Leadership und Kultur in der Öffentlichen Verwaltung einer neuen Zeit

Leadership und Kultur in der Öffentlichen Verwaltung einer neuen Zeit

Über Fortschritt, Zeitenwende und Staatsfunktionalität sprachen Prof. Dr. Veronika von Messling (BMBF) und Martin von Simson (BMI) mit Kienbaum Executive Director René Ruschmeier. Lesen Sie in der Zusammenfassung, wie Leadership & Kultur in der öffentlichen Verwaltung heute schon aussehen kann und welches Führungsverständnis die Bundesverwaltung prägt.

Fortschritt, Zeitenwende und Staatsfunktionalität – Leadership & Kultur in der öffentlichen Verwaltung einer neuen Zeit“ heißt die aktuelle Studie von Kienbaum, in der Prof. Dr. Veronika von Messling, Leiterin der Abteilung Lebenswissenschaften im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF),  und Martin von Simson, Leiter Zentralabteilung im Bundesministerium für Inneres und Heimat (BMI),  neben ca. 40 anderen Personen aus dem Top-Management (Staatsekretär:innen und Abteilungleiter:innen) der „neuen“ Bundesverwaltung befragt wurden. Moderiert von Kienbaum Executive Director René Ruschmeier, diskutieren die beiden im Rahmen der Kienbaum “Brave New Work” Live Sessions über den Fortschrittsimpuls aus dem Koalitionsvertrag, die Weiterentwicklung einer entsprechenden Kultur in der Bundesverwaltung sowie über das dort vorherrschende Führungsverständnis.

„Wenn nicht jetzt, wann dann?“

Die Runde ist sich einig, dass eine dynamische Anpassung in der Bundesverwaltung auf die Herausforderungen der neuen Zeit notwendig ist, und, dass sie bereits stattfindet. „Die Welt um uns rum verändert sich, wir müssen in der Lage sein darauf zu reagieren.“, so von Messling. Die Krisen der heutigen Zeit sind nicht nur „wahnsinnig große Herausforderung“, sondern auch „riesige Chance“ Impulse aufzugreifen und Dinge auch mal anders zu machen, ergänzt von Simson.

 

Happy Hour in der Bundesverwaltung

Doch was bedeutet Veränderung, was heißt Anpassung ganz konkret? Beide Gesprächspartner:innen haben für die Gesprächsrunde einen Gegenstand mitgebracht, welcher symbolisiert, was für sie am dringendsten in der Bundesverwaltung angegangen werden sollte. Frau von Messling, zeigt ein Getränk in die Kamera. Dieses steht für die bei ihnen eingeführte Happy Hour in der Abteilung, um den wechselseitigen Austausch unter den Kolleg:innen zu befördern. Das Format vor Ort ist nicht auf die Abteilung begrenzt, sondern richte sich an alle, die eben gerade da sind. „Oft vergessen wir, dass Dinge einen Anfang und ein Ende haben“, so von Messling. Durch die Pandemie sind diese Grenzen noch stärker verschwommen, sodass neue Formate bzw. Veränderungen notwendig sind, um Verbindungen untereinander wiederherzustellen.

Dass dabei auch mal eine kleine Regel gebrochen wird, kann man in Kauf nehmen, so auch diverse Stimmen aus der Kienbaum Studie. In dieser wurde auch das hohe Bedürfnis nach abteilungsübergreifender Zusammenarbeit deutlich: Ganz im Sinne von „Einfach mal machen“.

Vom Briefmarkenbefeuchter zu den Kopfhörern

Dinge einfach mal auszuprobieren ist ganz im Geiste der Geschäftsordnung der Bunderegierung, meint auch der Leiter der Zentralabteilung des BMI, Martin von Simson. Viele Regeln sind nun mal interpretationsbedürftig, um weit ausgelegt werden zu können, wenn es darauf ankommt. Als Gegenstand hat er gleich zwei mitgebracht: Zunächst einen Briefmarkenbefeuchter, welchen er in seinem Büro beim Einzug vorgefunden hat, und dann noch ein paar Kopfhörer. Für von Simson symbolisieren diese zwei Gegenstände zum einen die Dinge, die in einem Büro der Bundesverwaltung nicht mehr benötigt werden, sowie die Dinge, die sich neu etabliert und Einzug gefunden haben. „Corona hat uns dazu gezwungen unsere Regeln anzupassen“.

Fehlerkultur als Experimentierkultur begreifen

Doch nicht sofort sind die neuen Regeln auch optimal. Im Sinne von „Einfach mal machen“ werden neue Strukturen ausprobiert und iterativ modifiziert. Aber wie schaffen wir es eine Kultur zu etablieren, die akzeptiert, dass Dinge nicht von Anfang an perfekt sind?

„Bei uns ist das ja Programm“, so von Messling und ergänzt einen weiteren Vorteil der Experimentierkultur: Wenn neue Regeln erst einmal ausprobiert werden, werden sich auch mehr Kolleg:innen darauf einlassen. Experimentieren sorge für einen größeren buy-in von Menschen, die der Veränderung positiv gegenüberstehen.

