Wie gelingt die Einbindung des Aufsichtsrats in die Strategiediskussion?

Wie gelingt die Einbindung des Aufsichtsrats in die Strategiediskussion?

Das Fortschreiten der Digitalisierung, die immer höhere Bedeutung von Nachhaltigkeit und nicht zuletzt die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie führen dazu, dass viele Unternehmen altgediente Strategien hinterfragen und etablierte Geschäftsmodelle neu ausrichten. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Krise brauchen Unternehmen volle Kraft und Aufmerksamkeit, um sich auf veränderte Märkte einzustellen.

Dafür muss auch an der Unternehmensspitze ein Umfeld geschaffen werden, in dem es möglich ist, Chancen und Risiken zeitnah, transparent und offen, aber zugleich auch kritisch, ausgewogen und kompetent zu diskutieren. Dabei ist es auch von zentraler Bedeutung, dass Vorstände und Aufsichtsräte den konstruktiven Dialog, der eine effiziente und effektive Entscheidungsfindung ermöglicht, intensivieren. Somit rücken Aufsichtsräte in vielen Unternehmen derzeit noch näher an die Unternehmensstrategie heran. Vorstände sind gut beraten, Aufsichtsräte noch stärker als unabhängige und kritische Sparringspartner zu Fragen der langfristigen Unternehmensausrichtung zu begreifen und zu nutzen. In erfolgreichen Unternehmen verändern sich das Selbstverständnis und die Zusammenarbeit der Organe daher spürbar.

Doch wie lässt sich diese Einbindung des Aufsichtsrats in den Strategiedialog am besten realisieren? Aus unserer Beratungspraxis und aus unseren Gesprächen mit Aufsichtsräten lassen sich drei Möglichkeiten ableiten, wie dies gelingen kann.

Jährliche Strategiesitzungen

Bei Strategiesitzungen handelt es sich in der Regel um ein- bis zweitägige Veranstaltungen, an denen neben dem Aufsichtsrat auch der Vorstand, ggf. ausgewählte Führungskräfte bzw. externe Referenten teilnehmen. Meist finden solche Veranstaltungen jährlich statt. Sie sind mittlerweile in börsennotierten und nicht-börsennotierten Unternehmen weit verbreitet und haben sich in vielen Unternehmen bewährt: Die Sitzungen dienen zum einen der umfassenden Information der Aufsichtsratsmitglieder, z. B. zu Entwicklungen bei wichtigen Wettbewerbern oder im Marktumfeld des Unternehmens. Zum anderen können Strategieklausuren auch einen Rahmen für den offenen Dialog über die langfristige strategische Ausrichtung und über den Umgang mit Nachhaltigkeitsaspekten bieten. Zum Teil werden Strategiesitzungen gezielt an Produktions- oder Auslandsstandorten eines Unternehmens abgehalten, um dem Aufsichtsrat ein intensiveres Erleben des eigenen Unternehmens zu ermöglichen. Aufgrund des zeitlich begrenzten Umfangs der Sitzungsformate besteht in der Praxis häufig die Gefahr der Überfrachtung. Eine gute Planung und Fokussierung der Agenda auf wenige vertiefende Themen ist daher wichtig. Auch das Hinzuziehen externer Moderatoren kann eine Möglichkeit sein, die Effizienz und die Effektivität der Strategiesitzungen zu steigern. Aufgrund des begrenzten zeitlichen Umfangs eignen sich Strategiesitzungen aus unserer Sicht aber vor allem zur Information des Aufsichtsrats. Zudem kann ein gemeinsames, geteiltes Verständnis zu strategischen Fragen entwickelt werden. Strategiesitzungen werden daher von vielen Aufsichtsräten und Vorständen sehr geschätzt. Das Format ist allerdings nur bedingt dazu geeignet, die Strategie oder einzelne strategische Initiativen im Detail zu durchdringen und im Zeitverlauf nachzuverfolgen. Daher werden Strategiesitzungen in vielen Unternehmen durch weitere Elemente flankiert.

Bildung eines Strategieausschusses

In größeren Aufsichtsräten werden häufig Ausschüsse gebildet. Zum Teil ergibt sich die Notwendigkeit zur Bildung bestimmter Ausschüsse aus regulatorischen Vorgaben. Häufig werden Ausschüsse aber auch gebildet, um die Effizienz des Aufsichtsrats zu verbessern und um einzelnen Themen mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Häufig haben Ausschüsse das Ziel, komplexe oder umfangreiche Themen für das Gesamtgremium vorzubereiten und zu erschließen. Zu diesem Zweck kommen die Ausschussmitglieder mehrmals im Jahr zu gesonderten Ausschusssitzungen zusammen. Strategieausschüsse sind Ausschüsse, die sich gezielt mit der Unternehmensstrategie auseinandersetzen. Durch die regelmäßige Diskussion in einer vergleichsweise kleinen Gruppe bieten solche Ausschüsse grundsätzlich großes Potenzial, um die Strategiediskussion nachhaltig im Aufsichtsrat zu verankern. Die Verbreitung von Strategieausschüssen ist in Deutschland dennoch verhältnismäßig gering. Strategieausschüsse sind auch von Aufsichtsräten und Vorständen nicht immer erwünscht. In den eng getakteten Kalendern vieler Aufsichtsräte fehlt mitunter die Zeit, sich in weitere Ausschüsse zu begeben. Gleichzeitig äußern Aufsichtsräte auch immer wieder Bedenken, dass durch die Bildung von Strategieausschüssen wichtige Themen zu stark aus der Diskussion im Gesamtgremium herausgezogen werden könnten. Sie befürchten das Entstehen von Informationsasymmetrien und Abhängigkeiten im Gremium. Die Bildung von Strategieausschüssen ist daher ein zweischneidiges Schwert, das wohl überlegt eingesetzt werden sollte. Ein intaktes Vertrauensverhältnis unter den Aufsichtsratsmitgliedern und genügend Mitglieder mit ausreichender fachlicher Kompetenz und zeitlicher Verfügbarkeit sind wichtige Grundvoraussetzungen für das erfolgreiche Einsetzen von Strategieausschüssen.

