„Wir sind besser aufgestellt als je zuvor“

„Wir sind besser aufgestellt als je zuvor“

Der VfL Gummersbach ist eine Institution im deutschen Handball und weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Doch beinahe wäre der Verein von der Bildfläche verschwunden. Dass es soweit nicht kam, verdankt der VfL auch seinem Geschäftsführer und ehemaligem Top-Spieler Christoph Schindler. Im Kienbaum "Making The Difference" Interview spricht er über Krisen, die Kunst, sich daraus zu befreien, und die Zukunftsthemen eines Clubs mit 161 Jahren Tradition.

Christoph Schindler Gummersbach

Christoph Schindler, Geschäftsführer VFL Gummersbach

Derzeit läuft’s rund beim VFL. Die Mannschaft ist gut in die Handball-Bundesliga gestartet. Was ist die mittel- bis langfristige Strategie des Vereins?

Schindler: Als Sportverein sind das zunächst einmal die sportlichen Ziele. Es ging in den letzten Jahren darum, in der Bundesliga wieder die sportliche Heimat zu finden. Denn der VfL gehört zweifelsohne in die Erste Bundesliga. Jetzt wollen wir uns auf dem guten Saisonstart nicht ausruhen. Aber unsere Ziele sind nicht nicht nur an Tabellenplätzen messbar. Fakt ist aber auch, der VfL ist mehr als die Liga, in der er spielt. Wichtige Themen für uns sind Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Fachkräftegewinnung. Die Nachwuchsförderung spielt eine große Rolle. Wir wollen nicht nur Heimat des Handballsports sein, sondern Heimat für alles, was dranhängt. Wir haben hier in der Region eine große Vorbildfunktion. Das ist und bleibt ein ganz wichtiger Teil unserer DNA.

Was ist derzeit die größte Herausforderung?

Durch die aktuelle wirtschaftliche und politische Situation treibt uns natürlich das um, was alle Unternehmen betrifft: steigende Kosten, verunsicherte Mitarbeiter und Partner sowie Fans, deren Kaufkraft schwindet. Unter diesen Gesichtspunkten ist es sehr schwierig, zu planen. Zu prognostizieren, was in ein paar Monaten oder gar Wochen wohl passieren wird, gleicht dem Blick in die Glaskugel. Aber: Wir sind 2018 der Insolvenz von der Schippe gesprungen, wir haben eine Corona-Krise überstanden. Wir haben also in den vergangenen Jahren gelernt, erfolgreiches Krisenmanagement zu betreiben.

Nachhaltigkeit gehört zu euren Kernzielen. Ist in Zeiten wie diesen, wo so viel Wandel passiert, nachhaltiges Handeln überhaupt noch möglich?

Wir versuchen, sämtliche Dinge in allen Bereichen nachhaltig zu tun. Zum Beispiel in der Personalentwicklung. Wie andere Unternehmen bilden wir die Fachkräfte von morgen aus, versuchen sie vom Unternehmensstandort zu überzeugen und sie langfristig ans Unternehmen zu binden. Gerade erst haben drei junge Spieler – davon zwei aus unserer Nachwuchsakademie – ihre Verträge bis 2026 verlängert. Unser ganzes Tun und Handeln zielt im sportlichen Bereich auf nachhaltige Personalwirtschaft ab. Es geht auch darum, Partnerschaften mit Unternehmen nachhaltig zu gestalten. Da heißt nicht, irgendwo Lücken zu schließen, weil wir gerade Geld brauchen, sondern langfristig zu denken. Da haben wir viele Produkte, Dienstleistungen, aber auch Personen in den Verein integriert, um das zu gewährleisten.

Ist Nachhaltigkeit ein großer Bestandteil der Identität des VFL Gummersbach?

Definitiv ja. Nachhaltiges Handeln in den Bereichen Sport und Unternehmensführung ist fester Teil unseres Leitbildes. Als wir uns 2018 strategisch neu ausgerichtet haben, war unser Ziel, als bekanntestes Unternehmen der Region unserer Vorbildfunktion gerecht zu werden. Damals haben wir schon begonnen, Themen rund um Nachhaltigkeit anzugehen. Gerade mit der Handballschule Oberberg und den Nachhaltigkeitskonzepten haben wir Maßstäbe gesetzt, die speziell im Handball bis dato noch kein anderer Verein gesetzt hat. Nachhaltigkeit ist ein ganz wichtiger Punkt auch in der Kooperation mit unseren Partnern.

