Wirtschaften auf Ihre Arbeit aus?
Zum einen in der Teamzusammensetzung: Mein partizipativer Führungsstil setzt bewusst darauf, Teams divers zusammenzusetzen. Das ist aus meiner Sicht ein ganz entscheidender Faktor für nachhaltige Entscheidungen, weil ich nämlich dann garantiere, dass ich verschiedene Perspektiven in meine Entscheidungen einbeziehe. Das stellt zum einen sicher, dass sich alle gehört und unterstützt fühlen. Zum anderen, dass ich keine Facette eines Problems außenvor gelassen habe. Nachhaltigkeit bedeutet im Übrigen auch, dass alle Stakeholder und alle deren Interessen berücksichtigt werden, von Mitarbeitenden bis zum Kunden. Nachhaltigkeit ist ein interdisziplinäres Thema. Und die Personalfunktion hat aus meiner Sicht eine Schlüsselrolle. HR bildet die Führungskräfte von heute und von morgen aus und ist auch Gestalterin von nachhaltigen Unternehmensstrukturen. Man kann also sagen, heutzutage ist Nachhaltigkeit auch eine der Aufgaben im Personalmanagement.

Wie setzen Sie das bei CEWE konkret um?
Wir legen einen großen Fokus auf klassische Aus- und Weiterbildungsthemen, um unsere Mitarbeitenden langfristig, also sehr nachhaltig, zu halten. Wir haben auch Instrumente der Mitarbeiterbeteiligung: Wir geben jedes Jahr Gratis-Aktien an Mitarbeitende aus. Wenn jemand Unternehmer im eigenen Unternehmen ist, verhält er sich anders und profitiert auch langfristig davon. Langfristiges Denken und Nachhaltigkeit ist bei uns ohnehin ein Thema, das sehr präsent an allen Standorten ist, denn wir haben ganz viele Nachhaltigkeitsbotschafter. Diese sitzen in allen Standorten und sind lokal für das Thema Nachhaltigkeit im konkreten Wirkungskreis zuständig. Sie tauschen sich aktiv miteinander aus und lernen voreinander. So rückt eine europaweit agierende Gruppe für dieses Thema zueinander und hat das Gefühl, man zieht zusammen an einem Strang nach vorne. Wenn man sich Nachhaltigkeit als ein Leitmotiv setzt, schafft man Raum für Innovation, dann steigen Motivation und Produktivität und am Ende, seien wir ehrlich, auch die Attraktivität als Arbeitgeber. Eine klare Haltung und eine konsequente Umsetzung kann einem die wichtige Nasenlänge Vorsprung geben, wenn sich Bewerber umschauen.

Welche spezifischen Führungsqualitäten sind erforderlich, um eine nachhaltige Transformation erfolgreich zu leiten?
Man braucht einen langen Atem. Aber den muss man paaren mit Entscheidungsfreude und dem Mut zu neuen oder vielleicht sogar unkonventionellen Entscheidungen. Etwas machen, weil es das Richtige ist, obwohl es auf den ersten Blick vielleicht weniger Profit bringt oder erst einmal umständlicher ist. Man muss eine klare Vision entwickeln und die gut kommunizieren, aber auch alle mit ins Boot holen. Wissen Sie, Sie können sich vorne hinstellen und sagen, hört mir alle zu, das ist der Weg zur Nachhaltigkeit. Wenn Sie die Menschen aber mitbeteiligen und jedem in seinem Wirkungsfeld aufzeigen, wo er, er oder sie den Beitrag leisten kann, dann gehen die viel lieber mit und es kommen auch viel bessere Ideen zum tragen.

