Perspektiven für die „People Company“

Perspektiven für die „People Company“

Mit digitaler Transformation, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Klima- und gesellschaftlichem Wandel stehen Unternehmen vor einer Welle von Herausforderungen, die vor allem erhöhte Anforderungen an die Personalqualität und somit letztendlich an die Personalfunktion stellen. Wenngleich Personalthemen strategisch hochrelevant seien, werden sie von der derzeitigen organisatorischen Ausrichtung vieler Personalbereiche nicht angemessen widergespiegelt. Mit dem Konzept der HR-Funktion als People Company erweitern sie die verengte Sicht auf Organisationsmodelle und richten den Blick auf den Purpose der HR-Funktion und wollen HR-Prozesse zu Geschäftsmodellen bündeln, die dabei einen unternehmerischen Zweck abbilden.

Sollten wir die HR-Funktion neu denken? Zugegeben: Neu denken, überdenken, umdenken – diese Appelle haben inzwischen Patina angesetzt. Digitalisierung ist längst die Norm: Wir befinden uns inmitten der zweiten Welle der digitalen Revolution, die schon seit den frühen 2000er Jahren zahlreiche Geschäftsmodelle daten- und plattformbasiert geprägt und sukzessive die industrielle Automatisierung und Vernetzung bewirkt hat.

Diese insgesamt robuste Entwicklung deutscher Mittelständler und Konzerne wird allerdings herausgefordert – zum einen durch die beiden „schwarzen Schwäne“ Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg mit ihren gravierenden Folgen für Lieferströme, Energieversorgung und Handelspartnerschaften. Zum andern fordern Klimawandel und Nachhaltigkeitszeile, neue Arbeitsformen und Diversität eine tiefgreifende Kulturtransformation in den Unternehmen. Und nicht zuletzt führen global enge Arbeitsmärkte in allen Jobrollen zu einem Vakanzenstau mit Umsatzeinbußen, Mehrkosten und einem Anstieg ungewollter Fluktuation aufgrund attraktiver Wechseloptionen.

Die Lieferanforderungen an die HR-Funktion sind klar – und nehmen weiter zu. Während in der Pandemie ihre Positionierung durch ein erfolgreiches Krisenmanagement getrieben worden ist, sieht sie sich augenblicklich mit erhöhten Anforderungen an den Personalbedarf auf gesamtunternehmerischer Ebene konfrontiert. People-Themen sind also hochrelevant – aber werden von der derzeitigen organisatorischen Ausrichtung vieler Personalbereiche nicht angemessen gespiegelt.

Schwachstellen bisheriger HR-Organisationen

In der aktuellen HR-Strategie- und -Organisationsstudie, die wir gemeinsam mit SAP durchgeführt haben, dominieren in den Veränderungsrichtungen von Unternehmen die Einführung von New Ways of Working, gravierende IT- und Digitalisierungsprojekte sowie die strategische Weiterentwicklung des (Geschäftsbereichs-) Portfolios (in jeweils 68 Prozent der befragten Unternehmen). Dem gegenüber haben Kultur- und Wertethemen (35 Prozent) sowie agile Organisationsentwicklung (31 Prozent) augenscheinlich weniger hohe Bedeutung (Abb. 1).

Abbildung 1: Derzeitige Veränderungsrichtungen von Unternehmen

Dieses gemittelte Bild mag sich durch akute Krisen verändern – wohl aber nicht die daraus resultierenden langfristigen HR-Anforderungen an Arbeitgeberattraktivität und Führungsqualität, Talent- und Kompetenzentwicklung, Personalplanung und Transformation abschwächen.

Stellt sich die Frage, inwiefern die HR-Organisation diese Anforderungen angemessen reflektiert: Das derzeitige organisationale Set-up der HR-Funktion im DACH-Raum zeigt mehrheitlich eine Ausprägung von Mehr-Säulen-Modellen, die grundsätzlich der Logik von Dave Ulrich folgen und durch die Gründung von Factories mit Ende-zu-Ende-Verantwortung, Steuerungseinheiten oder Bereiche für die Begleitung speziell von oberen Führungskräften erweitert werden können. Unseren regelmäßigen Erhebungen zufolge arbeitet rund ein Viertel der HR-Funktionen aber immer noch in Funktionalorganisationen mit Referenten- und Betreuungsrollen. Mindestens ein Drittel ist auf der Suche nach disruptiven Lösungen rund um agile Strukturen oder radikal veränderte, integrierte Rollen.

