„Veränderung gestalten zu können treibt mich an“

„Veränderung gestalten zu können treibt mich an“

Seit etwas mehr als einem Jahr ist Nicole Engenhardt-Gillé nun schon CHRO beim Telko-Unternehmen freenet. In dieser sowohl geopolitisch als auch technologisch turbulenten Zeit hat sie ihr Credo immer bewahrt: Transformation ist die Chance, besser zu werden. Im Interview erklärt sie, was das für Führung bedeutet, wie KI den Wandel vorantreibt und vor welchen weiteren Herausforderungen die Personalfunktion steht.

Frau Engenhardt-Gillé, wie lautet Ihr Führungsverständnis auf den Punkt gebracht und welche Rolle spielt Nachhaltigkeit dabei?

Grundsätzlich basiert mein Führungsverständnis auf Vertrauen. Außerdem setzte ich auf situative und kooperative Führung. Mir ist wichtig zu wissen, wo die Kolleginnen und Kollegen stehen und mit ihnen auf Augenhöhe zu kommunizieren – und dass wir eine Übereinkunft zu unserer Zusammenarbeit und den Zielen haben. Also die Klärung: Wo wollen wir hin?

Für mich ist das Thema Nachhaltigkeit ein sehr wichtiges Thema, denn wir wollen im Unternehmen Nachhaltigkeit als Haltung leben. Für mich ist es essenziell, als Führungskraft Haltung zu haben und Vorbild für meine Kolleginnen und Kollegen zu sein. Ich sehe die Transformation als Chance. Bewegen statt Bewahren ist für mich ein großer Antreiber, quasi der Grundsatz für mein Führungsverständnis.

Wie wurden Sie zu der Führungskraft, die Sie heute sind, und wer oder was hat Sie geprägt?

Ich wollte tatsächlich Führungskraft werden, weil diese am Ende der Hebel für Veränderung sind. Mir war es wichtig, meine Ideen noch direkter einbringen zu können. Deshalb habe ich mich umso mehr gefreut, als zu meinen Aufgaben in der HR noch die ESG-Themen dazugekommen sind. Auch hier kann ich aktiv den Change vorantreiben und mich persönlich noch einmal weiterentwickeln. Das treibt mich an, und daraus ziehe ich auch meine Energie. Geprägt haben mich verschiedene Menschen aus meinem Umfeld. Angefangen vom Elternhaus über Vorgesetze, daneben eine ganze Anzahl an Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Als ich Führungskraft wurde, gab es bei uns noch kein strukturiertes Onboarding für Führungskräfte. Das war viel learning by doing. In das kalte Wasser springen ist mein Ding.

Was glauben Sie ist Ihre USP als Führungskraft, was zeichnet Sie aus?

Ich glaube meine Stärke ist, Eigenverantwortlichkeit zu fordern und zu fördern sowie individuelle Stärken der Menschen in meinem Umfeld zu erkennen und die Leute entsprechend ihrer Skills so einzubinden, dass sie ihre Stärken voll und ganz ausspielen können. Das erfordert Offenheit. Pragmatismus und Experimentierfreude – das musste ich auch erst lernen.

Aber jetzt passt die Arbeitskultur im Team und wir können Erfolge gemeinsam feiern. Es ist ein echter Teamsport – auch beim Thema ESG. Das kann nicht der Finanzbereich allein machen, das kann nicht HR allein machen, sondern das müssen wir im Team gemeinsam anpacken.

Ihre Branche ist in einer sehr innovativen und sich verändernden Welt unterwegs. Was macht Sie zum Changemaker und wie gelingt Transformation in diesem Umfeld?

Transformation braucht Mut. Ich sehe es heute als eine Kernaufgabe von HR an, mutig zu sein und Veränderung als Chance für Weiterentwicklung zu vermitteln – dabei spielen Offenheit und Transparenz seitens der Führungskräfte eine entscheidende Rolle. So können wir die Sorgen und Unsicherheiten der Kolleginnen und Kollegen möglichst zielgerichtet angehen, gemeinsame Lösungsansätze entwickeln und nachhaltige Motivation für Neues schaffen. Bestes Beispiel: das Engagement für mehr Nachhaltigkeit. Wir sehen darin keine Belastung oder Mehrarbeit, sondern die Gelegenheit, sich weiterzuentwickeln, neue Perspektiven zu entdecken und im Idealfall eine eigene Haltung und Motivation zum Thema zu entwickeln.

