Walter Jochmann über Resilienz, Transformation & Verantwortung in HR
Die Herausforderungen für Unternehmen und ihre HR-Funktionen spitzen sich weiter zu. In seiner traditionellen Rede zur Lage der HR-Nation auf der People Convention 2025 beschreibt Kienbaum Managing Director Prof. Dr. Walter Jochmann ein Bild tiefgreifender gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und technologischer Umbrüche – und die Rolle, die HR dabei einnehmen muss.
Kienbaum Redaktion
Schon die Planung der diesjährigen Konferenz sei unter dem Eindruck einer zunehmenden Fragilität erfolgt. Jochmann erinnert an eine Diskussion mit Personalverantwortlichen der Industrie, bei der deutlich wurde, dass der Standort Deutschland für Massengüterproduktion nur durch massive Transformationen wirtschaftlich zu erhalten sei. Die Frage der Wettbewerbsfähigkeit präge deshalb alle weiteren Überlegungen. In einem „stürmisch-dynamischen” Umfeld brauche es neben Anpassungsfähigkeit vor allem Resilienz – und hier sei HR gefordert, eine „wirklich starke, gestaltende” Rolle zu übernehmen.
Unternehmen dürften sich, so Jochmann, nicht nur an der Oberfläche verändern, sondern müssten tiefgreifende strukturelle, technologische und kulturelle Wandlungen gestalten: mit HR als „Accelerator und Impulsgeber”. Gerade angesichts geopolitischer Spannungen, Digitalisierungsschüben und der wachsenden Unsicherheit in der Gesellschaft sei ein „Reiten der Welle” statt bloßer Reaktion oder gar Rückzug notwendig.
Von den “Vier D” zu verschärften Herausforderungen
Besonders deutlich wird die Verschärfung der Lage in Jochmanns Weiterentwicklung der bekannten Megatrends: Aus Disruption wird Danger (Kriegsgefahr, Arbeitslosigkeit), aus Digitalisierung wird Degenerierung (Krieg als wieder akzeptiertes Mittel). Diese dramatische Zuspitzung verdeutliche, dass sich HR nicht mehr nur mit klassischen Transformationsthemen beschäftigen könne, sondern fundamentale gesellschaftliche Verwerfungen mitdenken müsse.
Vier Handlungsfelder – konkrete Zahlen, viele Baustellen
Vier zentrale Handlungsfelder identifiziert Jochmann in diesem Zusammenhang: Standort- und Standortbedingungen, Belegschaftsstruktur und Fachkräftemangel, Kosten- und Regulierungsdruck sowie Führungs- und Veränderungsfähigkeit. Trotz drei Millionen Arbeitsloser fehlten 350.000 Fachkräfte, gleichzeitig sinke die Veränderungsbereitschaft der Führungsebenen.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Fehlzeiten sind von 11,5 Tagen in der Corona-Zeit auf 19,5 Tage in 2024 gestiegen. Psychische Belastungen erreichen Höchststände. Die HR müsse sich stärker mit den „People Risks” beschäftigen – von Arbeitgeberattraktivität bis zur gesundheitlichen Stabilität.
Jochmann verweist auf aktuelle Studienergebnisse: Nur 6 % der Unternehmen sähen sich selbst als Gewinner mit hohem Wachstumspotenzial, aber rund 40 % steckten mitten in großen Transformationsprojekten. Diese drehten sich um vier Kernbereiche: Organisationsentwicklung, Digitalisierung, Geschäftsmodellentwicklung und Kulturwandel. Besonders betont er dabei die Notwendigkeit, Transformation nicht nur strategisch, sondern auch kulturell und kommunikativ zu begleiten: „der Eisberg ist real”.
Doch: Die eigene Transformationsfähigkeit der Unternehmen bleibe oft hinter den Anforderungen zurück. Entscheidende Faktoren wie glaubwürdige Boards, strategische Flexibilität oder geschäftsnahe Führung seien vielfach nicht voll entwickelt. Auch die HR selbst entwickle sich nur „in ganz, ganz kleinen Schritten” weiter, sowohl in ihrer Exzellenz, als auch in ihrer Struktur.
HR’s kritische Selbstreflexion: Wo stehen wir wirklich?
