Effizienz oder Disruption

Wann sollten sich Aufsichtsräte mit KI auseinandersetzen?

Nach unserer Kienbaum Corporate Governance Studie 2024 hat Künstliche Intelligenz (KI) mittlerweile in etwa der Hälfte der Unternehmen einen direkten Bezug zu Strategie, Geschäftsprozessen und Geschäftsmodellen. Auch immer mehr Mitarbeitende nutzen KI in ihrer täglichen Arbeit. Dies spiegelt sich auch in den Vorstandsgremien bereits wider. In Aufsichtsratsgremien hingegen scheint es bezüglich Fokus und Kompetenz zum Thema KI noch Nachholbedarfe zu geben. Besonders für diejenigen Unternehmen, für die KI ein Kern-Bestandteil des Geschäftsmodells und zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor wird oder werden könnte, sollte KI auf der Agenda des Aufsichtsrats weiter nach oben rücken.

„Ja, Aufsichtsräte sollten sich unbedingt mit dem Thema KI befassen. Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, Geschäftsmodelle grundlegend zu verändern, Effizienz zu steigern und Wettbewerbsvorteile zu schaffen, während sie gleichzeitig auch Risiken und ethische Herausforderungen mit sich bringt, die eine strategische und gut informierte Aufsicht erfordern.“ Das ist die Antwort einer KI auf die Frage, ob Aufsichtsräte sich mit dem Thema befassen sollten. Der Antwort ist erst einmal zuzustimmen. Auf weitere Nachfragen zur aktuellen Marktpraxis, zu konkreten Möglichkeiten der Ausgestaltung oder zu Differenzierungen nach Geschäftsmodellen bleiben die Antworten der KI jedoch sehr generisch.

An dieser Stelle setzt dieser Beitrag an, indem verschiedene Fragen zur Relevanz von KI in der Aufsichtsratsarbeit adressiert werden. Welche Bedeutung hat KI in Unternehmen in Deutschland und Österreich bereits jetzt? Ist KI nur eines von vielen Digital-Tools, mit dem Prozesse effizienter gestaltet werden können? Oder ist KI ein disruptives Element für das Geschäftsmodell? Darüber hinaus wird in diesem Beitrag der Status quo zur Verankerung von KI in Vorstands- und Aufsichtsratsgremien erörtert und vor dem Hintergrund der jeweiligen Bedeutung von KI für ein Unternehmen diskutiert.

Ziel ist es, für Aufsichtsratsmitglieder Handlungsempfehlungen bzgl. des Aufbaus des Vorstandsgremiums, der Agenda für Diskussionen im Gremium und den Kompetenzanforderungen im Aufsichtsrat abzuleiten. Dafür greifen wir u.a. auf die Ergebnisse unserer Kienbaum Corporate Governance Studie 2024 zurück. Im Rahmen der Corporate Governance Studie haben wir eine Befragung durchgeführt, an der sich im Zeitraum November 2023 bis Februar 2024 insgesamt 165 Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder1 aus Deutschland (119) und Österreich (46) beteiligt haben. An der Studie haben sich in etwa zu gleichen Teilen Vertreter größerer börsennotierter und nichtbörsennotierter Unternehmen beteiligt. Im Folgenden werden wir auf ausgewählte Ergebnisse der Studie näher eingehen.

Strategische Relevanz von KI

Die Bedeutung von KI-Anwendungen für Unternehmen hat in den vergangenen Jahren insgesamt spürbar zugenommen. In unserer Studie geben nur 26 % der Unternehmen an, (noch) keine KI-Anwendungen innerhalb ihrer Kern-Prozesse zu nutzen – in etwa drei Vierteln der teilnehmenden Unternehmen wird KI somit genutzt. Aus einer Prozessperspektive wird KI aktuell am häufigsten im Bereich Forschung und Entwicklung angewendet (51 % der befragten Unternehmen), gefolgt von Marketing und Vertrieb (41 %) und Produktion (38 %).

KI hat in etwa der Hälfte der teilnehmenden Unternehmen einen direkten Bezug zur Strategie und zum Geschäftsmodell: So sind mit 44 % knapp die Hälfte der Teilnehmenden unserer Studie der Auffassung, dass  KI einen disruptiven Einfluss auf ihr Geschäftsmodell haben wird. Dabei wird KI nicht in erster Linie als Gefahr, sondern als Chance begriffen. Denn  75 % der Befragten geben an, dass KI eine große Chance biete, um die Wettbewerbsposition des eigenen Unternehmens zu verbessern.

Der Einsatz von KI kann dabei unterschiedliche strategische Ziele verfolgen. KI kann auf der einen Seite dazu beitragen, bestehende Produkte und Prozesse besser bzw. effizienter zu machen („inkrementelle Innovation“). Die Anwendung von KI hat daneben einen entscheidenden Einfluss auf die Qualifizierung und Rekrutierung von
Mitarbeitern, da sich deren Fähigkeiten in den meisten Fällen verändern werden müssen. Auf der anderen Seite kann der Einsatz von KI neue Geschäftsmodelle ermöglichen „Geschäftsmodellinnovation“) und sich somit direkt auf die Unternehmensstrategie auswirken.