Der Jurist von Simson ergänzt, dass die Gesetzgebung, so statisch sie auch sein mag, durchaus offen sei für Experimentierfelder: Indem man vor der Gesetzgebung Pilotprojekte starte, Sachen ausprobiere und nach der Gesetzgebung mit Evaluationsinstrumenten modifiziere, können Regeln zunächst ausprobiert werden, bevor die Gesetzgebung die einzelnen Details notwendigerweise festschreibt.

Im Sinne der Sonnenblume

Eine Sonnenblume dreht sich immer dahin, wo die Sonne steht. Moderator René Ruschmeier nutzt sie als Symbol für eine Organisation, die sich verändern kann, sich flexibel dreht, am besten zum Thema mit höchster Salienz oder von größter Wichtigkeit. Doch in der Praxis ist es schwierig Themen zu priorisieren. So identifiziert die Kienbaum Studie gleich vier Kategorien von Fortschrittskulturelementen: inspirierendes Leadership, funktionale Strukturen, richtige Ressourcen und Fähigkeiten, und begeisternde Zusammenarbeit.

Die Gäste identifizieren die begeisternde Zusammenarbeit als höchste Priorität. „Es ist klar, dass man alles braucht, doch letztlich ist die Art der Zusammenarbeit das, was wir als Individuen am meisten beeinflussen können – mögliche Schwächen werden gefüllt durch gute Teamzusammensetzung und Menschen werden Teil von etwas, das Sinn macht“, fasst von Messling zusammen. Führungskräfte sind diejenigen, die die Leute begeistern können, die den neuen Zeitgeist vermitteln können, ergänzt von Simson.

Der Wunsch nach abteilungs- und ressortübergreifender Zusammenarbeit wird auch in der Kienbaum Studie deutlich. Doch damit das gelingt, braucht es klare Ziele: Je klarer das Ziel, desto klarer ergeben sich Zuständigkeiten und Rollen – klare Aufträge sind das, was Konflikte konstruktiv hält. Im Sinne der Sonnenblume, muss sich eine Organisation klare Ziele setzen, zu denen sie sich dreht. Gleiches gilt auch für die unterschiedlichen Ressorts in der Zusammenarbeit. Es braucht sehr viel Vertrauen und klare Kommunikation, worin der Gewinn für alle liegt, um Grabenkämpfe und Ressortegoismus zu vermeiden.

Von Monokulturen und Flaggenerlass

Ressortegoismus prägt häufig auch den Selektionsmechanismus der Bundesverwaltung. Gemeinsame Rekrutierung scheitert daran, dass jedes Ressort nach unterschiedlichen Kompetenzen sucht. „Man verteidigt die Ressortgrenze“, das hemmt die Rekrutierung von außen und läuft gegen Innovation und begeisternde Zusammenarbeit. Dabei brauch es gerade nicht nur Expert:innen in den Ministerien, sondern auch andere Kompetenzen, anderes Fachwissen von außen.

So war es für von Messling frappierend zu erkennen, dass sie und ihre Kolleg:innen sich in den Biografien sehr ähnlich sind – „gerade im Bildungsbereich brauchen wir aber die anderen Stimmen und unterschiedliche Bildungsbiografien, um resilient zu sein“. Derzeit gleiche die Bundesverwaltung eher noch einem Maisfeld, einer Monokultur, die zwar in sich sehr produktiv sei, aber wenn sich etwas in den äußeren Rahmenbedingungen verändere, nur schwer adaptieren kann. Veränderungen seien aber bereits zu erkennen, so gibt es nicht mehr nur Jurist:innen im BMI, sondern auch Kolleg:innen mit anderen akademischen Hintergründen. Man merkt, dass sich innovative Ideen nach vorne trauen und Gehör finden. So wurde beispielsweise die Regenbogenfahne in den Flaggenerlass mit aufgenommen, die zuvor nicht berücksichtigt wurde. Das Beispiel verdeutlicht, dass kleine Symbole durch neue Perspektiven zu großen „Change Makern“ in der Verwaltung heranwachsen können.

Wenn man bei mir Führung bestellen würde…

Neue Ideen bedeuten auch immer Arbeit für die Führungskraft, so von Simson. Wenn man bei dem Leiter der Zentralabteilung Führung bestellen würde, so würde man zunächst sein Ohr bekommen, dann in die Diskussion gehen, anschließend eine Meinung erhalten und eine Entscheidung getroffen werden. Von Messling unterstreicht diesen Prozessgedanken. Sie hält folgende Frage als Schlüsselpunkt für gute und innovative Führung: „Was braucht ihr, was brauchen Sie, damit ihre Arbeit leichter wird?“ Die Antwort auf diese Frage ist eine gute Richtschnur, wo Veränderung notwendig und möglich ist.

Zusammengefasst, Führung muss Fortschritt wagen.

Im Sinne der Sonnenblume, muss Verwaltung den Fortschrittsimpuls bewusst übernehmen und sich dem Fortschritt zuwenden, um politische Botschaften schließlich für Unternehmen und Bürger:innen im Alltag erlebbar zu machen.