CTA Executive Search Making The Difference Interview SerieWas macht Sie zum „Change Maker“? / Welche Haltung und welche Skills haben Sie, um Ihren Beitrag für die Nachhaltigkeitstransformation in Ihrer Organisation zu leisten?
„Old ways won’t open new doors.“ Wenn wir alles so machen wie vorher, gibt es keine Veränderung. Die aber brauchen wir, wenn wir im Thema Nachhaltigkeit wirklich vorangehen wollen. Zweitens: Mut vermitteln, Mut selber auch mitbringen. Aber wie schon gesagt, kommt der Großteil der Beiträge, die unsere Nachhaltigkeitstransformation möglich machen, nicht alleine vom Vorstand, sondern vielmehr eben von all diesen Kolleginnen und Kollegen, die sehr wertorientiert und sehr engagiert diese nachhaltigen Aspekte in ihrer täglichen Arbeit aufspüren, umsetzen und leben. Meine Rolle ist hier eher die einer Ermöglicherin: Am Ende muss ich Menschen bewegen. Ich muss vielleicht auch Herzen berühren. Ich muss zu neuen Wegen inspirieren. Das ist mein Beitrag als Changemaker.

Wie würden Sie den Nachhaltigkeits-Purpose Ihrer Organisation beschreiben? Ist dieser allen Mitarbeitenden klar und wie wird dieser operationalisiert?
Wir haben in der CEWE-Gruppe fünf Dimensionen der Nachhaltigkeit definiert und versuchen, das Thema wirklich in einem ganzheitlichen Ansatz zu leben. Den Purpose bringen wir auch den Mitarbeitenden nahe – sei es in der internen Kommunikation oder auch über unsere Mitarbeitenden-App. Dort gibt es Posts zum Thema Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitsprojekte. Selbst unsere Lernenden, so heißen bei uns die Auszubildenden, kriegen eigene Nachhaltigkeitsprojekte, die sie betreuen dürfen. Und am Ende ist ja auch unser Geschäftsmodell schon ein nachhaltiges. Wir machen On-Demand-Produktion, wir machen nichts, was irgendwo lange liegt und veraltet, sondern der Kunde bestellt und dann wird es produziert. Bei uns gibt es schon seit vielen Jahren einen Nachhaltigkeitsscore für jedes unserer Produkte.Wir haben evaluiert, wie nachhaltig ein Produkt wirklich ist, wenn wir alle Faktoren mit einbeziehen. Das führt dazu, dass wir permanent daran arbeiten, besser zu werden. Etwa durch den Einsatz von FSC-zertifizierten oder recyceltem Papier, was gar nicht so einfach ist, wenn Sie die Qualität liefern wollen, die wir bieten.

Welche drei Personen würden Sie mit auf eine einsame Insel nehmen, um nach Rückkehr eine noch bessere Führungskraft zu werden?
Die Frage gefällt mir sehr gut! Die eine Person ist Michelle Obama. Sie ist ein tolles Beispiel dafür, wie man resilient wird. Nicht nur während ihrer Zeit im Weißen Haus, sondern auch danach, wo sie sich auch heute noch für Bildung und Female Empowerment einsetzt. Dann natürlich Simon Sinek, den Godfather of Leadership, den ich ausquetschen würde, um nach der Rückkehr noch mehr über Motivation, Unternehmensentwicklung und Führungskräfteentwicklung zu wissen. Und Nummer drei wäre Carolin Kebekus. Denn gute Führung hat auch immer mit Humor zu tun und mit der Fähigkeit, sich selbst nicht so ganz ernst zu nehmen.

Über die Gesprächspartnerin:
Christina Sontheim-Leven ist seit Januar 2022 als CHRO der CEWE Stiftung & Co. KGaA zuständig für den Bereich Personal und Organisationsentwicklung. CEWE ist eine internationale Unternehmensgruppe mit mehr als 4.000 Mitarbeitenden in ganz Europa. Darüber hinaus engagiert sie sich stark dafür, Frauen in der Wirtschaft zu fördern und in Führungspositionen zu etablieren, nicht nur als Mitglied des exklusiven Netzwerkes „Generation CEO e.V.“ sondern auch als Mentorin der „Initiative Women into Leadership“. Die studierte Volljuristin mit zusätzlichem Master in Rechtsinformatik begann ihre Laufbahn bei der Metro AG und war nach Zwischenstationen u.a. bei Peek & Cloppenburg und Tommy Hilfiger/Calvin Klein (PVH) sowie in der Logistik zuletzt CEO der Spiekermann Consulting Engineers GmbH.