„Fehler sind wichtige Momente des Lernens und Verstehens“ – Maxim Hantsch-Kramskoj
Die Automobilbranche ist an Krisen und Herausforderungen nicht arm. Das ist eine gute Nachricht. Denn die Rahmenbedingungen für eine zukunftssichernde Disruption waren nie besser als heute. Was noch fehlt, ist mehr Startup-Mentalität: Menschen zu Höchstleistung motivieren, ausprobieren, auch mal scheitern. Maxim Hantsch-Kramskoj, President Business Development & Strategy Automotive Aftermarket bei Schaeffler, im Interview über seinen Moment des Verstehens und was Unternehmen jetzt angehen sollten, wenn sie ihre Transformation aktiv managen wollen.

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Herr Hantsch-Kramsoj, die Automobilindustrie befindet sich in einer der größten Transformation seit Bestehen. Was ist für Sie persönlich der bedeutendste Moment des Wandels, den Sie in den letzten Jahren in der Industrie erlebt haben?
Der bedeutendste Moment war für mich das plötzliche Wegbrechen des chinesischen Massenmarktes für europäische Fahrzeughersteller. Chinesische Technologien sind in bestimmten Segmenten richtungsweisend, und die Kunden in China bevorzugen heimische Marken. Das setzt die Europäer unter erheblichen Druck bei der Auslastung bestehender Produktionskapazitäten.
In Ihrer Rolle erleben Sie Transformationsprozesse hautnah – welche Herausforderungen und Entwicklungen halten Sie derzeit für besonders prägend für die Organisationen in der Automobilindustrie?
Ich bin überzeugt, dass Automotive-Unternehmen weniger tayloristisch strukturiert sein müssen. Es reicht nicht mehr aus, lediglich ein sehr gutes Produkt besser als andere zu produzieren. Vielmehr muss man im Mobilitätsökosystem umfassenden Mehrwert bieten – über Aspekte wie Service, Verfügbarkeit und Produktqualität. Zudem erleben wir ein hohes Maß an Volatilität im Markt. Manche sagen, die „rule based order“ sei vorbei, insbesondere im Hinblick auf die globale Ausrichtung der USA. Diese Unsicherheiten erfordern eine Transformation der Unternehmen hin zu einer widerstandsfähigeren, weniger global abhängigen Struktur. Unternehmen, die eine flachere Organisation haben und ihre Prozesse und Verantwortlichkeiten intelligent zwischen Zentrale und operativem Geschäft aufteilen, sind weniger anfällig für die negativen Effekte der Marktvolatilität.
Was ich zunehmend beobachte ist der wachsende Einfluss der Generation der heute 30- bis 40-Jährigen. Sie lassen sich stark durch individuellen Mehrwert, Reziprozität im Umgang und Transparenz motivieren. Gerade in tayloristisch geprägten Umfeldern findet man dies weniger, und diese Transformation sollte im Vorstand beginnen. Meines Erachtens benötigen wir mehr Entrepreneurship im Mindset, auch in großen Konzernen. Dafür ist eine kreative Belegschaft notwendig, die heutzutage ganz andere Erwartungen an ihre Arbeitgeber hat als noch vor zehn oder 15 Jahren.
Hinzu kommen für die Automobilbranche globale Megatrends wie Digitalisierung, Klimawandel und zuletzt auch stärker geopolitische Umbrüche. Welche Auswirkungen sehen Sie dabei konkret auf Strategie- und Führungsebene und welche Maßnahmen sind in diesem Zusammenhang notwendig?
Wichtig ist die Fähigkeit, strategische Lücken zu erkennen und die Transformation einzuleiten. Dabei ist ChatGPT lediglich ein Disruptor unter vielen. Themen wie Local-for-Local-Strategien, die Widerstandsfähigkeit der Lieferketten, Remanufacturing-Lösungen sowie eigene Produktionsstätten und Engineering werden für den Independent Aftermarket (IAM) zunehmend essenziell. Ein entscheidender Punkt ist der Übergang von einem reinen Kunden-Lieferanten-Denken zu einem Ökosystemansatz, bei dem der Fokus auf den Endkunden liegt.
Eine essenzielle Aufgabe von Führung ist es dabei, die Megatrends zu händeln. Wir bewegen uns in einem instabilen Umfeld, das ein hohes Maß an Komplexität in den variablen Faktoren mit sich bringt. Dieses Umfeld verlangt von der Führung, die Kreativität und Diversität der einzelnen Teams zu fördern sowie einen Venture-Capital-Gedanken zu unterstützen, bei dem Fehler als stärkendes Element und als wichtige Momente des Lernens und Verstehens betrachtet werden. Dies schafft die Voraussetzung, Lösungen zu entwickeln, die nicht nur „von oben“ kommen, sondern aus der Vielfalt der Perspektiven entstehen.
