Der Fachkräftemangel gehört in die Gremien
Eine Kienbaum-Studie belegt: Aufsichtsgremien werden wichtiger, aber sie sind noch längst nicht überall zeitgerecht besetzt. Neben Diversität fehlt es vor allem noch an etwas anderem.
Seit langem nehmen Beiräte und Aufsichtsräte besonders in mittelständischen Unternehmen eine zentrale Rolle ein. Sie beraten, kontrollieren und innovieren Betriebe aus der professionellen Metaperspektive. Gleichwohl pflegen die häufig prominent besetzten Gremien traditionell ein Image der Verschwiegenheit, wirken mehrheitlich im Hintergrund und betreiben in den seltensten Fällen Marketing in eigener Sache.
Diesem letztgenannten Teil nehmen wir uns zumindest in Teilen an und geben Einblicke in die Veränderungen des „Beiratskosmos“ geben. Unsere zentrale Aufgabe in der Praxisgruppe Board-Positions ist es, Unternehmen nachhaltig bei Besetzung sowie Weiterentwicklung von Beirats- und Aufsichtsratsmandanten zu beraten. Durch unsere Projekte haben wir dementsprechend täglich Kontakt zu relevanten Entscheidungsträgern und unmittelbaren Bezug zu aktuellen Trends und Bedarfen dieser spannenden wie komplexen Sphäre.
In unserer aktuellen Studie zum Thema Beirat und Aufsichtsrat im Mittelstand stellen wir sowohl qualitative Eindrücke aus unserer Beratungspraxis als vor allem auch quantitative Ergebnisse einer breit angelegten Untersuchung vor. Dieser Studie liegt die Fragestellung zu Grunde, welche Tendenzen im Hinblick auf die Veränderung sowie Entwicklung der Beirats- und Aufsichtsratslandschaft wir in den letzten Jahren wahrnehmen und feststellen konnten. Einige der Resultate regen dabei sehr zum Nachdenken an.
Einige exemplarische Erkenntnisse unserer Studie:
- Immer mehr Unternehmen haben einen Beirat oder Aufsichtsrat installiert
- Gleichzeitig besteht in der personellen Besetzung der Gremien nach wie vor ein messbares Defizit bezüglich Diversität – nicht nur, aber auch in der Gender-Dimension
- HR-Kompetenz ist kaum aufzufinden – weder in der Prioritätenliste der Gremien selbst noch im Kompetenzraster bei Neubesetzungen.
Einer der für uns zentralen Diskussionsgegenstände stellt letztgenannter Punkt dar, denn neben den Megatrends Digitalisierung, Nachhaltigkeit oder New Work drängt sich der Terminus Arbeiterlosigkeit zurecht immer weiter in den Vordergrund des öffentlichen Diskurses. Vorstände, Geschäftsführungen und HR-Abteilungen sind sich des Mangels an qualifizierten Fach- und Führungskräften seit langer Zeit bewusst.
Es scheint allerdings, als sei die Thematik noch nicht in den Beratungs- und Kontrollgremien angekommen. Kürzlich wurde in einem Beitrag des Manager Magazin die These aufgeworfen, CEO & CHRO seien das neue Power-Paar im Unternehmen. Angesichts der nach wie vor historisch niedrigen Zinsen und der allenfalls langsam ruckläufigen Liquiditätsschwämme, ließe sich in der Tat anführen, den Finanz-Vorständen könnte der Rang von ihren HR-Kolleg:innen zukünftig abgelaufen worden. Geld scheint so einfach zu beschaffen wie nie, während allein im Dax 24.000 Vakanzen offen sind und teils kaum besetzt werden können. Prägnanter formuliert: Selten war es so einfach, günstig Geld zu beschaffen und gleichzeitig so schwierig, qualifizierte Mitarbeitende zu finden und – vor allem – auch langfristig zu binden.
Nun ließe sich hypothetisch argumentieren, Personalbeschaffung sei per Definition eine operative Aufgabenstellung, die in der administrativen Personalarbeit angesiedelt zu sein hat und keiner strategischen Beleuchtung bedarf. Und in der Tat fuhr man mit einer derartigen Einstellung in der Vergangenheit hinreichend gut.
Gravierender Unterschied ist der Wandel vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt. Heutzutage bewerben sich Unternehmen bei begehrten IT-Experten, werden Ingenieure täglich von Headhuntern angesprochen und auch die Stellengesuche nach unternehmensinternen Recruitern/Talent Acquisition Managern sind auf einem Rekordhoch – seit Beginn der Aufzeichnung 2015 gab es keine derart eklatante Spitze. Und das sind nur einige Beispiele.
Man könnte also praxisnäher von einer tektonischen Verschiebung der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt sprechen, die wir seit einigen Jahren beobachten und nicht nur angesichts gestiegener Erwartungshaltungen seitens der Kandidat:innen auch in unseren Executive Search Mandanten spüren. Ausgefeilte Employer Branding Kampagnen, neu geschaffene innovative HR-Abteilungen, Feelgood-Manager:innen, professionelle Onboarding-Prozesse und dergleichen mehr belegen dies eindrucksvoll. Angesichts dieser Realität verwundert es schon, dass HR-Kompetenz in Beiräten und Aufsichtsräten so niedrig priorisiert ist. Die alte Maxime „Personal und Marketing kann doch jeder“ scheint nicht mehr zu greifen.
Doch worin liegen die Gründe dieser Priorisierungsdifferenz? Angesichts der Altersstruktur in den Gremien könnte man durchaus den Gedanken hegen, die Mitglieder kämen aus einer Zeit, in der man sich diesen Themen nicht stellen musste. Wie üblich ist die Realität allerdings multifaktoriell begründet, sodass diese Betrachtung zu oberflächlich und simpel ausfiele.
Eine etwas weitreichendere Erklärung könnte man an der historischen Unterscheidung zwischen Strategie/Konzeption und Operative/Exekution festmachen. Dies wiederum spiegelt sich auch darin wider, dass die HR-Abteilung im Organigramm häufig unmittelbar unterhalb des CFO-Ressorts angesiedelt ist, was wiederum ihre Relevanz im Unternehmen widerspiegelt.
Nun liegen weder Operative noch Exekution in der Flughöhe von Beiräten und Aufsichtsräten. Angesichts dessen stünde unserer Ansicht nach ein Paradigmenwechsel in der Betrachtung der Human Relations Arbeit aus Gremiensicht an. Diese sollte definitiv aus strategischer und langfristiger Perspektive betrachtet werden und von ausschlaggebender Bedeutung sein.
Wo Aufträge wegen fehlender Mitarbeitender abgelehnt werden müssen, wo neue Produkte wegen fehlender Mitarbeitender nicht mehr entwickelt werden können und wo Betriebe wegen fehlender Mitarbeitender in die Handlungsunfähigkeit rutschen, sollte das Thema „Personal“ auf der Liste der Gremien-Tagesordnungspunkte kontinuierlich weit oben stehen – und vor allem sollte es Beiratsmitglieder geben, die mit Leib und Seele „Personaler“ sind…
Haben Sie Fragen? Oder wollen Sie das Kompetenzportfolio Ihres Beirats oder Aufsichtsrats um den essenziellen Aspekt „HR“ erweitern? Sprechen Sie uns an!
Dr. Frederik Gottschalck | E-Mail: Frederik.Gottschalck@kienbaum.de | Tel.: +49 221 801 72-533
Michael Seitz | E-Mail: Michael.Seitz@kienbaum.de | Tel.: +49 211 96 59-195
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