„Wer sich für Menschen interessiert, hört auf, an ihnen herumzuschrauben.“

„Wer sich für Menschen interessiert, hört auf, an ihnen herumzuschrauben.“

Wer ein Unternehmen wirklich transformieren will, sollte laut Oliver Sowa, Geschäftsführer der Beutlhauser-Gruppe, die Mitarbeitenden in den Fokus rücken: Change gelingt nur, wenn man die Rahmenbedingungen im Unternehmen umkrempelt – und nicht versucht, die Menschen zu ändern.

Oliver Sowa

Oliver Sowa, Geschäftsführer Beutlhauser-Gruppe

Wie lautet Ihr Führungsverständnis auf den Punkt gebracht?
Es beginnt mit einem bestimmten Menschenbild: Sind Mitarbeitende im Unternehmenskontext nur Mittel zum Zweck oder sind sie selbst der Zweck des Unternehmens? Für mich ist Letzteres der Fall. Menschen spüren es, wenn man sie ausnutzt, um die Ziele der Firma zu erreichen. Wirtschaftlicher Erfolg, Marktanteile, Ergebnisse sind relevante Größen, aber meist nur für Abteilungsleitungen, Geschäftsführungen oder Vorstände. Diesen Institutionen des Unternehmens steht das Individuum gegenüber. Menschen zu führen bedeutet doch, ihr Verhalten zu beeinflussen. Aber wer wirklich Interesse an ihnen hat, muss aufhören, an ihnen herumzuschrauben und sie verändern zu wollen. Denn im Kern ist das die Infantilisierung von erwachsenen Menschen. Es geht also darum, die institutionellen Rahmenbedingungen im Unternehmen zu verändern, dass das gewünschte Verhalten wahrscheinlicher wird. Nämlich, dass Menschen wie Erwachsene in hohem Maße autonom ihren Job tun können. Da ist für mich das Führungsbild, aus dem alles andere folgt.

Wie wurden Sie was Sie sind als Führungskraft? Wer oder was hat Sie geprägt?
Mache Dinge sind mir einfach in die Wiege gelegt worden und haben viel mit Erziehung zu tun. Außerdem habe ich einen unkonventionellen Berufsweg hinter mir. Ich habe eine Schreiner-Lehre gemacht und bin über den zweiten Bildungsweg zum Hamburger Gabelstapler-Hersteller Jungheinrich gekommen. Der Firmengründer Dr. Friedrich Jungheinrich hat die Philosophie vertreten, seine Leute machen zu lassen. Dort gab es immer extrem viele Freiräume. Wie wertvoll das war, lernte ich erst zu schätzen, als ich zu Beutlhauser kam, wo es etwas anders zuging.

Geprägt haben mich, im privaten Umfeld, meine Frau und mein verstorbener Vater. Beruflich Reinhard K. Sprenger, den ich  2015 kennengelernt habe, und Dr. Antje Wittig. Sie ist bei uns für die Organisationsentwicklung zuständig, und sie hat uns wirklich geholfen, das Unternehmen aufzuräumen. Vor ihr ziehe ich den Hut: Mit ihr kann man strategisch auf 12.000 Meter Flughöhe reden und genauso gut kann sie fünf Zentimeter oberhalb der Grasnarbe denken.

Was ist Ihr USP als Führungskraft?
Das ist meine Selbstironie. Herzhaft über sich selbst lachen zu können. Ich nehme mich nicht so für bare Münze, tue nicht so, als ob ich alles wüsste. Damit tue ich mir im Umgang mit Menschen selbst einen Riesen-Gefallen. Denn letztendlich geht es im Umgang mit Menschen um den Dialog auf Augenhöhe, wenn man gemeinsam verändern will.

Was bedeutet für Sie Führung in der VUCA-Welt?
Es gibt so gut wie keine Eindeutigkeit. Ich selbst komme ja noch aus dem alten Jahrtausend, und genauso geht es vielen, vielen Sachverhalten im Unternehmenskontext. Damals war alles planbar, überschaubar, man meinte genau zu wissen, was in fünf Jahren ist. Das war damals schon nicht wahr und heute noch viel weniger. Als Führungskraft wird man immer mehr zu einem Grauzonen-Virtuosen. Es ist nicht nur hell oder nur dunkel, sondern sowohl als auch. Führung hängt daher sehr stark ab von der konkreten Situation. Wir hatten bei Beutlhauser sehr viele Regeln. Aber Regeln machen heute kaum mehr Sinn, denn man muss situationsbezogen abwägen. Mal ist Vertrauen richtig, mal Kontrolle. Mal ist dezentral richtig, mal regional. Mal Office, mal Homeoffice. Letzteres ist ein gutes Beispiel: Viele Unternehmen haben Regelungen in Bezug auf Homeoffice. Wir stellen es uns unseren Mitarbeitenden frei. Der eine hat ein großes Haus, kann sich dort zum Arbeiten zurückziehen. Der andere nur eine kleine Wohnung, der kann gar nicht von zu Hause arbeiten. Der nächste braucht den sozialen Kontakt zu Kollegen und fühlt sich im Büro wohler. Wichtig ist allein, dass es in den Abteilungen funktioniert. Die Ver-Regelung von Unternehmen macht keinen Sinn. Es gibt so viele Ambivalenzen, so viele Grauzonen. Die Beutlhauser Gruppe hat nicht alle Hierarchien abgeschafft, aber um dieser Komplexität entgegenzutreten, haben wir das Unternehmen in Bezug auf die Entscheidungswege hierarchisch auf den Kopf gestellt. Ohne viele Regeln. Jetzt entscheiden die Menschen, die nah am Kunden sind, ob sie beispielsweise einen Rabatt gewähren oder nicht.