Was bedeutet das für dich als Führungsperson? Wie gehst du mit dieser Herausforderung um?

Es geht als Geschäftsführer eines Unternehmens nicht allein darum, dass die Einnahmen die Kosten decken oder bestenfalls übersteigen. Es geht auch darum, dass man sich mit wichtigen Themen abseits des Kerngeschäfts beschäftigt. Das heißt auch investieren. In Personal, Infrastruktur und Prozesse, welche gewährleisten, dass das man diese Themen auch wirklich angehen kann und sie keine Lippenbekenntnisse bleiben.

v.l. Dennis Römer, Partnership Manager VfL Gummersbach, Michael Kresser, Managing Director Kienbaum Sports, Fabian Kienbaum, Co-CEO Kienbaum, Christoph Schindler, Geschäftsführer VfL Gummersbach

Welches sind die wichtigsten Themen, die du als Führungskraft in den nächsten zwei Jahren angehen willst?

Das Thema wirtschaftliche Verbesserung, aber nicht nur im Sinne von Gewinnmaximierung. Wir kommen aus einer Situation, wo wir fast sechs Millionen Euro Schulden hatten und drei Millionen Euro Unterdeckung. Konsolidierung stand und steht ganz oben auf der Agenda. Das war und ist nicht sexy, aber notwendig, damit der Verein langfristig überlebt. Das will ich weiter vorantreiben: Kosten anpassen, Einnahmen erhöhen, Altlasten abbauen. Und am Ende dafür sorgen, dass die Dinge, die wir tun, wirklich nachhaltig sind –  in allen Bereichen, sowohl Sport als auch Geschäftsstelle und was unsere Fans und Partner angeht. Da sind wir auf einem sehr guten Weg.

Den VfL Gummersbach gibt es schon seit 1861. In der Zeit hat der Verein gute und weniger gute Zeiten erlebt, wie zum Beispiel die von dir angesprochenen Jahre rund um den Abstieg aus der Bundesliga. Wie ist es euch gelungen, aus diesem Loch wieder herauszukommen?

In der über 150-jährigen Geschichte gab es sicher einige Löcher, aber dieses ist besonders prägnant, weil es die Jahre waren, die der VfL Gummersbach nicht in der ersten Liga gespielt hat. Wichtig war der Wandel von einem Handballverein zu einem Wirtschaftsunternehmen. Das war ein ganz entscheidender Prozess, der viel Zeit und Energie gekostet hat. Auch weil es darum ging, Menschen mitzunehmen. Wenn man so einen Wandel vollziehen will, muss man ihnen vor allem erklären, warum man das macht und wohin man will. Das war die wichtigste Voraussetzung. Wir sind mit unseren Problemen transparent umgegangen. Wir haben erklärt, warum wir wirtschaftliche Probleme hatten und warum wir sportlich abgestiegen sind. Aber auch, was wir dagegen tun wollen.

Welche Rolle haben die Menschen dabei gespielt?

Es gab einen großen Schulterschluss bei allen Spielern und Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle, bei den Partnern, den Gesellschaftern, den Fans. Das hat auch dazu geführt, dass Menschen Dinge getan haben, die nicht rational waren.  Das ist ein Grund, warum es den VfL überhaupt noch gibt und wir besser aufgestellt sind als je zuvor.

Welche Rolle spielt für dich die enge Zusammenarbeit mit den Partnern?

Unsere wichtigste Erlösquelle mit rund 80 Prozent Anteil am Umsatz ist das Partnermanagement. Das ist im Handball anders als etwa im Fußball, wo zuerst die Erlöse aus den TV-Rechten kommen, dann das Ticketing und anschließend das Partnermanagement. Bei uns steht Letzteres an erster Stelle und ist das wichtigste Gut. Deshalb haben wir Mitarbeitende eingestellt, eine Abteilung aufgebaut und Prozesse entwickelt, die alle auf diesen Bereich einzahlen. Wir wollen den Partnern nicht das Geld aus der Tasche ziehen, sondern ihnen Mehrwerte bieten. Daher haben Partner eine herausragend wichtige Bedeutung für uns.

Auch bedeutend für euch ist die Nachwuchsförderung. Ihr habt die größte Akademie im deutschen Handball. Erzähle uns bitte davon.

