„Wir rekrutieren einmal die Gesellschaft“ – Kerstin Wagner im Interview

„Wir rekrutieren einmal die Gesellschaft“ – Kerstin Wagner im Interview

Kerstin Wagner ist Executive Vice President Talent Acquisition bei der Deutschen Bahn und damit Leiterin der größten Recruiting-Organisation Deutschlands. Mit Ann-Kathrin Sieper und Frank Stein sprach sie über Active Sourcing, Candidate Experience und neue Quellen ihrer Inspiration.

Frau Wagner, wenn man sich dieser Tage die Streichliste deutscher Konzerne anschaut, könnte man meinen, die Personalnot sei passé. Durch welche Rahmenbedingungen wird die Recruiting-Organisation der Deutschen Bahn aktuell besonders stark beeinflusst?

Wir spüren weiterhin den Fachkräftemangel und den engen Arbeitsmarkt. Der aktuelle Konsolidierungsdruck hat keine direkten Auswirkungen auf das Recruiting der Bahn. Unser Arbeitsmarkt bleibt angespannt, weil schlichtweg weniger Arbeitskräfte verfügbar sind, auch perspektivisch.

Die Frage, wie wir als Arbeitgeberin DB immer besser und attraktiver werden können, beschäftigt uns deshalb intensiv. Es geht um Themen wie Kultur, Beschäftigungsbedingungen, Flexibilität und Nachhaltigkeit.

Kerstin Wagner Deutsche BahnWelche Zielgruppen liegen im Fokus Ihrer Recruiting-Arbeit?

Wir beschäftigen uns im Grunde mit allen Zielgruppen, da wir auch dieses Jahr wieder rund 30.000 Stellen in zahlreichen Bereichen besetzen – von 6.000 Ausbildungsplätzen bis hin zu spezialisierten Positionen wie Bauingenieuren, IT- und inzwischen natürlich KI-Experten. Hinzukommen die bahnspezifischen Berufe wie Lokführer, Service-Mitarbeiter oder Reinigungskräfte. Wir können sagen, wir rekrutieren einmal den Querschnitt der deutschen Gesellschaft.

Über welche Akquise-Strategien nähern Sie sich diesen Zielgruppen?

Wir entwickeln für unterschiedliche Zielgruppen jeweils passende Strategien – von der Ansprache über die Bilderwelten bis hin zu den Kanälen, die potentielle Interessenten nutzen. Dann gibt es Strategien wie beispielsweise unser Diversity-Recruiting. Hier gehören spezielle Maßnahmen für Frauen dazu, oder auch für ältere Mitarbeiter. Wir haben außerdem Programme für Flüchtlinge entwickelt, und wir rekrutieren mit unserer Cross-Border-Abteilung mittlerweile in zehn Ländern.

Welchen Stellenwert hat in diesem Zusammenhang Active Sourcing?

Active Sourcing ist von Anfang an im Recruiting-Prozess relevant. Jeder Recruiter sollte grundlegende Active Sourcing Skills beherrschen. Daneben haben wir spezialisierte Active Sourcer beschäftigt, die zielgruppenaffin aufgestellt und in der jeweiligen Community verankert sind.

Mit welchen Active-Sourcing-Initiativen haben Sie bereits positive Erfahrungen gesammelt?

Die Frage ist immer, wie gut verstehen wir unsere Zielgruppe? Wie schnell, responsiv und kandidatenfokussiert sind wir? Und welche Technologie nutzen wir, um sowohl eine gute Customer Experience zu ermöglichen als auch uns selbst die Arbeit leichter zu machen?

Dabei setzen wir operativ auf Talentpools, die Rekrutierung von ehemaligen Mitarbeitenden und Instrumente wie den DB-Job-Kompass für die Berufsberatung. Außerdem schauen wir auf technologische Veränderungen im Recruiting wie Virtual Reality und das Metaverse.

“Die Bedeutung menschlicher Interaktion bleibt dabei unbestritten: Der Mensch steht im Fokus.”

Welche Maßnahmen zur Verbesserung speziell der „Customer Experience“ haben Sie implementiert?

Unser Kunde ist der Kandidat. Wir setzen auf sinnvolle, moderne Kampagnen und ein positives Image, wobei unser nachhaltiges Produkt eine exzellente Ausgangsposition bietet. Wir haben zu einem sehr frühen Zeitpunkt die Anschreiben abgeschafft, weil wir der Meinung waren, dass sie für die Kandidaten die größten Aufwandstreiber sind und Künstliche Intelligenz es ohnehin perspektivisch besser schreiben kann. Und wir haben einen Chatbot integriert, um auch außerhalb der üblichen Arbeitszeiten ansprechbar zu sein.

Die Bedeutung menschlicher Interaktion bleibt dabei unbestritten: Der Mensch steht im Fokus. Recruiter nehmen Kontakt mit Kandidaten auf, um informell über die offene Stelle zu sprechen. Recruiting-Tage und Jobcenter an den Bahnhöfen bieten Einblicke hinter die Kulissen. Unsere Botschaft an potenzielle Kandidaten lautet: Lernt uns einfach kennen!

ICE - Deutsche Bahn - Foto: Deutsche Bahn AG / Dominic Dupont

Foto: Deutsche Bahn AG / Dominic Dupont

Als größte Recruiting-Organisation Deutschlands dürfte Ihr Benchmark eher international als innerhalb des DAX zu verorten sein. Wie gelingt Ihnen immer noch Innovation?

Unsere Organisation – mit Governance und Operations unter einem Dach – liefert uns täglich das Anschauungsmaterial und erhöht unsere Geschwindigkeit enorm. Auch fördern wir kontinuierlich Innovation und Lernfähigkeit, etwa durch wöchentliche Lernstunden und eine Bottom-up-Strategieentwicklung, in die sich jeder aktiv einbringen kann. Ich selbst nehme mir eine Stunde pro Monat Zeit, um mit neuen Kollegen im Rahmen ihres Onboardings in den Austausch zu kommen – und wenn die Idee noch so verrückt ist, ich möchte sie hören.

Von wem oder wovon schöpfen Sie persönlich Inspiration?

Gesellschafts- und Techtrends sind mein tägliches Lernfeld. Ich suche Inspiration außerhalb des Unternehmensumfelds, bei Technologieexperten, Innovatoren, Spitzensportlern oder Sterneköchen.

Und was ist Ihr persönliches Ziel für die Recruiting-Organisation der Deutschen Bahn im Jahr 2024?

Mein Lieblingsthema ist Technologie und ihr sinnvoller Einsatz. Auch die Förderung von Diversität liegt mir am Herzen, deshalb freue ich mich, dass wir im März nicht nur den Weltfrauentag, sondern einen ganzen Weltfrauenmonat gefeiert haben.

Frau Wagner, vielen Dank für das Gespräch.