„Transformation gelingt nur mit Fokus“

„Transformation gelingt nur mit Fokus“

Claudia Tuchscherer hat in ihrer langen Karriere schon viele Transformationsprojekte in der Versicherungsbranche begleitet. Sie weiß: Erfolg gibt es nur dann, wenn man selbst fokussiert bleibt, aber zugleich flexibel genug ist, auf Veränderungen zu reagieren. Das hilft ihr auch bei der Leitung einer Assekuranz mit mehr als 600 Mitarbeitenden und rund 22 Millionen Kundenverträgen. Im "Making The Difference"-Interview mit Kienbaum Senior Consultant Bettina Felk, spricht sie über ihr Führungsverständnis.

Wie lautet Ihr Führungsverständnis auf den Punkt gebracht?

Claudia Tuchscherer, ADAC Versicherung AG

Claudia Tuchscherer, Vorstandsvorsitzende ADAC Versicherung AG

Aus meiner Sicht ist Führung immer sehr abhängig von der Situation und dem jeweiligen Gegenüber. Als Führungskraft bin ich Unterstützerin, Beraterin, aber eben auch Entscheiderin – je nachdem, was die Situation erfordert. Mein Führungsverständnis ist es, in der jeweiligen Situation adäquat zu agieren und mit Einfühlungsvermögen und Flexibilität auf die jeweilige Herausforderung zu reagieren.

Wie wurden Sie, was Sie sind als Führungskraft? Was oder wer hat Sie geprägt?

Meine Mutter war die erste Führungskraft, die mich schon in frühen Jahren geprägt hat. Sie ist Hautärztin mit eigener Praxis und selbst noch im hohen Alter mit Leidenschaft tätig. Aber auch meine erste Abteilungsleiterin gehört zu meinen Vorbildern. Sie hatte einen unkonventionellen und trotzdem verbindlichen Führungsstil. Das hatte mich damals beeindruckt und geprägt. Es war für mich immer selbstverständlich, dass Frauen gute Führungskräfte sein können. Seit vielen Jahren beeinflusst mich auch mein Mann. Er ist ein sehr kundiger und weiser Berater in allen Führungsfragen.

Was ist Ihr USP als Führungskraft?

Ich will eine authentische und nahbare Führungskraft sein, die sichtbar Spaß an der Arbeit hat. Ich arbeite sehr gern im Team. Wir sind fröhlich, wir lachen viel. Wenn ich mal Kritik äußern muss, tue ich das deutlich und direkt, aber immer charmant. Ganz wichtig ist mir eine gute Fehlerkultur. Fehler sind zulässig, wir lernen aus ihnen, und mir fällt kein Zacken aus der Krone, eigene Fehler zuzugeben. Gleichzeitig liegt mir sehr viel daran, keine Helikopter-Managerin zu sein. Ich will Entscheidungen bewusst treffen und dafür verstehen, worum es geht. Ich habe keine Scheu, mich an den Arbeitsplatz von Mitarbeitenden zu setzen und mir live zeigen zu lassen, wie Prozesse aussehen oder auch selbst anzupacken.

Was bedeutet für Sie Führung in der VUCA-Welt?

Das Führen in den heutigen Zeiten ist zunehmend von Unsicherheit und Komplexitäten geprägt. Wir erleben gerade eine Zeit mit globalen Wirtschaftskrisen, Kriegen und finanziellen Unwägbarkeiten. Führung in dieser Zeit erfordert aus meiner Sicht die Fähigkeit, Komplexität zu reduzieren. Das heißt, sich selbst und die Mannschaft auf die wesentlichen Handlungspunkte zu fokussieren. Das heißt auch, klar zu sagen, dass wir als Management nicht alles wissen und können, dass wir aber in diesen unsicheren Zeiten Rückhalt, Unterstützung und Anleitung geben.

Wie wirkt sich der Wandel zu mehr nachhaltigem Wirtschaften auf Ihre Arbeit aus?

Auch in Versicherungsunternehmen spielt Nachhaltigkeit eine ganz große Rolle. Da geht es nicht nur um Umwelt-Aspekte oder nachhaltige Kapitalanlage. Es geht ganz besonders – und das liegt mir sehr am Herzen – um die Förderung von Diversität, um Frauen in Führung. Es geht um moderne Arbeitszeitmodelle und um gleichberechtigte Teilhabe aller Geschlechter. Und nicht zuletzt treibt uns die Digitalisierung um: Wenn wir unsere Abläufe elektronisch durchführen können, sparen wir Papier und Rohstoffe für den Druck. So können wir nachhaltiger wirtschaften.

Wie gelingt Transformation?