All diese Organisationsmodelle haben gemeinsam, dass sie den Blick auf das „ideale“ Organisationsmodell für die spezifische HR-Funktion im gegebenen Unternehmen verengen – weil sie sich schwierig auf individuelle Ausprägungen von gesamtunternehmerischem Steuerungsmodell, Divisionen- und Regionenbedeutung, Größenordnungen und lokale Strukturen einstellen können.

Auf diese Weise wird ein auf den ersten Blick vermeintlich glasklares Modell hoch anspruchsvoll in punkto Governance und Verantwortlichkeiten (unter Berücksichtigung von lokalen Arbeitsmärkten, Gesetzteslagen und Belegschaften), Ressourcenzuordnung auf HR-Prozesse, Fragen globaler IT-Anforderungen und digitaler Kundenerlebnisse. Zusammenfassend leiten sich daraus die folgenden wesentlichen Schwachstellen der derzeitigen organisatorischen Ausrichtung ab:

    • Mangelnde Ende-zu-Ende-Verantwortung für wesentliche und durchaus komplizierte, aber standardisierbare HR-Prozesse (bspw. Recruiting, Learning oder Changemanagement).
    • Unbefriedigende Business-Partner-Rollen aufgrund administrativer Restaufgaben und generalistischer Dienstleisterausrichtung.
    • Kompromisse in der Umsetzung der drei großen Organisationssäulen; riskante Mischrollen und groß angelegte Standortpersonalabteilungen.
    • Geringer Reifegrad der Daten- und IT-Systemarchitekturen in Verbindung mit benutzerunfreundlichen Oberflächen.
    • Geringe Attraktivität der HR-Funktion mit wenig Diversität hinsichtlich hochkarätiger strategischer, beratungsorientierter und digitaler Kompetenzen.
    • Wechselhafte Positionierung auf Vorstandsebene und Kostendruck bei gleichzeitig wachsender Aufgabenvielfalt.

People Company – Kein neues Strukturmodell

Die aktuellen und zukünftigen Anforderungen an das People Management werden die HR-Funktion in ihrer Aufstellung herausfordern. Neben den klassischen Lösungen der Mehr-Säulen-Modelle und der neueren, agilen Rollenzuordnung prägen wir mit dem Begriff der „People Company“ ein verändertes, deutlich stärker unternehmerisches Set-up mit konsequent anderer Steuerung und selektiv anderen Kompetenzprofilen.

Zuerst und vor allem ist das Konzept der HR-Funktion als People Company kein Vorschlag für ein neues Strukturmodell: Es setzt an HR-Prozessen an und bündelt sie zu Geschäftsmodellen, die einen unternehmerischen Zweck abbilden. Aus isolierten HR-Prozessen, die von verschiedenen HR-Rollen mit Prozessschnitten erbracht werden, entwickeln sich Leistungsbündel mit Kriterien wie Kunden- und Produktmanagement, Ende-zu-Ende-Verantwortung und Output-Messung, kompetenzbasierter Personalstruktur und wettbewerbsorientierte Verrechnungspreise. Eine Operationalisierung dieser Geschäftsmodelle findet sich in Abbildung 2.

Abbildung 2: Operationalisierung von HR-Geschäftsmodellen

 

 

Wenn die HR-Funktion diese Geschäftsmodelle entwickelt und betreibt, hat das Implikationen für deren Gesamtsteuerung (Abb. 3). Organisatorisch setzt sie sich zusammen aus den Geschäftsmodelleinheiten sowie einer schlanken Strategie- und Steuerungs- mit integrierter CoC-Einheit, ggf. auch einer spezialisierten IT- und Digitaleinheit. Unterschiede zu funktionalen, Mehr-Säulen- und agilen Modellen ergeben sich aus der autonomen Ausgestaltung spezifischer Strukturen, Jobarchitekturen und Personalausstattungen je nach HR-Geschäftsmodell. Für jedes dieser Geschäftsmodelle wird eine Kundenschnittstelle definiert, die von einer Key-Account-Manager-Rolle (analog dem HR Business Partner) bis zu integrierten Customer Solutions-Teams reichen kann.