Sie haben gerade die Unsicherheiten in solchen Prozessen angesprochen. Wie nehmen Sie die Menschen mit?

Wir probieren derzeit viel aus, gerade im Bereich Künstliche Intelligenz, um zu schauen, wo sie uns unterstützen kann. Dabei ist unser Ansatz nicht, durch den Einsatz von KI möglichst viele Stellen einzusparen, sondern vielmehr effizienter zu sein und die Belegschaft in einigen Prozessen zu entlasten. Wenn das Ängste schürt, sehe ich es als die Aufgabe der Führungskraft, in den Dialog zu gehen und zu verstehen, woher diese Ängste rühren. Die Menschen aufklären und mitnehmen, das ist wichtig an der Stelle.

Freenet Campus, Hamburg Foto: freenet

Freenet Campus, Hamburg Foto: freenet

Welchen Einfluss wird KI Ihrer Ansicht nach auf die Arbeitswelt haben und auch auf ein Unternehmen wie Ihres?

KI wird die Art und Weise verändern, wie wir Aufgaben erledigen. Darauf fühlen sich momentan viele Mitarbeiter und auch Führungskräfte nicht vorbereitet. Daher ist es wichtig, dass wir uns als Unternehmen frühzeitig damit beschäftigen. Wir sagen, probiert es aus und lernt, wo KI helfen kann. Wenn man jetzt nicht dabei ist und jetzt nicht die Menschen im positiven Sinne bestärkt, KI zu erkunden, wird der Einstieg zu einem späteren Zeitpunkt immer schwerer. Man sollte jetzt mitmachen. Je früher der Einstieg, desto intuitiver ist der Umgang mit derartigen Technologien. Die Tochter einer Kollegin lädt Unterrichtstexte und Arbeitsblätter in ChatGPT und lässt sich daraus Probeklausuren erstellen, um dann ihre Lösungen wiederum von ChatGPT auswerten und verbessern zu lassen. Das ist völlig normal für die junge Generation. Denen müssen wir als Unternehmen auch einen Zugang bieten. Tun wir das nicht, verlieren wir als Arbeitgeber an Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit und folglich als Unternehmen an Produktivität. Daher ist es nun auch eine Aufgabe von HR, diese Themen im Unternehmen zu treiben und Menschen dafür zu begeistern.

Wie würden Sie den Purpose Ihrer Organisation beschreiben und kennt den auch wirklich jeder?

Wir haben unsere Mission intern im Unternehmen schon ziemlich gut verankert – über Schulungen und verschiedene tägliche Anknüpfungspunkte, auf die wir immer wieder schauen. Der Purpose in einem Telekommunikationsumfeld ist grundsätzlich ein bisschen schwerer. Wir haben Zugang zu allen Netzen, geben unseren Kunden Vielfalt und damit die freie Wahl, um den Anschluss zu einer digitalen Welt so einfach und intuitiv wie möglich zu gestalten. Wir haben ein Seniorenhandy, wir haben günstige Smartphones, wir haben nachhaltige Smartphones für die, die es möchten. Jeder soll maximale Flexibilität und Freiheit haben, um das digitale Leben bestmöglich bewältigen zu können.

Welche Eigenschaften und Kriterien sind für Sie persönlich bei der Auswahl von Führungskräften wichtig? Inwieweit zählt vielleicht die fachliche Expertise mehr als die Persönlichkeit oder umgekehrt?

Wir kommen aus einer Kultur, wo wir eher auf die Fachlichkeit geschaut haben. Heute achten wir mehr als früher auf Diversität: Haben wir eine Frau, die es kann und will? Das ist für uns ein wichtiger Punkt geworden. Wir befördern heute stärker kompetenzbasiert. Wir haben ein Modell in dem wir auch spezifische Führungskompetenzen definieren. Dazu gibt es strukturierte Interviews, in denen wir neben den fachlichen Kriterien auf die freenet Kompetenzen und speziell die Führungskompetenzen achten. Wichtig ist, dass wir bei der Auswahl nicht aufhören und danach die Führungskraft durch ein strukturiertes Onboarding begleiten.

Welches sind, abgesehen von KI, die Zukunftsfragen im HR?