Wir haben in der Akademie knapp 150 Kinder und Jugendliche, die den Traum haben, Bundesliga-Handballer zu werden. Das beginnt bei Vierjährigen, wo nicht die Leistung im Vordergrund steht, sondern die Lust auf Sport und geht bis zu Anfang 20-Jährigen, die darauf brennen, in der SCHWALBE arena vor 4.000 Leuten zu spielen. In der Akademie wollen wir Bundesligaspieler entwickeln. Wir wollen den Jungs die Dinge beibringen, die aus unserer Sicht in der Handball-Bundesliga wichtig sind. Dazu gehört neben dem Sport auch die Persönlichkeitsentwicklung. Leistungssportliche Werte wie Disziplin, Pünktlichkeit, Verantwortung und Teamfähigkeit machen die Jungs nicht nur zu besseren Spielern, sondern auch zu besseren Menschen. Diese Werte sind auch für das spätere oder parallele Arbeitsleben unabdingbar. In diesem Zusammenhang kommen wieder unsere Partner ins Spiel, indem sie zum Beispiel Ausbildungsplätze und Praktikumsstellen anbieten.

Wie lautet dein Führungsverständnis auf den Punkt gebracht?

Die zwei wichtigsten Attribute für mich als Führungskraft sind Respekt und Motivation. Wenn es mir gelingt, zu motivieren und dafür zu sorgen, dass alle beim VfL respektvoll miteinander arbeiten, bin ich überzeugt, dass dies das Arbeitsumfeld schafft, in dem die Mitarbeitenden ihre beste Leistung bringen können. Dann kann man Krisen überstehen, Wachstum erzielen und sich als Unternehmen weiterentwickeln.

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Was oder wer hat dich als Führungskraft am meisten geprägt?

Der Sport. Die meisten Einstellungen und Werte, die ich heute tagtäglich lebe, habe ich in knapp 20 Jahren Leistungssport und zuvor im Amateurbereich beigebracht bekommen. Ich bin beispielsweise mit 15 Jahren zu Hause ausgezogen und aufs Sportinternat in Cottbus gegangen. Das war eine sehr lehrreiche Zeit. Darüber hinaus prägt mich meine Familie, denn als Eltern bekommt man nochmal eine ganz andere Sicht auf Führung (lacht).

Welche Haltung und welche Skills benötigst du, um Wachstum für dich persönlich und den VfL Gummersbach in Zukunft zu ermöglichen?

Das Wichtigste ist – und auch das lernt man im Sport: Man darf nie zufrieden sein. Klar, wir haben großartige Dinge erreicht – Schuldenabbau, Aufstieg und viele andere Teilerfolge –, aber man muss weiter jeden Tag motiviert und hungrig sein. Das gilt auch für alle Menschen beim VfL. Wenn ein Spieler einen Profivertrag erhält und Bundesligaspieler wird, darf er sich darauf nicht ausruhen. Anschließend muss der nächste Schritt sein, ein wichtiger Bundesligaspieler zu werden. Der darauffolgende Schritt muss dann sein, dass er Nationalspieler wird. Man darf nie zufrieden sein und muss sich jeden Tag aufs Neue herausfordern. Man muss jeden Tag dazulernen, auch als Führungskraft.

Welche drei Personen würdest du mit auf eine einsame Insel nehmen, um nach Rückkehr eine noch bessere Führungskraft zu werden?

Meine Frau und meine beiden Kinder. Meine Söhne sind fünf und sieben Jahre alt und fordern mich in jeder Lebenslage. Als Familienvater geht es jeden Tag darum, eine gute Führungskraft zu sein: Vertrauen schaffen, Regeln vorgeben, den Kindern eine Richtung aufzeigen, ohne sie permanent zu bevormunden.

Welchen Tipp möchtest du den Lesern dieses Interviews noch mitgeben?

Schickt eure Kinder zum Mannschaftssport. Dort lernen sie alle Dinge, die sie im späteren Leben brauchen.

Über den Gesprächspartner:

Christoph Schindler, geboren 1983, ist seit 2018 Geschäftsführer der VfL Handball Gummersbach GmbH und weiß, wovon er redet: Schindler war als Profi u.a. beim THW Kiel aktiv, mit dem er zwei Mal Deutscher Meister wurde und gewann 2010 sowie 2011 den Europapokal der Pokalsieger mit dem VfL Gummersbach, bei dem er 2017 seine Profikarriere beendet. Insgesamt absolvierte der gebürtige Brandenburger 210 Erstliga-Spiele und warf dabei 572 Tore.