Erfolgsfaktoren der digitalen Unternehmenstransformation im Mittelstand
Der familiengeführte Mittelstand ist für Deutschland der wesentliche Garant für eine hochentwickelte und exportstarke Wirtschaft. Der Druck auf viele bislang erfolgreiche Geschäftsmodelle nimmt aber zu – teils geprägt durch „hausgemachte“ Dysfunktionalitäten unseres Standortes, teils durch unausweichliche globale Konflikte und Risiken, teils durch technologische Schübe mit Vorteilen internationaler Wettbewerber. Die digitale Transformation ist für den deutschen Mittelstand der Schlüssel, um im globalen Wettbewerb zu bestehen. Prof. Dr. Walter Jochmann, Managing Director und Partner bei Kienbaum, zeigte in einem Vortrag auf dem Strategiegipfel der Familienunternehmen „My Way“, welche Herausforderungen und Chancen die Digitalisierung birgt – und wie Unternehmen durch Innovation und konsequente Umsetzung es zum Weltmarktführer schaffen können. Eine Zusammenfassung:
Prof. Dr. Walter Jochmann
Managing Director | HR & Organisation Transformation
Die fortschreitende Digitalisierung stellt uns, den deutschen Mittelstand, vor immense Herausforderungen, bietet jedoch zugleich enorme Chancen. Wie können Unternehmen in einer von Technologie und Globalisierung geprägten Welt nachhaltig erfolgreich sein? Es ist klar: Die digitale Transformation umfasst weit mehr als nur technische Innovationen – sie reicht tief in alle Unternehmensbereiche hinein. Von Geschäftsmodellen über operative Prozesse bis hin zur Organisationsstruktur: Alles muss hinterfragt und neu gedacht werden.
Treiber von Innovation und Veränderungsfähigkeit
Treiber von Innovation sind Faktoren von Unternehmenskultur, Skill- und Kompetenzprofile, Ressourcen-Einsatz und Vorbild-/Steuerungswirkung der Führungsebenen. Diese ermöglichen die Veränderungsfähigkeit von Organisationen – neben der evolutionären und disruptiven Produkt-/Geschäftsmodellentwicklung auch der Steigerung von Effektivität und Effizienz.
Wenn Digitalentwicklungen hierzu die oft wichtigsten technologischen Veränderungstreiber bereitstellen, muss ein Unternehmen in seiner tiefen DNA digital geprägt sein – mit Digitalkompetenzen auf allen Mitarbeitenden-Ebenen, mit kompetenten und ressourcenstarken IT-Funktionen, mit Partnerschaften und Vernetzung, mit digitaler Priorität und Konsequenz. Diese Konsequenz verändert die Organisations- und Operationsmodelle in den Unternehmen – mit Agilisierung und Flexibilisierung, mit Automatisierung und Verlagerung, mit Balancierung von Kern- und Innovationsgeschäft.
Die Rolle der künstlichen Intelligenz und digitale Kompetenzen
Spannend wird jetzt die Rolle künstlicher Intelligenz in der Unternehmenswelt. Mit der sich abzeichnenden Dynamik in der Weiterentwicklung von KI-Anwendungen in allen Unternehmensbereichen steigt der Druck auf die Innovationsfähigkeit in den Unternehmen – die nach Aussagen der Forschung in Deutschland seit einigen Jahren hinter den globalen Wettbewerb zurückgefallen ist – übrigens im Gegensatz zur bislang guten Produktivitätsentwicklung.
Wir haben in Deutschland derzeit rund 800 Unternehmen, die über eine Milliarde Euro Umsatz erzielen – davon sind 80 Prozent Familienunternehmen. Diese Unternehmen bilden das Rückgrat unseres Wohlstands. Sie stehen allerdings oft im weltweiten Wettbewerb mit den klassischen Erfolgsfaktoren von Qualität und Preis auf der einen Seite, von Innovation und Technologie auf der anderen Seite. KI und digitale Technologien bieten das Potenzial, diesen Anteil deutlich zu erhöhen. Es besteht die Möglichkeit, durch konsequente Nutzung von Gen AI und anderen Technologien Hunderte neuer Weltmarktführer zu generieren.