Auf der Kundenseite lässt sich ein theoretisches One-Face-to-the-Customer-Prinzip (welches schon heute in den Mehr-Säulen-Modellen erodiert) nicht abbilden, wobei:

  • das transaktionale Geschäftsmodell eine digitale Kundenschnittstelle ausbilden wird und zunehmend alle Senioritätsebenen (auch die Managementlevel) erfassen wird.
  • das People-Supply-Chain-Geschäftsmodell eine Schnittstelle beansprucht, wahrscheinlich aber sogar besser – integriert mit Divisionen – in Form agiler Solution Teams (bestehend aus HR-Experten und Kundenvertretern) funktioniert und somit der Forderung nach Geschäftsnähe nachkommt.
  • das transformationale, beratungsorientierte Geschäftsmodell auf einer strategischen HR-Business-Partner-Rolle basiert, welche projektorientierte Leistungspakete im Wettbewerb mit People- und Organisationsberatern platziert und den Wettbewerbsvorteil von Unternehmenskenntnis und Ressourcenverfügbarkeit mitbringt.

Abbildung 3: Erfolgsfaktoren der HR-Funktion

Abschied von Headcount-Ratios und HR-Kostenzielen

In der HR-Funktion als People Company sind Verselbständigungen mit externer Marktbearbeitung nicht ausgeschlossen (auch das ist die Verwirklichung einer unternehmerischen Vision), sie stellen aber kein Konstruktionsprinzip dar. Aus einem zentralen HR-Budget oder Umlagemodell wird ein Performance-Return-Modell, was vollständig durch die Kundenseite gesteuert wird. An die Stelle übergeordneter normativer Headcount-Ratios oder HR-Kostenzielen treten kundengetriebene Investitionen in klare Leistungspakete. Wenn People- und Transformationsthemen höchste Geschäftsrelevanz haben, werden aus generellen Verwaltungs- und HR-Kosten geschäftsgesteuerte und -notwendige Investitionen.

 

Die Ausdifferenzierung und Transparenz der HR-Wertbeiträge mit Output- und Kundenfokussierung tragen diesen sich verändernden Investitionsbedarfen Rechnung; falls sie die Rentabilität einzelner Geschäftsbereiche gefährden, sind Leistungseinschränkungen und Geschäftsmodellanpassungen erforderlich. Analog zur Personalkostenzuordnung der Geschäftsbereiche sind Investitionen in die Geschäftsmodelle somit Teil der Erfolgsrechnung – und folgen der Verrechnungslogik und Allokation der IT-Funktion. Aus großen Zentralbereichen mit generischen Governance-Ansprüchen werden somit Business-HR-Bereiche, die durch schlanke Strategie- und Steuerungseinheiten gebündelt werden.

 

Fazit: Next Level HR

Die Versuchung ist groß, angesichts bestehender Leistungs- und Kostenprobleme der HR-Funktion im Schwerpunkt die Besetzung von HR-Schlüsselpositionen oder das HR-Struktur- und Zusammenarbeitsmodell auf den Prüfstand zu stellen. Das hat je nach Reifegrad, Komplexität und Veränderungsdynamik des Unternehmens und seiner Geschäftsbereiche sicher nach wie vor seine Berechtigung. Damit geschäftsgetriebene HR-Innovationen und -Leistungsanpassungen auf Augenhöhe mit den Geschäftsbereichen entstehen, benötigt eine zukunftsfähige HR-Funktion neue Kompetenzprofile und den Mut zu disruptiven Entwicklungsschritten.

Das Konzept der People Company ist kein festgesteckter Rahmen – insbesondere die Organisationsausrichtung muss die gegebenen Unternehmensstrukturen berücksichtigen und einen personellen Mindestrahmen umfassen. Das Konzept betrifft vor allem die Veränderung des Purpose der HR-Funktion und kann als dynamischer Entwicklungsprozess verstanden werden. Der kann bereits mit ausgewählten Maßnahmen des beschriebenen Performance Grids starten, die nicht notwendigerweise Strukturauswirkungen haben und durchaus niederschwellig eingeführt werden können. Allerdings ist für diesen businessorientierten Transformationsprozess ein Commitment im HR-Führungsteam erforderlich – entwickelt im Rahmen des eigenen Strategieprozesses und ausgerichtet auf ein durchaus disruptives Zielbild.

 

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in Ausgabe 11 des Fachmagazins “Personalführung” der DGFP.