Das ist vor allem die Frage: Wie schaffen wir Transformation? Wie arbeiten wir miteinander, wie lernen wir? Eine Mehrzahl der Führungskräfte glaubt, die Mitarbeitenden haben zu wenige digitale Skills. Aber welche sollen das denn genau sein? Wir sprechen gerade mit unseren Führungskräften darüber, um passgenaues Re- und Upskilling betreiben zu können. Wir haben ein übergreifendes Kompetenzmodell, aber die Übersetzung der Kompetenzen für die jeweilige Position ist Aufgabe der Führungskraft.  Wir müssen schauen, welches Team welche Skills und welche Ressourcen braucht. Damit verknüpft ist das Thema Lernkultur. Die Generation Z lernt zum großen Teil über Videos, die lesen weniger als die vorherigen Generationen. Also muss ich überlegen, wie transformiere ich meine Lernkultur, welche Werkzeuge benötige ich dafür.

CTA Executive Search Making The Difference Interview SerieWie bespielen Sie das Thema Lernen im Unternehmen konkret?

Wir machen sehr viel. Wir haben das Campusportal – ein LMS, wo man digital lernen kann und wir auch eigene Inhalte einstellen. Kolleginnen und Kollegen wünschen sich auch Wissensvermittlung über Begegnung und Austausch. Wir hatten zum Beispiel letztes Jahr das Format „Coffee und Coaching“. Ein Barista hat dir gezeigt, wie man guten Kaffee zubereitet und dazu gab es kollegiale Beratung auf Augenhöhe. Zudem gab es einen Reflect Day, wo Mitarbeitende sich damit beschäftigt haben, wo sie in ihrer Karriere/im Leben stehen, was sie brauchen, welches die nächsten Schritte sein könnten. Im Vertrieb gab es das Format Vertriebskünstlerinnen für Frauen mit dem Fokus der persönlichen Weiterentwicklung. Für Ausgleich sorgte eine Yogaeinheit. Wir veranstalten zudem das Format Lunch & Learn für Führungskräfte als kurze Einheiten während der Mittagspause. Und zu guter Letzt die täglichen Anknüpfungspunkte wie verschiedene Coachings, Trainings, Programme und Welcome Days für neue Mitarbeitende.

Zum Abschluss würden wir gerne wissen, welche drei Personen Sie mit auf eine Insel nehmen würden, um nach der Rückkehr eine noch bessere, erfolgreichere Führungskraft zu werden?

Ich würde gerne Anselm Grün mitnehmen. Das ist ein Benediktiner-Mönch. Für ihn steht der Mensch und seine Bedürfnisse im Mittelpunkt. Ich war auch schon bei ihm vor Ort im Kloster. Diesen Menschen kennenzulernen, hat was mit mir gemacht. Er hatte so eine Ruhe und eine Ausstrahlung. Außerdem würde ich meine Mutter mitnehmen, weil sie für mich ein Vorbild für unfassbar unaufgeregte Führung ist. Wir waren eine größere Familie. Sie hat einen extrem guten Wertekompass und die Gabe, ein wirklich stabiles und vertrauensvolles Umfeld zu schaffen. Die dritte Person wäre eine Start-Up-Gründerin im Tech-Bereich. Von ihr würde ich wissen wollen, wie sie den Mut aufbringt, gerade im Tech-Umfeld zu gründen. Und ich würde erfahren wollen, wie ihre Sicht auf das ist, was wir heute schon im Unternehmen umsetzen. Denn junge Frauen schauen nochmal ganz anders auf eine Organisation. Wir hätten einen guten Austausch auf dieser Insel.

Über die Gesprächspartnerin:

Nicole Engenhardt-Gillé (55) ist seit Anfang 2023 Vorständin der freenet AG. Dort verantwortet sie als CHRO alle Personalthemen und Nachhaltigkeits-Aktivitäten des börsennotierten Telekommunikationsunternehmens. Engenhardt-Gillé ist seit 2000 bei der freenet AG (damals freenet.de AG) und durchlief in ihrer Karriere verschiedene Leitungsebenen als Leiterin Recht, Beteiligungsmanagement sowie Personal. Seit 2009 ist sie als Head of Human Ressources verantwortlich für das Personal aller Gesellschaften der freenet AG und Mitglied in verschiedenen Aufsichtsräten. So war sie Vertreterin der leitenden Angestellten im Aufsichtsrat der freenet AG und ist aktuell im Aufsichtsrat der freenet DLS GmbH, der Media Broadcast GmbH und Mentorin der Stiftung Dialogstark. Die studierte Juristin hatte ihre Karriere im Jahr 1996 als Vorstandsassistentin der Sparkassen-Versicherung Sachsen begonnen.