Jochmann führt der HR-Community ihre eigenen Defizite vor Augen: Nur 50 % erfüllen nach Selbsteinschätzung den Business Partner-Anspruch wirklich. Gleichzeitig verharren 40 % der Kapazitäten im administrativen Bereich ohne erkennbaren Geschäftsbeitrag. Die „magische Zahl” der HR-Headcount-Ratio von 1:73 blieb seit zehn Jahren stabil. Das ist ein Zeichen mangelnder Effizienzsteigerung.
Besonders problematisch: Trotz aller Digitalisierungsrhetorik haben nur 5 % der HR-Mitarbeitenden daten- oder technologiebezogene Rollen. Dabei wären mindestens 15% notwendig. Während 70 % der HR-Organisation zentral strukturiert sind, laufen 70 % des Personalgeschäfts dezentral ab – ein strukturelles Missverhältnis, das die Wirksamkeit der Funktion untergräbt.
Schauen Sie sich den gesamten Vortrag von Prof. Dr. Walter Jochmann auf der People Convention 2025 in voller Länge an
Weitere Inhalte der Konferenz finden Sie in unserem Rückblick der People Convention 2025
Neue Modelle, neue Rollen, neue Verantwortung: Die Drei-Engine-Strategie
Bezüglich des HR-Operating Models bleibe das von Dave Ulrich geprägte Säulenmodell zwar dominant, doch fordert Jochmann ein Weiterdenken in Form eines dualen Matrix-Ansatzes. Es gehe nicht um drei oder vier Säulen, sondern um die Integration von Kundenorientierung, Technologiekompetenz und Performance-Logik in ein ganzheitliches Geschäftsmodell.
Jochmann plädiert deshalb für eine neue Organisationslogik mit drei spezialisierten “Engines”:
Service Engine: Alle HR-Transaktionen für 1.000 Euro pro Mitarbeitenden und Jahr – mit der strategischen Entscheidung, ob diese intern oder outgesourct erbracht werden.
People Supply Engine: Kompletter Personalzyklus mit integrierter Verantwortung für Workforce Management – von der Bedarfsplanung bis zur Nachfolgegestaltung.
Transformation Engine: Aktive Begleitung der Gesamttransformation mit Fokus auf die obersten ein bis zwei Führungsebenen und systemische Veränderungsprozesse.
Neue Rollen wie Product Owner für digitale HR-Lösungen, Workforce Manager für Gesamtbelegschaftssteuerung und Transformation Manager für Change-Begleitung sollten gezielt aufgebaut werden, um diesen Wandel erfolgreich zu steuern.
HR’s politische Verantwortung: Deutschland als Arbeitgeberland gestalten
Positiv stimmt Jochmann die Entwicklung der Diversität: 82 % der DAX-HR-Rollen sind inzwischen weiblich besetzt. Gleichzeitig warnt er eindringlich vor Rückschritten, wie sie einzelne Unternehmen – etwa SAP – durch Rücknahme von Diversity-Programmen symbolisierten. Solche Schritte seien nicht nur kontraproduktiv für das Arbeitgeberimage, sondern auch ein warnendes Beispiel für Glaubwürdigkeitsverlust bei der gesellschaftlichen Integration.
HR habe eine explizit politische Verantwortung zur Sicherung der Attraktivität des Standorts Deutschland. In Zeiten des Fachkräftemangels und gesellschaftlicher Polarisierung müsse die Funktion aktiv zur Gestaltung Deutschlands als Arbeitgeberland beitragen – durch Integration, Fachkräftegewinnung und die Entwicklung einer inklusiven Arbeitskultur.
Fazit: Die Welle reiten – aber wie?
Seine Schlussfolgerung ist deutlich: HR müsse sich zum Impulsgeber entwickeln, der Transformation aktiv mitgestaltet – über Führung, Kultur, Performance-Management und ganzheitliche Steuerung. „Die Welle reiten” heiße, neue Rollen, Modelle und Denkweisen zuzulassen. Es sei kein radikaler Umbruch nötig, aber ein entschlossenes Fortschreiten, und das Business-getrieben, technologisch befähigt, menschlich geführt.
Der Weg führt über die konsequente Umsetzung der Drei-Engine-Strategie, den Aufbau digitaler Kompetenz, die Entwicklung neuer Rollen und die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung. Nur so könne HR seiner Rolle als Gestalter der Zukunft gerecht werden, in Unternehmen und Gesellschaft gleichermaßen.