„Führungskräfte müssen weniger verwalten und mehr führen”
Welche Fähigkeiten und Denkweisen benötigen Führungskräfte heute noch, um in einem Umfeld zunehmender Unsicherheit, Komplexität und Geschwindigkeit wirkungsvoll zu führen?
Führungskräfte müssen weniger verwalten und mehr führen – nicht alle Entscheidungen gehören in die oberste Ebene. Wir brauchen Expertise und Vertrauen auf der Ebene, die dem Problem am nächsten ist, also mehr Coaching und kollektive Entscheidungsfindung.
Wie gelingt es aus Ihrer Sicht, strategische Transformationsziele im Alltag einer Organisation so zu verankern, dass sie nicht nur auf PowerPoint überzeugen, sondern tatsächlich Verhalten und Entscheidungen verändern?
Ich finde, dies gelingt durch eine sorgfältige Ausrichtung und Kalibrierung der Entscheidungsprozesse in der Organisation. Transformation soll zum natürlichen Bestandteil der täglichen Arbeit werden. Es geht dabei darum, Menschen einzubinden und mitzunehmen. Aber man muss auch ehrlich sein: Manche Menschen sind in einer sich wandelnden Organisation nicht richtig aufgehoben, eine oft unausgesprochene Wahrheit.
Wie fördern Sie in Ihrer Führungspraxis eine Lern- und Feedbackkultur, die offen mit Unsicherheit umgehen kann und dennoch auf Leistung ausgerichtet bleibt?
Für mich sind der persönliche Kontakt und Nähe entscheidend. Ich habe positive Erfahrungen mit Gegenseitigkeit und Transparenz gesammelt. Für mich bedeutet erfolgreiche Führung, dass im Austausch mit meinen Teams keine hierarchische Wahrnehmung vorhanden ist. Stattdessen zählt, wer die besten Ideen hat. Gleichzeitig ist es mir sehr wichtig, Schutzräume für Gedanken zu schaffen, für kritisches Hinterfragen und Fehler zulassen, solange diese kontrollierbar sind. Hier arbeite ich gerne mit dem systemischen Coaching-Ansatz, um auch meine Führungsebene weiterzuentwickeln und den Kollegen dabei zu helfen, ihr volles Potenzial zu entfalten. Letztendlich muss jeder für das, was er tut, „brennen“.
Ein weiterer Schlüsselpunkt in diesem Kontext ist Diversität. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die besten Entscheidungen treffen, wenn wir aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichem Kontext und Erfahrung auf Herausforderungen blicken. Heterogene Teams fördern das. Deshalb strukturiere ich auch meine Teams entsprechend dieses Prinzips.
Zum Abschluss: Gibt es ein persönliches Prinzip oder eine Überzeugung, die Ihnen als Führungskraft hilft, Wandel nicht nur zu managen, sondern aktiv und mutig zu gestalten?
Ich versuche so weit wie möglich, außerhalb meines Umfelds und sektorenübergreifend zu denken, da viele Ideen und Lösungen bereits existieren. Offenheit stellt jedoch immer eine Herausforderung dar, da wir alle zum Projektionsfehler neigen und glauben, die Zukunft aus unserer Vergangenheit ableiten zu können, was auch mir gelegentlich passiert.
Dieser Beitrag erscheint im Rahmen der Artikelserie “Momente des Wandels“. Darin beleuchten wir künftig die vielfältigen Facetten dieses Transformationsprozesses. Wir zeigen auf, wie Unternehmen strategisch Nachfolge planen, zukunftsweisende Kompetenzen aufbauen und ihre Organisationen für die “New Work” Realität fit machen können. Darüber hinaus werfen wir einen Blick darauf, wie weitere Megatrends wie Digitalisierung, Klimawandel und geopolitische Spannungen das internationale Wettbewerbsumfeld beeinflussen. Unternehmerische Agilität, zukunftsorientiertes Recruiting und starke Arbeitgebermarken werden dabei zu entscheidenden Erfolgsfaktoren für Organisationen, die den Wandel mutig und kreativ mitgestalten wollen. Gemeinsam wollen wir in dieser Artikelserie Orientierung in turbulenten Zeiten geben und Impulse für eine lebenswerte Zukunft der Arbeit setzen.