Wie gelingt Transformation bei der Beutlhauser Gruppe?
Indem man klar denkt, klar redet und klar handelt. Haben wir uns dahingehend verändert? Ich behaupte, Menschen können sich nicht groß verändern. Ich selbst bin immer noch der Oliver Sowa von vor 20 Jahren – aber ich habe heute ganz andere Erkenntnisse. Das Zweite ist, nah am Menschen zu sein und ein Menschenbild zu haben, das die Leute ins Zentrum rückt. Das Problem sind ja nicht die Mitarbeitenden, sondern die Unternehmenslenker. Die können sich viele Dinge nicht vorstellen, und wenn doch, fehlt ihnen der Mut und die Kraft für Veränderung. Aber genau das ist der Schlüssel, um den Fachkräftemangel zu meistern und die kulturelle, soziale, organisatorische und digitale Transformation hinzubekommen. Seitdem wir die Rahmenbedingungen gedreht haben, verändert sich unser Unternehmen, wie wir das wollen. In der Rückschau kann ich kaum begreifen, dass wir so lange gebraucht haben, um den Blick auf die Institutionen zu lenken. Wenn man das heute nicht tut, wird man fundamental scheitern. Im Mittelstand werden es manche nicht überleben.

Wie würden Sie den Purpose Ihrer Organisation beschreiben? Ist dieser allen Mitarbeitenden klar und wie wird dieser operationalisiert?
Eine richtig spannende Frage: Was ist der Sinn und Zweck eines Unternehmens? Bis 2015 hatten wir eine Unternehmens-Philosophie, einen Wertekanon, eine Fünfjahresplanung mit Renditeerwartungen, daran geknüpft Zielvereinbarungen und standartisierte Mitarbeitergespräche, das volle Programm. Aber wir haben gemerkt: Das zündet nicht. Zum Kunden hin war eine große Leere. Dabei ist der Kunde ja das Maß der Dinge. Egal ob in Deutschland oder sonst wo auf diesem Planeten: Zweck eines Unternehmens ist, einen Mehrwert für den Kunden zu generieren. Alles andere ist nachgelagert. Man kann keinen anderen Purpose herbeireden. Das ist hohl, aber genau das haben wir gemacht. Schauen Sie heute auf unsere Homepage; Sie werden nirgends mehr eine Unternehmens-Philosophie finden. Und den Rest haben wir auch abgeschafft. Alles weg. Elementar war für uns, die Entscheidungskompetenz zur Fachkompetenz zu bringen. Denn das bringt die Geschwindigkeit zum Kunden und schafft den Mehrwert. Das spüren die Mitarbeitenden und stiftet den Sinn für sie. Wir reden nicht mehr von Purpose, denn Purpose ist ein Buzzword. Für die Menschen ist der Begriff leer. Alle meinen es sicher gut und wollen auch das Gleiche, aber wenn man von der falschen Seite kommt, richtet man in 99 von 100 Fällen Schaden an. Bei manchen Konzernen habe ich das Gefühl, dass es nur um Umsatz und Ergebnis geht, am besten ohne Umweg über den Kunden. Das mag für die Shareholder passen, ist aber sinnbefreit für die Mitarbeitenden. Dann lesen Sie auf den Webseiten über den Purpose und den Wertekanon. Das ist zynisch.

Wie sieht Führung im New Normal für Sie aus?
Mein Arbeitsalltag hat sich grundlegend verändert. Früher habe ich mich klassisch mit Zahlen beschäftigt und Menschen mit Zahlen zugetextet. Heute bin ich viel mehr in Projekte und Prozesse eingebunden.

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Welche Haltung und welche Skills benötigen Sie, um Wachstum für sich persönlich und Ihre Organisation in Zukunft zu ermöglichen?
Ich meine, wir brauchen keine zusätzlichen Skills mehr. Unser Geschäftsmodell deckt bereits möglichst viele Dinge in der Prozesskette des Kunden ab. Das Unternehmen haben wir jetzt systemisch gut aufgestellt: Wir sind gute Gastgeber für unsere Mitarbeitenden. Uns gelingt die Wiedereinführung des erwachsenen und selbstverantwortlichen Menschen im Unternehmen jeden Tag besser. Und diesen Weg gehen wir konsequent weiter. Mehr ist es nicht. Wer es einmal verstanden hat, dem fällt es nicht schwer. Bis dahin braucht es ein wenig Geduld sowie den Willen, neue Erkenntnisse zu gewinnen, und die Fähigkeit, diese zu reflektieren.

Welche drei Personen würden Sie mit auf eine einsame Insel nehmen, um nach Rückkehr eine noch bessere Führungskraft zu werden?
An allem, was ich im beruflichen Kontext erreicht habe, hat meine Frau einen großen Anteil. Von daher brauche ich auf der Insel niemanden, außer meiner Frau und unseren beiden Hunden. Na gut, den Reinhard Sprenger würde ich auch mitnehmen wollen. Mit allen kann ich Dialoge auf jeweils ganz eigene Weise führen.

 

Über den Gesprächspartner:

Oliver Sowa führt gemeinsam mit den beiden Gesellschaftern Dr. Thomas Burgstaller und Matthias Burgstaller die Beutlhauser-Gruppe. Das Handels- und Dienstleistungsunternehmen mit Hauptsitz in Passau beschäftigt rund 1.400 Mitarbeitende an mehr als 20 Standorten. Es vertreibt und vermietet insbesondere Baumaschinen, Gabelstapler und Kommunaltechnik und bietet verschiedene Services an. Für ihre radikale Transformation wurden Sowa und die Beutlhauser-Gruppe im Jahr 2022 in gleich drei Kategorien mit dem Mindshift Award des Handelsblattes ausgezeichnet.