Die KI-bezogenen Anforderungen an Aufbau und Kompetenzen in Vorstands- und Aufsichtsgremien unterscheiden sich je nach Verwendungszweck von KI deutlich. Für diejenigen Unternehmen, auf deren Geschäftsmodell KI disruptiv wirkt, sollte das Thema KI prominent und auf höchster Ebene im Vorstandsgremium aufgehängt sein.

Verankerung von KI in der Vorstandsarbeit

Insgesamt sehen 81 % der an unserer Studie teilnehmenden Unternehmen eine explizite Verankerung des Themas KI im Vorstandsgremium vor (vgl. Abb. 1). Bei den Unternehmen mit disruptivem Einfluss von KI auf das Geschäftsmodell liegt dieser Anteil mit 89 % noch höher.3 In etwa einem Viertel der Unternehmen, die KI als Verantwortungsbereich im Vorstand verankert haben, liegt die Verantwortung im Gesamtgremium, drei Viertel ordnen KI explizit einem (oder mehreren) Ressort zu. Dabei liegt die Ressort-Verantwortung mit 49 % am häufigsten in einem Technologie-/Digital-/Informations-Ressort beim CTO/CIO, in etwa 42 % liegt die Verantwortung beim CEO.

Corporate Governance Verankerung KI Vorstand

(Abb1.) Verankerung von KI im Vorstandsgremium

Je nach Bedeutung von KI für das Geschäftsmodell sind Unterschiede in der Verankerung im Vorstand zu erwarten. Je stärker der Einfluss von KI auf das Geschäftsmodell sein könnte, desto eher sollte das Thema beim CEO verankert sein. Ein Begreifen von KI als Digital-Thema zur Verbesserung von Prozessen würde für eine Verankerung im Gesamtgremium oder im Digital-/CIO-Ressort sprechen. Diese Überlegung spiegelt sich jedoch in unseren Studienergebnissen (noch) nicht wider. Die Verteilung der Verantwortlichkeiten auf die Ressorts ist in Unternehmen, für die KI ein disruptives Element darstellt, etwa identisch. Mit steigendem Stellenwert von KI für die Strategie des Unternehmens könnten Unternehmen das Thema stärker in die Verantwortlichkeit des CEO verlagern. Insgesamt scheinen Unternehmen mit Blick auf die Organisation des Vorstandsgremiums dennoch schon gut aufgestellt.

Relevanz von KI für die Aufsichtsratsarbeit

Wegen der großen Bedeutung von KI für eine Vielzahl von Unternehmen sollte jedes Aufsichtsgremium zumindest eine „Betroffenheitsprüfung“ durchführen. In dieser sollte die Frage im Vordergrund stehen, welche Rolle KI für das Geschäftsmodell des Unternehmens spielen könnte: „Könnte KI einen disruptiven Einfluss auf unser Geschäftsmodell haben?“ oder „Bietet KI für unser Unternehmen die Chance, neue und profitable Geschäftsmodelle zu entwickeln?“. Sofern diese Fragen mit „Ja“ beantwortet werden, gehört das Thema weit oben auf die Agenda des Aufsichtsrats. Bei einer Beantwortung mit „Nein“ muss zusammen mit dem Vorstand geprüft werden, inwieweit sich KI auf Effektivität, Prozessoptimierung usw. auswirken könnte. Sollte die „Betroffenheitsfrage“ mit „Nein“ in allen Dimensionen beantwortet werden, kann eine Depriorisierung mit Wiedervorlage der Betroffenheitsfragen in regelmäßigen Abständen – wegen der rasanten Entwicklung von KI bspw. alle sechs Monate – erfolgen.

Insgesamt bescheinigen 32 % unserer Studienteilnehmenden dem Aufsichtsrat ein moderates oder starkes Involvement des Aufsichtsgremiums zu KI-Themen (vgl. Abb. 2). In denjenigen Unternehmen mit hoher Relevanz von KI für das Geschäftsmodell sind es 46 %. Besonders in diesen Unternehmen sollte das Thema jedoch weit oben auf der Agenda des Aufsichtsrats stehen, weshalb das Ergebnis vor dem Hintergrund der Bedeutung des Themas für diese Unternehmen als zu gering zu bewerten ist. Gerade hier ergeben sich klare Implikationen für die Arbeit des Aufsichtsgremiums, sowohl für die Bestellung der Vorstandsmitglieder und somit den Aufbau des Vorstands als auch für die Aufsichts- und Beratungsfunktion.

