Analyse
2. Dezember 2025
|4 Minuten Lesezeit
Mehr Transparenz, Verantwortung, Dialog: Das neue Auskunftsrecht der EU-Entgelttransparenzrichtlinie
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Ab Juni 2026 wird es ernst: Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie tritt in Kraft und bringt umfassende Veränderungen für Unternehmen mit sich. Neben der Pflicht zur Offenlegung von Kriterien zur Entgeltfindung und der Erstellung und Veröffentlichung umfangreicher Berichte zu Entgeltlücken, kommt eine weitere Neuerung mit potenziell großen Auswirkungen: das Auskunftsrecht der Mitarbeitenden. Was auf den ersten Blick wie eine bekannte Regelung aus dem deutschen Entgelttransparenzgesetz wirkt, hat es bei genauerem Hinsehen in sich. Die neue Ausgestaltung verspricht deutlich mehr Wirkung und fordert HR-Abteilungen sowie Führungskräfte.
Ein neues Auskunftsrecht mit Wirkung
Bereits heute haben Mitarbeitende in Deutschland das Recht, Auskunft über den Median des durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelts von Kolleg:innen in gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit zu erhalten. Doch die EU-Richtlinie geht darüber hinaus. Künftig erhalten Mitarbeitende Informationen zur Entgelthöhe innerhalb der Vergleichsgruppe – aufgeschlüsselt nach Geschlecht. Frauen sehen also nicht nur das Gehalt ihrer männlichen Kollegen, sondern auch das der Frauen in vergleichbarer Position. Und auch Männer erhalten diese differenzierte Auskunft. Damit verdoppelt sich die Vergleichsgrundlage. Das bedeutet: mehr Transparenz, mehr Vergleichbarkeit und ein klareres Bild der eigenen Position im Vergütungssystem.
Datenschutz vs. Transparenz: ein Spannungsfeld
Ein weiteres Novum: Die EU-Richtlinie sieht keine Mindestanzahl von Vergleichspersonen mehr vor. Bisher galten im deutschen Recht mindestens sechs Vergleichspersonen als Voraussetzung für Auskünfte, um die Anonymität zu wahren. Eine solche Schwelle wird in der EU-Richtlinie nicht genannt. Damit stehen Arbeitgeber vor einem Spannungsfeld zwischen Datenschutz und Transparenz. Es ist zu erwarten, dass Gerichte hier noch präzisierende Urteile fällen müssen, aber klar ist schon jetzt: Die Anforderungen an den Datenschutz und die rechtssichere Kommunikation steigen erheblich.
Zwei Monate Frist – und viele Fragen
Auch die Frist für die Auskunftserteilung ist neu geregelt: Unternehmen müssen innerhalb von zwei Monaten reagieren. Diese scheinbar großzügige Zeitspanne kann – insbesondere bei hohen Anfragevolumina oder komplexen Gehaltsstrukturen – zu einer echten Herausforderung werden. Denn die Bereitstellung der Daten ist nur ein Teil der Aufgabe. Ebenso wichtig sind die rechtlich einwandfreie Formulierung, die strategisch kluge Einordnung der Informationen und eine professionelle Kommunikation.
Die Auskunft ist kein rein administrativer Akt, sondern erfordert eine sorgfältige Vorbereitung – technisch, organisatorisch und kulturell. Zunächst sollte im Unternehmen die Prozessfrage klar beantwortet werden. Welche Datenbasis nutzen wir für die Auskünfte? Wo wird die Anfrage gestellt und wer ist verantwortlich für die Bearbeitung? Und wichtiger noch, wer übergibt die Auskunft an die Mitarbeitenden? Ist es HR oder die Führungskraft? Wie gewährleisten wir rechtssichere und einheitliche Kommunikation? Gibt es standardisierte Textbausteine oder individuelle Bewertungen? Und vor allem: Wie bereiten wir unsere Führungskräfte auf Gespräche vor, in denen auf einmal viel mehr Informationen auf dem Tisch liegen?
Vom Pflichtprozess zum strategischen Moment
Und hier beginnt der eigentliche Kulturwandel. Denn was bislang ein oft formalistisch abgehandelter Prozess war, entwickelt sich zum strategischen Moment im Employee Lifecycle. Es ist gut vorstellbar, dass Mitarbeitende künftig gezielt vor Gehaltsgesprächen von ihrem Auskunftsrecht Gebrauch machen, um fundierter in die Verhandlung zu gehen. Die bisherige Informationsasymmetrie zwischen Mitarbeitenden und Führungskraft wird kleiner. Das verändert die Dynamik von Vergütungsgesprächen nachhaltig. Wer verhandelt, kennt nicht mehr nur das eigene Gehalt, sondern auch die Durchschnittswerte der Kolleg:innen – nach Geschlecht differenziert. Das stärkt die Argumentationsposition der Mitarbeitenden und erhöht den Druck auf Führungskräfte, gut vorbereitet, argumentationsstark und transparent zu agieren.
Führungskräfte als Übersetzer:innen zwischen System und Kultur
Damit rückt die Rolle der Führungskraft in der Gehaltskommunikation ins Zentrum.
Sie müssen nicht nur Zahlen kennen, sondern auch Strukturen erklären, Entscheidungen begründen und Werte vertreten.
Das erfordert:
• Fachliche Sicherheit zu Vergütungslogiken und rechtlichen Rahmenbedingungen
• Kommunikative Kompetenz, um sensibel und souverän mit Fragen und Emotionen umzugehen
• Eine klare Vergütungsstruktur, die Orientierung und Handlungssicherheit bietet
Wenn Führungskräfte diese Rolle professionell ausfüllen, können sie viele Unsicherheiten eigenständig beseitigen – und so HR und Rechtsabteilungen entlasten.
Fazit
Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie fordert nicht nur Berichte und Auskünfte, sondern ein grundsätzliches Umdenken in der Vergütungspolitik. Sie rückt Fragen der Fairness, Nachvollziehbarkeit und Führung ins Zentrum. Das neue Auskunftsrecht ist ein zentraler Hebel für kulturelle Veränderung. Es stärkt die Position der Mitarbeitenden, erhöht den Transparenzdruck und erfordert neue Fähigkeiten auf Seiten der Führungskräfte. Unternehmen tun gut daran, diese Entwicklung nicht nur als Pflicht, sondern als Chance zu begreifen: für mehr Fairness, mehr Dialog und ein moderneres Vergütungssystem. Wer jetzt die richtigen Weichen stellt, ist nicht nur compliant, sondern auch zukunftsfähig.

PoV: Entgelttransparenz pragmatisch umsetzen
Transparenz entfaltet Wirkung nur, wenn sie verstanden und akzeptiert wird. Deshalb sollten Kommunikation und Change-Begleitung von Beginn an mitgedacht werden. Weitergehende Gedanken zu diesem Thema erhalten Sie in unserem aktuellen Point of View „Transparenz braucht Führung – Wie Sie die Anforderungen zur Entgelttransparenz pragmatisch umsetzen“
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