“Wir haben also kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.”
Die entscheidende Herausforderung liegt nicht im Fehlen von Wissen, sondern in der Umsetzung. Wir haben also kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Die digitale Transformation verlangt von uns, nicht nur bestehende Prozesse zu optimieren, sondern radikale Innovationen voranzutreiben. Unternehmen, die sich nicht kontinuierlich erneuern, laufen Gefahr, abgehängt zu werden. Eine Studie unter 400 mittelständischen Unternehmen hat gezeigt, dass aktuell nur 8 Prozent der Unternehmen stark wachsen. Der Rest kämpft oder stagniert, oft aufgrund mangelnder Innovationskraft.
Digitale Geschäftsmodelle und ihre Umsetzung
Ein weiteres zentrales Element der digitalen Transformation ist die Fähigkeit, Innovationen nicht nur zu fördern, sondern auch zu integrieren. Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle nicht an die neuen technologischen Möglichkeiten anpassen, riskieren, in der globalen Wettbewerbsspirale zurückzufallen. In einer Welt, die von Disruption geprägt ist, können etablierte Geschäftsmodelle jederzeit durch neue ersetzt werden. Deshalb müssen wir nicht nur kontinuierlich das Bestehende verbessern, sondern auch bereit sein, uns neu zu erfinden. Dies erfordert technologische Kompetenz und eine Unternehmenskultur, die Innovationen willkommen heißt und Veränderung als Chance begreift.
Besonders eindrucksvoll finde ich das Beispiel Telefónica. Vor einigen Jahren startete das Unternehmen eine umfassende Digitaloffensive, die es jeder Abteilung ermöglichte, digitale Chancen zu identifizieren und umzusetzen. Dieser ganzheitliche Ansatz führte dazu, dass digitale Talente in alle Funktionsbereiche integriert wurden – ein Modell, das zeigt, wie sich digitale Transformation erfolgreich gestalten lässt.
Doch neben Technologie und Prozessen ist die Verfügbarkeit von Fachkräften ein entscheidender Faktor. In Deutschland fehlen uns die Fachkräfte, um die digitale Transformation in vollem Umfang voranzutreiben. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kosten bei uns teilweise 50.000 bis 80.000 Euro pro Jahr – in Vietnam liegt dieser Wert bei einem Zehntel. Dieser enorme Unterschied zeigt, dass wir nicht alle Arbeitsplätze hier halten können. Dennoch besteht die Chance, durch gezielte Qualifizierungsmaßnahmen, wie der Integration von ausländischen Fachkräften oder der besseren Einbindung ungenutzter Potenziale, wie Schulabbrechern, das Problem des Fachkräftemangels zu lösen.
Wir haben in Deutschland ein weiteres Problem: Es fehlt uns an Risikokapital. Viele erfolgreiche Start-ups und innovative Ideen werden in der Frühphase von internationalen Investoren übernommen, weil das nötige Kapital für weiteres Wachstum in Deutschland fehlt. Der Zugang zu Venture Capital ist bei uns im Vergleich zu anderen Ländern begrenzt, was es erschwert, große Gründungen langfristig hier zu halten.
Abschließend ist klar: Wer die digitale Transformation ernst nimmt, muss radikal denken. Die Digitalisierung erfordert nicht nur technische Innovationen, sondern auch strukturelle Veränderungen. Das Konzept der Ambidextrie – eine beidhändige Unternehmensführung – zeigt, dass wir unser Kerngeschäft kontinuierlich weiterentwickeln müssen, während wir gleichzeitig Raum für neue, innovative Geschäftsmodelle schaffen. Nur so können wir langfristig erfolgreich sein und in einem globalen, technologiegetriebenen Markt bestehen.
Die nächsten Jahre bieten dem deutschen Mittelstand die einmalige Gelegenheit, neue Weltmarktführer hervorzubringen. Die digitale Transformation gibt uns die Werkzeuge an die Hand, aber wir müssen sie auch nutzen. Wer zögert, verliert. Wer handelt, gewinnt.