Abb. 2 - Bewertung des Aufsichtsrats in Bezug auf KI

Abb. 2 – Bewertung des Aufsichtsrats in Bezug auf KI

Mit Blick auf die Bestellung der Vorstandsmitglieder und den Aufbau des Vorstands-Ressorts kann die Antwort auf die Frage nach der Relevanz von KI für das Geschäftsmodell als Ausgangspunkt dienen. Je stärker sich KI auf das Geschäftsmodell auswirkt und damit Kern-Bestandteil der Unternehmensstrategie ist, desto eher sollte das Thema beim CEO bzw. sehr nah am CEO verankert sein (bspw. in gemeinsamer Verantwortung von CEO und CTO/CIO). Dadurch gewinnt in diesen Unternehmen KI-Kompetenz im Rahmen der Bestellung des CEO an Bedeutung – sowohl mit Blick auf die CEO-Funktion als auch auf Seiten der Aufsichtsratsmitglieder, die die Bestellung verantworten.

Im Rahmen der Aufsichtsfunktion kann KI durch den Einfluss auf die Prozesse sowie die Risikosteuerung oder Compliance eine indirekte Rolle spielen. Sowohl rechtliche als auch
ethische Aspekte sind hier zu beachten und zu bewerten. Um diese Einflüsse bewerten zu können, sind die Anforderungen an KI-Kompetenzen im Aufsichtsrat überschaubar und häufig über die Konsultation externer Experten abbildbar. Denn die Prüfung von IKS oder Risikosteuerung wird ohnehin federführend von entsprechenden Dienstleistern wie bspw. einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft oder durch Anwaltskanzleien durchgeführt.

Eine entscheidende Rolle spielt die Befassung mit KI im Rahmen der Beratungsfunktion. Wenn KI eine große Bedeutung für das Geschäftsmodell aufweist, sollte der Aufsichtsrat zusätzlich in der Lage sein, hinsichtlich Fragen zum Einfluss von KI auf das Geschäftsmodell oder die Entwicklung von neuen KI-basierten Geschäftsmodellen als strategischer Sparringspartner zu agieren. Sofern KI für ein Unternehmen einen wesentlichen strategischen Grundpfeiler darstellt, sind KI-Kompetenzen im Aufsichtsrat damit erforderlich.

Die Ergebnisse unserer Corporate Governance Studie zeigen diesbezüglich jedoch klare Nachholbedarfe auf (vgl. Abb. 2). Nur 26 % der befragten Aufsichtsräte sind der Ansicht, dass ausreichend KI-Kompetenzen vorhanden sind. Vorstände schätzen die KI-Kompetenzen nochmals kritischer ein, hier sind nur 3 % der Auffassung, dass der Aufsichtsrat über ausreichende KI-Kompetenzen verfügt. Das heißt nicht, dass alle Aufsichtsratsmitglieder gleichermaßen KI-Kompetenzen aufweisen müssen, aber je nach Größe des Aufsichtsrats sollten ein bis zwei Gremienmitglieder ein tiefgreifendes Verständnis zu KI mitbringen. Zum Teil wird in Aufsichtsgremien darauf geachtet, dass jedes Vorstands-Ressort kompetenzseitig im Aufsichtsrat gespiegelt wird, sodass jedem Vorstandsmitglied mindestens ein Aufsichtsratsmitglied als inhaltlicher Sparringspartner zur Verfügung steht. Dann sollte eine entsprechende Abbildung von KI auch in der Qualifikationsmatrix für den Aufsichtsrat geprüft werden. Daneben können Weiterbildungen sowie das  Einbeziehen externer KI-Experten ein probates Mittel sein.

Fazit

KI kann auf der einen Seite ein „Digital-Tool“ sein, mit Hilfe dessen Produkte und Prozesse besser und effizienter gestaltet werden können. Auf der anderen Seite hat KI für viele Unternehmen einen direkten Einfluss auf das Geschäftsmodell. Die Diskussion zur Bedeutung von KI für das Geschäftsmodell und damit die Strategie des Unternehmens sollte in jedem Aufsichtsrat stattfinden („Betroffenheitsprüfung“). Implikationen für die Aufsichtsratsarbeit ergeben sich insbesondere für diejenigen Unternehmen, die einen potenziell disruptiven Einfluss von KI auf das Geschäftsmodell erwarten. Hier hat der Aufsichtsrat sicherzustellen, dass das Thema KI nicht zu stark von vergleichbar wichtigen, aber dringlicheren Themen wie bspw. Nachhaltigkeit überlagert oder von der Agenda verdrängt wird. Zudem ist dafür Sorge zu tragen, dass KI an den richtigen Stellen im Vorstandsgremium verankert ist. Im Rahmen seiner Beratungsfunktion sollte der Aufsichtsrat darüber hinaus für strategische KI-Themen als Sparringspartner für den Vorstand agieren können. Dafür ist neben der Möglichkeit, externe KI-Expertise in das Gremium einzuladen, eine entsprechende KI-Kompetenz im Aufsichtsgremium erforderlich.

Dieser Artikel ist ursprünglich als Gastbeitrag in der Ausgabe 03/2024 der Fachzeitschrift BOARD erschienen. 

Lesen Sie hier die gesamte Studie Corporate Governance 2024.