Besetzung des Aufsichtsrats

Auch über die Besetzung des Aufsichtsrats kann die Strategiediskussion gestärkt werden. Die praktische Umsetzung ist oft allerdings schwerer als es die reine Theorie erahnen lässt. Denn auf der Kapitalseite sind insbesondere börsennotierte Unternehmen bei der Aufsichtsratsbesetzung klaren Regeln unterworfen, die die Flexibilität bei der Besetzung einschränken. Über die Besetzung ist oft nur eine vergleichsweise träge, zeitlich meist verzögerte Reaktion auf veränderte Rahmenbedingungen möglich. Und auch die erfolgreiche Besetzung des Aufsichtsrats mit entsprechenden Profilen ist nur ein Teilerfolg. Entscheidend ist, dass die einzelnen Mitglieder auch die Möglichkeit und die Freiräume erhalten, sich konstruktiv in den Strategiedialog einzubringen. Das bedeutet, dass der aktuelle Sitzungsturnus oft nicht mehr ausreicht, um die Fülle der Themen in angemessener Tiefe zu diskutieren. Weitere Diskussionsformate sind gefragt. Diese schließen durchaus auch informellen Austausch zwischen den Mitgliedern ein. Zugleich erfordert die Diskussion strategischer Fragen in vielen Fällen eine neue Offenheit von Vorstand und Aufsichtsrat, Überlegungen zur Strategie frühzeitig – im Idealfall bereits im Entstehungsprozess – offen zu diskutieren. Gegenseitiges Vertrauen ist dafür eine absolute Grundvoraussetzung.

Fazit und Diskussion

In Zeiten steigender Unsicherheit und Ambiguität gewinnt die Frage, wie die Strategiediskussion zwischen Vorstand und Aufsichtsrat effizient organisiert und verstetigt wird, an Bedeutung. Viele Unternehmen arbeiten daher daran, die Grundvoraussetzungen für eine stärkere und frühzeitige Integration des Aufsichtsrats in die Strategiediskussion zu schaffen bzw. zu verbessern. Hierfür stehen ihnen verschiedene Formate und Mittel zur Verfügung, z. B. Strategiesitzungen, Strategieausschüsse oder gezielte Aufsichtsratsbesetzungen. Es bietet sich eine Kombination verschiedener Maßnahmen an, um Aufsichtsräte nachhaltig an der Strategiediskussion zu beteiligen. Der entscheidende Punkt ist dabei jedoch nicht, welche Formate implementiert oder nicht implementiert werden. Viel wichtiger ist die Frage, wie sich das Selbstverständnis der Organe, gerade des Aufsichtsrats, verändern muss. Der Aufsichtsrat sollte sich künftig nicht über einzelne dominante Persönlichkeiten definieren. Ziel sollte es sein, die individuellen Kompetenzen und Erfahrungen einzelner Mitglieder im Gremium zu orchestrieren und bestmöglich im Sinne des Unternehmens nutzbar zu machen. Dabei ist auch klar, dass ein konstruktiver, offener Dialog zu strategischen Fragen nur dort entsteht, wo unterschiedliche Erfahrungen, Lebenssituationen und Kompetenzen zusammen kommen. Hier besteht bei vielen Unternehmen weiterhin großes Potenzial, um die Effektivität der Aufsichtsratsarbeit – auch hinsichtlich der Strategiediskussion – zu verbessern.

 

Einen ausführlichen Artikel zur Rolle des Aufsichtsrats in der Strategiediskussion haben unsere Autoren für die Zeitschrift für Corporate Governance verfasst. Diesen können Sie hier erwerben: Zur Zeitschrift für Corporate Governance 

 

Haben Sie Fragen oder wollen mehr über das Thema erfahren? Sprechen Sie uns an!

Dr. Sebastian Pacher | E-Mail: sebastian.pacher@kienbaum.de | Tel.: +49 211 96 59-237

Isabelle Woopen | E-Mail: isabelle.woopen@kienbaum.de | Tel.: +49 221 801 72-691

Julius Flottmann | E-Mail: julius.flottmann@kienbaum.de | Tel.: +49 221 801 72-494

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