In Zeiten der Veränderung sind Führungskräfte enorm gefragt. Eine erfolgreiche Transformation erfordert das Bewusstmachen und das Werben für die Sache in der Mitarbeiterschaft. Es muss allen klar sein, warum wir eine Transformation brauchen und was sich dann im Ergebnis für alle ändert, was idealerweise für die Kollegen auch besser wird.

Welche elementare Aufgabe hat hierbei die Führungskraft?

Unternehmen müssen sich fokussieren. Das bedeutet, dass es gerade bei großen Transformationsprojekten extrem wichtig ist, dass die Entscheider diese mit strikter Vorfahrt belegen und den vorgeschriebenen Weg beschreiten, ohne sich von anderen Themen ablenken zu lassen. Das Thema Change spielt während der gesamten Transformation eine große Rolle. Es genügt nicht, etwa am Anfang eines Change-Programms in einer Betriebsversammlung zu den Mitarbeitenden zu sprechen und danach die Dinge laufen zu lassen. Es ist wichtig, die Kollegen in den jeweiligen Transformationsbereichen eben auch tatkräftig zu unterstützen, immer wieder am Ball zu bleiben, Probleme zu besprechen und gemeinsam Lösungen zu finden. Nur mit dieser gleichbleibend hohen Management Attention kann Transformation gelingen.

Wie würden Sie den Purpose Ihrer Organisation beschreiben? Ist dieser allen Mitarbeitenden klar und wie wird dieser operationalisiert?

Der Zweck der ADAC-Versicherung ist natürlich eng verknüpft mit dem Purpose des ADAC insgesamt. Hier steht das Helfen im Mittelpunkt. Der ADAC hilft den versicherten Mitgliedern rund um ihre Mobilität – und das seit vielen Jahrzehnten mit viel Leidenschaft und großer Expertise. Der Helfergedanke ist bei uns zu Recht sehr ausgeprägt.

Welche Haltung und welche Skills benötigen Sie, um Wachstum für sich persönlich und Ihre Organisation in Zukunft zu ermöglichen?

Ich meine, dass gesunder Menschenverstand hilft. Viele Ideen und Ansätze treffen häufig auf zu wenig Bedarf, sind nicht kundengerecht und werden deshalb auch nicht angenommen. Wichtig sind aber auch Neugier, Leidenschaft für die Wachstumsthemen und immer das Interesse daran, den Kunden die bestmöglichen und bedarfsgerechtesten Angebote und Services zu bieten.

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Welche drei Personen würden Sie mit auf eine einsame Insel nehmen, um nach Rückkehr eine noch bessere Führungskraft zu werden?

Zum einen Elon Musk, denn er hätte bestimmt eine gute technische Idee, wie ich wieder von der Insel herunterkomme. Im Ernst: Er ist eine ambivalente Führungskraft, und ich könnte vielleicht noch ein paar Dinge von ihm lernen, wie Führung besser nicht gelebt wird. Die zweite Person wäre Kamala Harris, denn sie steht als US-Vizepräsidentin noch zu sehr im Schatten von Präsident Biden. Ich denke, dass viel mehr in ihr steckt. Genau das würde ich erleben wollen. Als drittes noch Barbara Schöneberger, denn auf einer einsamen Insel sollte man auch Spaß haben. Mit ihr könnte ich sicher viel lachen.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für die Versicherer in den kommenden Jahren?

Zuerst einmal ist da die Inflation, die ja viele Unternehmen im Moment wirklich drückt. Eine weitere große Herausforderung schon seit einigen Jahren ist der Fachkräftemangel und natürlich auch die Frage, wie wir gutes Personal akquirieren, gut ausbilden und halten können. Herausfordernd bleibt aus meiner Sicht die Digitalisierung. Viele Versicherungen haben hier schon einen guten Weg beschritten, aber es ist immer noch eine weite Reise. Das gilt auch für die ADAC-Versicherung. Wir sind mitten in einer großen IT-Transformation, die uns noch einige Jahre im Atem halten wird.

 

Über die Gesprächspartnerin:

Claudia Tuchscherer ist Vorstandsvorsitzende der ADAC Versicherung AG. Außerdem steht sie dem Aufsichtsrat der ADAC Autoversicherung vor. Die Juristin ist seit über 21 Jahren im Versicherungsgeschäft tätig, davon mehr als 19 Jahre in verschiedenen Führungsfunktionen sowie als Strategie- und Prozessberaterin nationaler und internationaler Transformationsprojekte. Ihre Karriere begann Tuchscherer bei der Allianz. Später wechselte sie in die SV Sparkassenversicherung und verantwortete dort zuletzt als Hauptabteilungsleiterin das Controlling, die Versicherungsmathematik, die Produktentwicklung und die IT-Koordination der Sachversicherungssparte des Unternehmens. Seit 2020 ist sie im Vorstand der ADAC Versicherung tätig, seit 2022 als Vorstandsvorsitzende.

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